01.03.2008

Brief aus Berlin: Kai Diekmann mag die 68er nicht

Analyse von Klaus Bittermann

Eine Glosse von Klaus Bittermann.

„Warum ist der ‚Gutmensch‘ eigentlich ein Schimpfwort?“, fragte kürzlich Evelyn Finger in der Zeit und gab auch gleich eine Antwort: Die Häme würde bei Nietzsche anfangen, im Stürmer fortgesetzt, ein „Kampfbegriff ist er für die neue Rechte, und salonfähig wurde er durch die 68er-Kritik im Stil von Klaus Bittermanns Wörterbuch des Gutmenschen“. Letztlich liefe die Kritik auf die „Verachtung“ des Menschen hinaus. Soso, nicht schlecht. Mal eine ganz neue Erfahrung, in der direkten Tradition von Nietzsche und Julius Streicher zu stehen. Da war sogar Wolfgang Schäuble differenzierter. Der hatte das Wörterbuch des Gutmenschen wenigstens gelesen. Jedenfalls zitierte er so ausführlich daraus, dass sich eine Interpretation erübrigte, denn ein Argument muss in jedem Kontext Bestand haben, und den hatte es. Das war immerhin fair, anders als das insinuierte Geraune von Evelyn „schlimmer“ Finger, der es nur darum ging, das Wörterbuch des Gutmenschen unter Naziverdacht zu stellen.

Die von mir zusammen mit Gerhard Henschel und Wiglaf Droste herausgegebenen zwei Bände enthielten dabei überhaupt keine „68er-Kritik“. Da wäre es für Evelyn Finger nützlich gewesen, mal einen Blick in das Buch zu riskieren, es sei denn, sie kann eine Kritik an den 68ern als Generation nicht unterscheiden von einer Kritik, die u.a. auch 68er trifft wie eben jeden, der nachweislich Mist erzählt. Vielmehr enthält das Wörterbuch kurze Analysen des „Plapperjargons und der Gesinnungssprache“, z.B. solcher schaumsprachlichen Phrasen wie „gerade wir als Deutsche“, „mein Freund ist Ausländer“, „verkrustete Strukturen aufbrechen“, „dem Ansehen Deutschlands schaden“, „nicht den Rechten überlassen“, und wie bereits an der einen oder anderen immer wieder gern in den Mund genommenen Worthülse deutlich wird, dürften die Nazis kaum glücklich darüber sein, wie sie abgehandelt wurden. „Mit Nazis reden? Warum?“, schrieb Wiglaf Droste dazu. „Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleichgültig; ob sie hungern, frieren, bettnässen, schlecht träumen usw., geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins; dass man sie hindert, das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert: die bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre Zigarrenschachtelwelt passen. Ob man sie dafür einsperrt oder ob sie dafür auf den Obduktionstisch gelegt werden müssen, ist mir gleich, und wer vom Lager für andere träumt, kann gerne selbst hinein. Dort, in der deutschen Baracke, dürfen dann Leute wie Rainer Langhans, Wolfgang Niedecken und Christiane Ostrowski zu Besuch kommen und nach Herzenslust mit denen plaudern, zu denen es sie ständig zieht.“ Und natürlich auch Evelyn Finger. Die darf das auch, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass auch sie davon ausgeht, „dem Ansehen Deutschland zu schaden“, wenn man nicht „mit Nazis redet“.

Man muss auch nicht bis zu Nietzsche zurückgehen. Das tut nur jemand, der ein bisschen mit Wikipedia-Wissen protzen möchte. Was ein „Gutmensch“ ist, erfährt man dadurch jedenfalls nicht. Zur Blüte gelangte sein Jargon in den 80er-Jahren, den Hochzeiten der Friedensbewegung, als man nationale Souveränität forderte und schwerstbetroffen die „amerikanischen Besatzer“ aus dem Land treiben wollte. Beides hat man inzwischen geschafft, und deshalb ist das Gutmenschengeplapper seither kein Privileg mehr des linksliberalen Milieus. Inzwischen kann man diese Schaumsprache überall vernehmen, in der Talkshow genauso wie in einer Parlamentsrede für oder gegen die Abschaffung des Asylrechts. „Alle kleiden ihre Argumente in Phrasen der guten Absicht und des guten Willens. Die Gutmenschensprache hat ihren spezifischen Ort verloren, aus dem heraus sie entstanden ist: den Ort des Protests. Seitdem selbst der breitgetretendste Mainstreamquark noch als oppositionelle Meinung verkauft wird, ist der Protest Allgemeingut geworden. Jetzt ist jeder gut, jeder Hundehalter ist heute ein Querdenker und fühlt sich als unbequemer Zeitgenosse, jeder Schrebergärtner hat heute eine ‚Identität‘ und begreift sein Tun als ‚Herausforderung‘“, hieß es im Nachwort der für eine TB-Ausgabe überarbeiteten Version des Wörterbuchs.

Das ist jetzt neun Jahre her, und nie hätte ich gedacht, auf so wundervolle Weise bestätigt zu werden, denn nun hat Kai Diekmann in Der große Selbstbetrug auch in Form eines Buches den Beweis angetreten, dass er zu jener Spezies von Menschen gehört, die sich als „Querdenker“ fühlen, aber eben nur Dicktuer sind. Kai Diekmann, werden Sie sagen? Muss man wirklich an jeder Mülltonne schnuppern, um zu wissen, dass es daraus stinkt? Ja, Sie haben Recht. Muss man nicht. Dennoch lässt sich an ihm ein interessantes Phänomen beobachten. Fast 15 Jahre nach der Sprachanalyse des Gutmenschenjargons kommt Kai Diekmann nun auch auf den vermeintlichen Trichter, obwohl sich der Gutmensch in seiner ursprünglichen Bedeutung schon lange verabschiedet hat. Kai Diekmann lastet einfach alles angebliche und von Bild angeprangerte Übel den 68ern an, die er durch die Bank als „Gutmenschen“ denunziert. Einen Begriff davon hat er nicht. Ein Gutmensch kann alles und jeder sein, sogar Kai Diekmann selber: „Auch ich bin ... oft selbst der ‚Gutmensch‘, über den ich mich lustig mache.“ Bis auf diese „Ausnahme menschlicher Schwäche“ (Göring) jedoch ist ein Gutmensch einfach nur jemand, dem man alles in die Schuhe schieben kann, ein moderner Sündenbock. Es sind die „Schlechtredner“ der deutschen Einheit, die, die hinter der DDR nicht sofort die „Fratze eines bankrotten Staatswesens unter dekadent-korrupter Führung“ erblickt haben, die, die nicht gegen die „jahrzehntelange Kaputtsparerei beim Militär“ protestiert haben, die, bei denen „Sexualverbrecher, Mörder und Ex-Terroristen auf größtmögliches Verständnis hoffen können“. Diekmann ist nichts dergleichen, aber er lebt von den Sexualverbrechern, Mördern und Ex-Terroristen. Und zwar gut. Jedenfalls ist er der presserechtlich verantwortliche Mann für einen täglich frisch aufgeschütteten Misthaufen, der sich Bild nennt, ein Mann wie ein Ölfilm, dem es geglückt ist, wie Gerhard Henschel schrieb, „sein Hobby – Latrinenparolen, Treppenhausklatsch und üble Nachrede – zum Beruf zu machen“. Jeder aufrechte Patriot müsste einen Anfall kriegen, wenn der „Unterhosenschnüffler“ Kai Diekmann ständig seiner Sorge um „die Zukunft dieses Landes“ Ausdruck verleiht und wenn er ständig von seiner befremdlichen „natürlichen Vaterlandsliebe“ schwadroniert. Aber statt auf Distanz zu dem Mann mit dem hohen Schmiergehalt zu gehen, haben sich Schirrmacher, di Lorenzo und Aust mit ihm gemein gemacht, indem sie kein böses Wort über ihren Kollegen in ihren Zeitungen zulassen. Diekmann kommt damit das Verdienst zu, ein Kloakenblatt salonfähig gemacht zu haben, das aber keineswegs, wie er dreist lügt, seriös geworden ist. Eher schon haben sich Zeit, Spiegel und FAZ auf das Niveau von Bild begeben. Und wenn selbst ein Michael Naumann, der genau um die Qualitäten von Bild weiß, sich dafür hergibt, Kai Diekmann aufzuwerten, indem er bei dessen Buchpräsentation mitwirkt, nur, um Bild im Bürgermeisterwahlkampf in Hamburg gnädig zu stimmen, dann wird deutlich, dass Diekmann sie alle im Sack hat. Darin können sie sich dann alle gemeinsam Sorgen „um das Ansehen Deutschlands“ machen. Dass sie selber dabei das größte Problem sind, fällt ihnen nicht auf. Und das ist ja irgendwie auch wieder tröstlich. Jedenfalls kommt einer, der noch alle Schweine im Rennen hat, erst gar nicht in die Versuchung, ein Land zu lieben, das von einer „Elite“ regiert wird, die geistig und moralisch auf so niedrigem Niveau steht, dass sie sich von einem Strizzi wie Kai Diekmann herumkommandieren lässt.

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