01.11.2006

Bio-Milch: nicht gesünder, aber dafür teurer

Kommentar von Alex A. Avery

Alex Avery fordert dazu auf, nicht alles zu schlucken, was „gesünder“ sein soll.

Immer wieder macht in den Medien die Mär die Runde, Bio-Milch sei gesünder als herkömmliche. Der heraufbeschworene Unterschied zwischen beiden ist jedoch zu vernachlässigen. Zwei Cents mögen doppelt so viel wert sein wie einer, aber diese Wertdifferenz macht noch lange nicht wohlhabend.
Kern der Debatte ist die Rolle der sogenannten Omega-3-Fettsäuren. Diese Fettsäuren sind essenziell, d.h., sie müssen mit der Nahrung aufgenommen werden, da sie der menschliche Körper nicht selbst herstellen kann. Sie kommen insbesondere in Seefischen wie Makrele, Sardine, Sardelle oder Thunfisch, aber auch in Leinsamen-, Soja-, Walnuss- und Rapsölen vor. Lange Zeit ging man – auf Basis überaus zweifelhafter und dünner wissenschaftlicher „Beweise“ – davon aus, dass diese Fettsäuren vor Herz- und Krebserkrankungen schützen.
In Großbritannien hat kürzlich eine Forschergruppe – finanziert von der organischen Lebensmittelindustrie, aber dies nur am Rande – verkündet, dass konventionelle Milch 40 Prozent weniger Omega-3-Fettsäuren enthalte als Milch aus biologisch betriebenen Kuhhöfen. Diese Feststellung wurde als „signifikant“ bezeichnet, und die britische Presse griff das Thema auf. Eine Zeitungsschlagzeile lautete: „Bio-Milch: Sie sieht gut aus, sie schmeckt gut, und endlich wurde auch bewiesen, dass sie uns gut tut.“
Andere Unterschiede zwischen herkömmlicher Milch und Bio-Milch konnten die Forscher nicht feststellen. Der Gehalt von Omega-3-Fettsäuren reichte der Biolobby jedoch aus, um von der britischen Regierung das Recht zu fordern, diese Milch als „gesünder“ vermarkten zu dürfen. Die für die Festlegung und Einhaltung von Lebensmittelstandards zuständige British Food Standards Agency sagte eine Überprüfung der Angelegenheit zu, zeigte sich aber eher skeptisch. Zu Recht: Immer wieder in den letzten Jahrzehnten hatten Hersteller von Biolebensmitteln die Überlegenheit ihrer Erzeugnisse gegenüber „konventionellen“ Lebensmitteln betont, ohne dass dies nachgewiesen werden konnte.
Auch die aktuelle Studie gibt wenig Anlass, diese skeptische Grundhaltung aufzugeben: Tatsächlich verglichen die Forscher lediglich Weidekühe mit solchen, die vorwiegend mit Heu und Futtergetreide gefüttert werden. Der britische Bio-Standard legt fest, dass das Bioviehfutter im Jahresmittel zu mindestens 60 Prozent aus Gras oder gelagertem Heu bestehen muss. Hierdurch wird die Menge an Futtergetreide wie auch die Futtermenge insgesamt begrenzt. Kühe aus konventioneller Landschaft würden, wenn mit der „Bio-Diät“ gefüttert, Milch mit demselben Omega-3-Fettsäuregehalt produzieren. Während das Klima auf den britischen Inseln es zulässt, Milchkühe fast während des ganzen Jahres mit Gras zu füttern, stammt US-amerikanische und kanadische Biomilch überwiegend von Kühen, die mit Futtergetreide, Soja und Heu gefüttert werden. Der Omega-3-Fettsäuregehalt britischer Bio-Milch ist daher in der Regel höher als der von nordamerikanischer. Zudem ist zu berücksichtigen, dass in beiden Ländern auch viele konventionelle Milchhöfe Gras verfüttern und lediglich in den kalten und trockenen Monaten auf Fertigfutter zurückgreifen.
 

„Um den Omega-3-Fettsäuregehalt eines Drei-Euro-Lachsfilets zu erreichen, müsste man zwischen 27 und 40 Liter Bio-Milch trinken.“



Außer Acht ließen die Forscher des Weiteren die Tatsache, dass der Omega-3-Fettsäuregehalt von Milch erheblichen Schwankungen ausgesetzt ist, sowohl jahreszeitlich als auch geografisch. Es ist also geradezu unmöglich zu wissen, ob die als gehaltvoller vermarktete Bio-Milch tatsächlich ihr Versprechen hält.
Unabhängig davon ist Milch für unsere Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren gänzlich unerheblich, wie auch immer sie hergestellt wird. 100 Gramm Lachs enthalten 60- bis 90-mal mehr Omega-3-Fettsäuren, als man durch das Trinken von 200 Milliliter Bio-Milch an zusätzlichem Omega-3-Fettsäuregehalt gegenüber konventioneller Vollmilch zu sich nimmt. Um in etwa den Omega-3-Fettsäuregehalt eines Drei-Euro-Lachsfilets zu erreichen, müsste man zwischen 27 und 40 Litern teurer britischer Bio-Milch trinken. Der Gehalt von „gesunder“, fettreduzierter Milch ist sogar noch geringer, da neben unterschiedlichen Fetten auch Omega-3-Fettsäuren entfernt werden.
Futterproduzenten haben die öffentliche Aufregung um Omega-3-Fettsäuren aufgegriffen und setzen dem Tierfutter entsprechend angereicherte Öle zu. Geforscht wird auch nach Wegen, Getreidesorten zu züchten, die mehr Omega-3-Fettsäuren enthalten und kostengünstiger, ergiebiger und weniger naturverbrauchend sind, als es die Biolandwirtschaft ist.
Eine weitaus wichtigere Frage ist aber, ob die Omega-3-Fettsäuren tatsächlich die Wirkung auf unsere Gesundheit haben, die ihnen zugeschrieben wird. Jüngste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass dem nicht so ist. Eine in diesem Jahr im Journal of the American Medical Association veröffentlichte umfassende Analyse der bisher zu dieser Frage betriebenen Forschung kommt zu dem Schluss, dass erhöhter Konsum von Omega-3-Fettsäuren nicht zu einer Reduktion des Krebsrisikos führt. Das British Medical Journal schließt sich in seiner eigenen Bewertung von Studien der letzten fünf Jahre dieser Einschätzung an. Langkettige und kurzkettige Omega-3-Fettsäuren hätten keinen eindeutigen Effekt auf die durch Herz- und Gefäßerkrankungen oder durch Krebs verursachte allgemeine Sterblichkeit, heißt es dort.
Tatsächlich gibt es also auch weiterhin keinerlei Beweise dafür, dass Bio-Milch gesünder ist als konventionell erzeugte: Daran konnte die 50 Mrd. US-Dollar schwere Bioindustrie in den letzten 50 Jahren nichts ändern, es wird ihr auch künftig nicht gelingen. Milch bleibt Milch. Sollten Sie sich wirklich um den Omega-3-Fettsäuregehalt Ihrer Nahrung sorgen, empfehle ich Ihnen, das Geld für Biolebensmittel zu sparen und Ihre Familie zum Abendessen in ein gutes Fischrestaurant einzuladen.

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