01.07.2000

Brave One World mit einem Hauch Dritte-Welt-Romantik

Essay von Aitak Walter-Barani

Auf der EXPO werden nur Projekte von Entwicklungsländern vorgestellt, die dem Leitbild der “nachhaltigen Entwicklung” folgen. Dieses Konzept verlangt von ihnen, dass sie sich mit ihrer jetzigen Situation begnügen und auf Fortschritt verzichten, kritisiert Aitak Walter-Barani.

Auf der EXPO 2000 in Hannover steht die Diskussion über Konzepte und Zielsetzungen der Entwicklungspolitik erstmals im Mittelpunkt einer Weltausstellung. Ein Epochenbruch wurde angekündigt; schon das für Hannover eigens entworfene Label One World verdeutlicht, dass den Organisatoren Bahnbrechendes vorschwebt: die Präsentation eines neuen globalen Entwicklungsansatzes für die gesamte Welt, von dem alle Menschen, ob in der so genannten ersten, zweiten oder Dritten Welt, profitieren sollen.
Die Bundesregierung stellte eigens 100 Millionen Mark Sondermittel für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zur Verfügung, um den entwicklungspolitischen Beitrag auf der EXPO zu ermöglichen. Von den insgesamt 190 auf der EXPO vertretenen Ländern sind 130 aus dem ärmeren Süden und Osten. Alle wurden sie im Vorfeld hinsichtlich ihres EXPO-Beitrags von der dem BMZ unterstellten Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) inhaltlich wie organisatorisch betreut. Sechzig von ihnen wurde zur Realisierung ihrer Vorhaben finanziell unter die Arme gegriffen.
Die GTZ sorgte dafür, dass die Entwicklungsländer ihre Präsentationen auf der größten Weltausstellung, die es je gab, entlang dem globalen One World-Leitbild der “nachhaltigen Entwicklung” gestalteten. Der entwicklungspolitische Beitrag beinhaltet Länderdarstellungen in den Pavillons. Darüber hinaus gibt es auch den “Themenpark”, die “Weltweiten Projekte” und die “Global Dialogues”, die von One World mitgestaltet und -getragen werden. Bei allen Beiträgen geht es letztlich darum, die Normen und Regeln der Nachhaltigkeit vorzustellen und zu verankern.

Wandelt man durch die Pavillons und betrachtet, was beispielsweise afrikanische Länder zu bieten haben, bekommt man leicht den Eindruck, als würden vor allem Touristenattraktionen vorgestellt – inklusive leicht verdaulicher Akzente für die Völkerverständigung und ökologisch korrekte Kleinprojekte, und das alles mit einem Hauch von Dritte-Welt-Romantik. Dass Weltausstellungen als Tourismusmessen missverstanden werden, ist in der Tat nichts Neues und wurde zu Recht moniert. Wer aber meint, es ginge in Hannover nur darum, die Besucher in Urlaubsstimmung zu versetzen, verkennt die entwicklungspolitische Strategie, die sich in all diesen Präsentationen dokumentiert: Die EXPO 2000 will ein vollkommen neues Bild von Entwicklungsländern zeichnen, sie will damit letztlich den Begriff “Entwicklung” und somit auch die Aufgaben der Entwicklungspolitik neu definieren. Mit der One World-Konzeption werden die Konturen einer neuen Welt und einer neuen Weltordnung transportiert, über die in den vergangenen Jahren schon viel geschrieben und diskutiert wurde. Das One World-Motto “Eine neue Welt entsteht” bringt diesen Wunsch zum Ausdruck. Seine finale Umsetzung und Verankerung wurde maßgeblich von der deutschen Entwicklungspolitik im Rahmen der Arbeit für die EXPO in Angriff genommen.

In dieser neuen Weltordnung soll das westliche Entwicklungsmodell für die Länder des Südens und Ostens endgültig kein Vorbild mehr sein dürfen, weil unser Globus eine nachholende Entwicklung nicht verkraften könne. Deshalb liegt die Betonung mehr den je auf der Präsentation der Unterschiede zwischen den Kulturen, auf Traditionspflege und auf der Förderung “angepasster” Technologien, die dem jeweiligen Entwicklungsstand eines Landes entsprechen. Im Klartext bedeutet das: große Heizkraftwerke im Norden, kleine Solarkocher für Afrika.

Aus der Prämisse, die natürlichen Ressourcen seien knapp geworden und Menschen in den Industrieländern hätten im Zuge ihrer bisherigen Entwicklung brutalen Raubbau an der Natur betrieben, werden wohlklingende aber folgenschwere Zukunftsperspektiven für den Rest der Welt abgeleitet. Die Entwicklungsländer, so heißt es, hätten heute noch die Chance, die Wiederholung der Fehler der Industrienationen zu vermeiden, und es sei geradezu ihre moralische Pflicht, einen anderen Entwicklungsweg einzuschlagen, der wiederum uns als Vorbild dienen kann. Nicht mehr die Unterentwicklung, sprich mangelnder wirtschaftlicher Fortschritt, erscheint nunmehr als vorrangiges Problem, dem sich die Länder der Dritten Welt und vor allem die westliche Politik stellen müssten, sondern das Streben, dem westlichen Wachstumsmodell folgen zu wollen.

“Das gravierend ungleiche Niveau des Lebensstandards im Norden und Süden wird umdefiniert als erhaltswerte kulturelle Vielfalt”

Welches Zukunftsmodell sich hieraus für die Menschen in der Dritten Welt ergibt, ist leicht zu ersehen: Wirtschaftliche Entwicklung soll es für sie nun ganz bewusst und gewollt nicht mehr geben. Von solch überholten Zielen gelte es mittlerweile vielmehr – im Interesse des Erhalts unseres Planeten – ein für alle Mal Abschied zu nehmen.
Aus der anhaltenden Not in den verarmten Weltregionen wird mit One World eine wohlklingende Tugend für die ganze Menschheit. Und das gravierend ungleiche Niveau des Lebensstandards im Norden und Süden wird umdefiniert in eine erhaltswerte kulturelle Vielfalt. Immaterielle Werte werden angepriesen, und man hebt hervor, dass die Entwicklungspolitik sich zum Wohle aller nun endlich auch davon verabschiedet habe, fremden Kulturen westliche Vorstellungen über materielles Wohlergehen aufzuzwingen.
Die Ungleichheit zwischen Nord und Süd wird somit nicht nur schöngeredet. Die Botschaft lautet sogar, dass die Menschen im reicheren Norden vom armen Süden lernen sollten, die eigenen Konsumansprüche zurückzuschrauben und sich an dessen Wertvorstellungen zu orientieren. So ist in einer EXPO-Schrift zu lesen, Afrika habe “der Welt eine eigene, vitale und unverbrauchte Sehweise geschenkt, die mit ihrer Kraft den technischen Fortschritt überlagert und wichtige Beiträge für die Zukunft der menschlichen Kultur und den Umgang mit der Technik bietet. Diese Grundidee stellt das Klischee von Afrika als einem zu entwickelnden Kontinent auf den Kopf: Afrika wird vom Nehmenden zum Gebenden.”

Offiziell vermitteln EXPO-Macher den Eindruck, die Formulierung dieses globalen “Entwicklungsansatzes” sei im Einvernehmen mit den Vertretern der Dritten Welt erfolgt. Es heißt, sie hätten auf der Weltausstellung die Gelegenheit bekommen, “in der Art und Weise, die sie für richtig halten, einem Millionenpublikum zu zeigen, wie sie sich dem kommenden Jahrtausend stellen – auf der Grundlage ihrer Menschen und Traditionen, ihrer Kultur und Lebensweise”.
Das entspricht nur bedingt der Wirklichkeit, denn die verantwortlichen GTZ-Strategen überwachten mit Argusaugen, wer und was mit welchem Maß an Unterstützung in Hannover mit von der Partie sein würde. Nur solche Projekte wurden zugelassen, die dem kleinspurigen Konzept der “nachhaltigen Entwicklung” und den Kriterien der “Agenda 21” genügen. Nachhaltigkeitskriterien, an die sich jedes Land zu halten hatte, wurden von der GTZ verbindlich vorgegeben.
Bei One World auf der EXPO geht es folglich nicht darum, ärmeren Regionen der Welt ein offenes Forum für die Darlegung ihrer Wünsche und Vorstellungen von einer besseren Zukunft zu bieten. Vielmehr scheint Intention zu sein, die neue ökologisch begründete Anti-Entwicklungsideologie des Westens möglichst schillernd und farbenfroh in Szene zu setzen.

”“Nachhaltigkeit” bedeutet für die Dritte Welt vor allem anhaltende Armut”

Die weltweiten EXPO-Projekte, die teilweise von der GTZ direkt initiiert wurden, machen deutlich: “Nachhaltigkeit” bedeutet für die Dritte Welt vor allem anhaltende Armut. Benin beispielsweise ist im EXPO-Programm mit einem Müllrecycling-Projekt vertreten, bei dem Teilnehmer aus ganz Afrika lernen sollen, wie nachhaltige Abfallwirtschaft funktioniert. Die Menschen sollen aus diesem Projekt wirtschaftlich profitieren, indem sie ihren Hausmüll “zu Werkzeugen, Haushaltsgegenständen oder Möbeln” weiterverarbeiten, heißt es. So könne letztlich ein ganz neuer Wirtschaftszweig entstehen, “der die Lebensqualität der Produzenten und der Käufer verbessert, denn diese Güter des täglichen Bedarfs können sich auch ärmere Menschen leisten.”
An anderer Stelle, aber getragen von der gleichen Ideologie, wird der Kakum-Nationalpark als einer der wertvollsten Schätze Ghanas präsentiert. Es heißt, seine Existenz sei für das afrikanische Land lebensnotwendig und ein Projekt, auf das die Ghanaer sehr stolz seien. Dass sich ein normaler Ghanaer den Eintritt in diesen Nationalpark kaum leisten kann und der Park nicht mehr als eine schlecht besuchte Touristenattraktion ist, erfährt der EXPO-Besucher freilich nicht. Stolz sind viele Ghanaer eher auf den Akosombo-Staudamm, den sie als Symbol für die Entwicklung und Unabhängigkeit ihres Landes betrachten. Das Staudammprojekt brachte Investitionen ins Land, mit denen Arbeitsplätze geschaffen wurden und eine dürftige Infrastruktur aufgebaut werden konnte. Doch vom Akosombo-Staudamm oder vergleichbaren Großprojekten in Afrika oder Asien ist auf der EXPO nichts zu hören.
Die Länder des südlichen Afrika (South African Development Community, SADC) setzen das Nachhaltigkeitsthema “Wasser” in Szene: Mit Lichtinstallationen wird eine Wanderung an den Viktoriafällen simuliert. Man sieht Tiere an einem Wasserloch sitzen und wird über Maßnahmen gegen Wasserverschmutzung informiert. Im Pavillon mit Zentralamerika spaziert der Besucher durch den Regenwald und kann das Brabbeln und Kichern der Affen im dichten Busch vernehmen. Man durchwandert Märkte mit Kaffee, Papayas und indianischen Töpferwaren, bevor man schließlich auf das Tropenhaus eines Arztes für Naturheilkunde stößt. Und die CARICOM-Staaten (Caribbean Community) bieten Einblicke in ihre Naturheilpraktiken und laden nach einem Rundgang bei Reggaemusik zu einem Rumcocktail an der Piratenbar ein.
Dem EXPO-Besucher tut sich eine schöne, heile Nachhaltigkeitswelt auf, die aber mit der Wirklichkeit und den drängenden Problemen der Menschen in diesen Weltregionen nichts zu tun hat.

Das Label One World gibt vor, Arm und Reich säßen endlich im gleichen Boot. Aber die auf der EXPO zur Schau gestellte Entwicklungsideologie legitimiert die bestehenden absolut ungleichen Lebensbedingungen auf der Welt. Zukunftsweisende Technologien sollten, wenn überhaupt, nur in den Industrienationen Anwendung finden. Modernste Informations- oder Gentechnologie soll hier zu Lande (unter Vorbehalten) einen Weg in die Zukunft weisen. Den Ländern der Dritten Welt aber werden die Früchte des technologischen Fortschritts weiterhin verschlossen bleiben.
Die Zukunft der Industrieländer soll daher von zunehmender Effizienz geprägt sein, die der Entwicklungsländer hingegen von Suffizienz – sprich Genügsamkeit. Vom Wohlstandskuchen sollen sie auch in Zukunft offenbar nicht mehr als ein paar Kriseninterventionen und Nothilfeprogramme abbekommen. Gelinde gesagt, ist das eine zwar bequeme, aber trostlose Eine-Welt-Vision. Wir sollten uns ihr verweigern.

Aitak Walter-Barani ist Teamerin im Jugendklub Get Alive Frankfurt e.V. (JUGA). Der JUGA organisierte in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen in den letzten zwei Jahren u.a. Austauschprojekte mit Ghana, Brasilien und Indien. Der JUGA ist offizieller EXPO-Veranstalter und wird dabei gesponsert von One World. In der Woche vom 1.-6. August ist der JUGA vor Ort aktiv und sucht dafür noch Mitstreiter. Get-Alive-Kontakt: Tel. 069 240059-30, eMail juga@gmx.de.

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