01.04.2001

CDU: Leben von der Schwäche des Gegners

Von Sabine Reul

Das jüngste Debakel der CDU nach der Vorstellung des Schröder-Verbrecherplakates führt Sabine Reul zu der Frage, wo die Parteien innerhalb ihrer inhaltslosen Politik eigentlich geblieben sind.

Seit 1992 begleiten Novo-Autoren in Berichten, Analysen und Kommentaren die Krise der parlamentarischen Demokratie durch zahlreiche mehr oder minder deprimierende Etappen. Wo die Talsohle liegen mag, bleibt ungewiss, aber in den ersten Monaten dieses Jahres 2001 scheint definitiv ein neuer Tiefpunkt erreicht. Das wurde spätestens klar, als die CDU beschloss, als Fahndungsfoto aufgemachte Plakate zum Thema “Rentenbetrug” angesichts empörter Reaktionen aus den eigenen Reihen einzustampfen.

Erfinder der unglücklichen Kampagne war der nur kurz zuvor berufene neue CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer, der dem oppositionellen Profil der Partei mehr Würze hatte geben sollen. Das überlegte er sich beim ersten Gegenwind gleich anders. Nach dem Plakatdebakel bat der als kämpferisch geltende, nun aber schwer gedemütigte Generalsekretär die rot-grünen Koalitionsparteien devot um fairen Umgang zwischen Regierung und Opposition. Nachdem schon die Wirtschafts-, Steuer- und Einwanderungspolitik als Themen, zu denen die CDU nach der Wahlniederlage 1998 “ureigene” Positionen zu beziehen versprach, entfallen waren, war somit auch die Rentenreform als Thema für parteipolitische Auseinandersetzungen gegessen.

Gibt es Parteien überhaupt wirklich noch, und wenn ja, wozu bloß? Bleiben wir beim Thema CDU und Rente: Die Dringlichkeit, mit der seit Jahren in der gesamten westlichen Welt nach einem Zurückfahren staatlicher Rentensysteme gerufen wird, verdankt sich (wie Novo in der letzten Ausgabe berichtete) unbegründetem Pessimismus über die künftige wirtschaftliche und demografische Entwicklung. Diese düstere Sicht der Zukunft teilen alle Parteien. Die Vorstellung, heutige Generationen müssten um künftiger willen den Gürtel enger schnallen, weil demografische Trends und knappe Ressourcen keine andere Option zulassen, verfügt inzwischen in der Öffentlichkeit über nahezu unangefochtene moralische und geistige Geltung. Außerdem entspricht sie dem aktuellen wirtschaftspolitischen Denken, das von einer “Verschlankung” des Staats neue marktwirtschaftliche Dynamik erwartet.

Wie soll also die CDU Opposition gegen die Rentenreform machen – als Partei, die diese Prämissen nicht nur teilt, sondern schon vertrat, als die heutigen Regierungsparteien noch ganz anderer Meinung waren? Hier liegt ein beachtliches Dilemma, denn sie kann es nicht. Da bietet es sich an, als Opferanwalt für jene aufzutreten, die sich durch rot-grüne Regierungspolitik materiell geschädigt (Rente, Gesundheit) oder in ihrer politischen Identität missachtet (“Politrocker” als Minister) fühlen.

Das scheint derzeit ja auch die Strategie zu sein, aber sie hat doch einige Schönheitsfehler: Sie ist unaufrichtig und substanzlos – aber das Problem haben andere Parteien auch. Einiges spricht dafür, dass sie auch nicht mehrheitsfähig ist – aber da hängt viel vom Geschick der Regierung und von Konstellationen ab, die sich wenden mögen. Vor allem ist sie aber zu widerspruchsvoll, um Bestand zu haben.
Schließlich will die Union Regierungspartei sein, und für ein Regierungsprojekt bietet der Auftritt als eine Art Verein der Verprellten kaum die geeignete Grundlage. Eine Persiflage der Sozialdemokratie in ihren schlechtesten Stunden droht eher Breschen selbst in die Stammwählerschaft der Union zu schlagen. Das ist der Widerspruch, der die CDU immer wieder einholt.

"Die Regierungsparteien verfügen über die Gunst der Macht – ein unschätzbarer Vorteil in einer Zeit, in der inhaltliche Auseinandersetzung kein maßgeblicher Aspekt der Politik mehr ist.”

Meyers trostloser Auftritt im Bundestag nach der Plakataffäre entsprach der desolaten Lage, in der sich die große Partei des Nachkriegskonservatismus in Deutschland befindet. In den Ländern – das ist der Vorteil der bayerischen CSU – sieht es nicht gar so schlimm aus. Aber auf nationaler Ebene, wo die Union als politische Opposition agieren und globale politische Orientierungsmarken anbieten muss, zeigt sich das Problem in aller Schärfe.

Für die Regierungsparteien ist das derzeit alles kein Thema. Sie verfügen über die Gunst der Macht – ein unschätzbarer Vorteil in einer Zeit, in der inhaltliche Auseinandersetzung kein maßgeblicher Aspekt der Politik mehr ist. Aber weder durchschlagende Erfolge noch eine Woge der Sympathie sind die Ursache dafür, dass die Autorität der rot-grünen Koalition gegenüber dem ersten Jahr ihrer Amtszeit ohne Zweifel zugenommen hat. Dieser Autoritätszuwachs verdankt sich primär der moralischen Demontage der Unionsparteien im Zuge der Parteispendenaffäre. Und insofern leben auch die rot-grünen Koalitionsparteien davon, sich an der Schwäche der parteipolitischen Konkurrenz zu laben.

Es ist daher kein Wunder, dass die Parteipolitik sich inzwischen nicht nur zu großen Teilen, sondern nahezu ausschließlich um das Streben dreht, aus Meldungen Affären und aus Affären Skandale werden zu lassen. Normative Kraft entfalten, wie in den Medien, die Ereignisse, die Quote machen und ein fröhliches – oder auch gruseliges – Delirium erzeugen. Postmoderne Denker werden begeistert sein, denn hier erfolgt die von ihnen jahrzehntelang prognostizierte Dekonstruktion der sozialen Welt in pure Kontingenz in einer Radikalität, die selbst ihre Erwartungen übertreffen wird. Dass diese Welt eine postpolitische ist, in der es auch Parteien nicht mehr gibt – dafür spricht derzeit vieles.

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