29.03.2016
Bekenntnisse eines Ökomodernisten
Essay von Martin Lewis
Martin Lewis teilte in den 1970er-Jahren eine romantische Vorstellung der Natur, die im Fortschritt eine Gefahr sah. Feldforschung auf den Philippinen sollte seine Haltung ändern.
Die Umweltschutzbewegung kam vielen von uns, die wir in den wuchernden Vororten der großen Metropolen groß wurden, gerade recht. Ich bin in Walnut Creek, etwa 40 Kilometer östlich von San Francisco, aufgewachsen, inmitten eines Flickenteppichs alter Baugebiete und alter Obstgärten. Das war in meiner Kindheit ein wahrer Abenteuerspielplatz. Meine Freunde und ich fanden unser Paradies entlang des Walnut Creek, eines bescheidenen kleinen Bachs mit passablen Stellen zum Schwimmen und einem überraschenden Artenreichtum.
Doch als ich älter wurde, wichen die Obstgärten immer neuen Bebauungsgebieten, während der Walnut Creek selbst durch das Pionierkorps der Armee in einen nahezu sterilen Betonkanal verwandelt wurde. Vorstädte wie Walnut Creek, die zu Beginn jenes epochalen Jahrzehnts noch das Beste der städtischen Annehmlichkeiten mit ländlicher Erholungsmöglichkeit verbanden, erschienen an dessen Ende einfach nur noch schrecklich konformistisch. Die Verwandlung vorher angenehmer und vielfältiger Vororte zu auf den Autoverkehr zugeschnittenen Neubaugebieten erschien symptomatisch für eine Moderne, die bei ihrer unbedachten Hingabe zum Fortschritt vom rechten Weg abgekommen ist.
Auch meinen Eltern bereitete die Suburbanisierung Walnut Creeks Kummer und so zog unsere Familie, als ich 14 war, 160 Kilometer weiter nach Osten, nach Calaveras County im Vorgebirge der Sierra Nevada. 1970 war Calaveras eine hinterwäldlerische Gegend mit weniger als 14.000 Einwohnern und keiner einzigen Ampel. Dort fand ich nicht nur ein Naturidyll vor, sondern auch eine soziale Herausforderung. Die Jungs meines Alters wollten zwar genau wie ich durch die Hügel stapfen, aber sie wollten dabei auch so viel wie möglich rumballern und abknallen.
Hippies und Ökobewegung
Doch innerhalb weniger Jahre gerieten die Dinge in Bewegung. Die Gegenkultur brach auch über Calaveras County herein. Für einige Hippies aus der Haight-Ashbury und anderen städtischen Enklaven hieß es nun „Raus aufs Land“ und so zogen sie an die Nordküste und in die Vorgebirge der Sierra Nevada. Meine bis dahin sonderliche und präpubertäre Identifikation mit der Natur war nun cool an unserer Schule. Ich fand meinen Platz in der Gesellschaft und neue Freunde, die für die Hippies draußen im Wald schwärmten. Wir kultivierten unsere Verachtung für alles, was mit der Moderne zu tun hatte. Unsere überholte Zivilisation, so redeten wir uns ein, war dabei unterzugehen, um bald durch eine neue Ordnung, auf einer höheren Ebene des ökologischen Bewusstseins, ersetzt zu werden.
„Wir waren in unserem Nonkonformismus ziemlich konform“
Nach meinem Highschool-Abschluss kam nur ein College in Frage: die Universität von Kalifornien in Santa Cruz, bekannt für ihren großen und prächtigen Campus, radikale Politik und ihre Atmosphäre der Gegenkultur. Ich fand mein ideales Hauptfach in der Ökologie, mit erstklassigen Naturgeschichtekursen und einer Weltanschauung, die meiner glich. John Muir, Rachel Carson, Aldo Leopold und Lewis Mumford wurden meine weltlichen Heiligen. Fast alle meine Kommilitonen hatten ähnliche Ansichten, denn wir waren in unserem ausgesprochenen Nonkonformismus ziemlich konform.
Nahezu einstimmig sagten wir der amerikanischen Landwirtschaft ihren Untergang um das Jahr 2000 voraus, bedingt durch Bodenerosion und chemische Kontamination. Unser gemeinsames Credo war, dass der Wandel zu einer gutartigen, solar-basierten Wirtschaft nur von den Machenschaften der Ölfirmen und dem zögerlichen Unwillen des Staates, die nötigen Subventionen dafür bereitzustellen, aufgehalten wurde.
Am College in Santa Cruz brauchte man neben der Ökologie noch ein zweites Hauptfach, also musste ich mich noch woanders umschauen. So kam ich schließlich zu den Geowissenschaften, inspiriert durch eine großartige Exkursion zur Geologie Kaliforniens. Gerade mein Geologiestudium jedoch war es, der das meine erste ökologische Glaubenskrise auslöste. Das Problem war das weltweite Verschwinden großer Teile der Megafauna am Ende der letzten Kaltzeit am Übergang vom Pleistozän zum Holozän, vor etwa 12.000 Jahren. Ein Sommer, den ich mit Recherchen für meine Abschlussarbeit verbrachte, überzeugte mich, dass die Schuld dafür eigentlich bei den Menschen lag. Doch diese Einsicht verstörte mich hochgradig, denn die „Naturvölker“, frei von westlichen Ideologien und kapitalistischen Motiven, sollten doch eins mit der Natur sein, unfähig, ihr wirklich Schaden zuzufügen.
Weitere Zweifel kamen auf, als ich in meinem Abschlussjahr eine spekulative Abhandlung über die historische Geschichte der Beziehung zwischen Menschen und Elefanten für einen Archäologiekurs schrieb. Elefanten, so habe ich gelernt, können eine Landschaft gründlich verändern, wenn sie in großer Anzahl darin vorkommen. Sie verwandeln Baum- in Grasland. Welche Lebensräume, so fragte ich mich, mag man wohl vorgefunden haben im noch unbesiedelten Nordamerika, in dem damals mehrere Arten von Mammuts, Mastodonten, Bäume ausreißenden Riesenfaultieren elefantöser Größe und VW-käferartiger Glyptodonten lebten? Die Natur, die ich so sehr liebte, erschien mir nicht länger sehr natürlich, eher wie ein Relikt der menschlichen Ursünde.
Auch wenn die historischen Grundfesten meiner idyllischen Philosophie nun erschüttert waren, blieb ich dennoch bei der Überzeugung, dass das moderne Wirtschaftssystem auf seinen Untergang zusteuerte. Von daher kam mir die Idee, Karriere zu machen, nie in den Sinn. Nach meinem Collegeabschluss 1979 beschloss ich, dem ersten Teil meiner Maxime „Spalte Holz, nicht Atome“ zu folgen. Ein Freund aus der Highschool fand für mich in Calaveras einen Grundstücksbesitzer, der sein Land zum Teil roden lassen wollte. Er war bereit, Kettensägen zu stellen und klafterweise zu zahlen.
„Die Natur erschien mir wie ein Relikt der menschlichen Ursünde“
Meiner Meinung nach war das zweifach umweltbewusst. Wir halfen nicht nur den Menschen bei der ökologischen und regionalen Beheizung, sondern durch das Entfernen der Strauchvegetation erledigten wir auch die Aufgabe, die ursprünglich von Mammuts, Riesenfaultieren und Glyptodonten übernommen worden war. Doch als wir erst einmal bei der Arbeit waren, zeigte sich, dass es sich kaum lohnte, den weitläufigen Bewuchs zu entfernen; ohne hydraulischen Spalter bestand die einzige Möglichkeit zur Existenzsicherung darin, lange, relativ gerade Bäume zu fällen. Aber auch hier war das Einkommen gering und die Arbeit erschöpfend.
Im Spätsommer erzielten wir unseren einzigen profitablen Tag, in dem wir zwei großartige Schwarznussbäume zu Brennholz verarbeiteten. Die Stelle schien kahl ohne die beiden Bäume und die Einsicht, dass zwei solch spektakuläre Bäume im Kamin enden sollten, verhöhnte meinen jugendlichen Idealismus.
Ich verließ das Brennholzgeschäft und versuchte mich als Arbeiter auf den örtlichen Baustellen, bevor ich gewissermaßen in ein einträglicheres Geschäft stolperte. Die Hippies, die sich in den Wäldern des Calaveras County in den frühen 1970er-Jahren angesiedelt hatten, bauten nun Premiumhanf an. Sie waren gerne bereit, jungen Leuten, die ihnen bei der Verarbeitung ihres Produktes halfen, hohe Löhne zu zahlen. Doch als ein enger Freund, der sich etwas zu sehr in die Untergrundökonomie vorgewagt hatte, wegen Cannabisanbaus zu einem Jahr im Bezirksgefängnis verurteilt wurde, sah ich ein, dass das Risiko zu hoch war.
Ökologie in der Wissenschaft
Nachdem ich jede andere Alternative zu einer geregelten Arbeit in der kapitalistischen Wirtschaft ausgeschöpft hatte, nahm ich 1980 den einzigen alternativen Pfad, der mir doch verblieben war: Ich bewarb mich für ein Aufbaustudium. Als ich im Herbst des Jahres 1981 in Berkeley eintraf, um Geographie zu studieren, fand ich eine Fakultät vor, die in zwei sich bekriegende Lager gespalten war. Die Fakultät wurde seit Langem mit Carl O. Sauer (1889–1975) identifiziert. Diese überragende Figur hatte die destruktive Ausbeutung der Natur durch den Menschen schon lange verdammt, bevor es Mode wurde.
Erst kürzlich war die Fakultät das Zuhause für eine bedeutende Gruppe von marxistischen Gesellschaftstheoretikern geworden, für die die Geographie eher bequemes Heim als dauerhafte Leidenschaft war. Man tolerierte sich, zumindest solange sich beide Gruppen auf ihre gemeinsame Ablehnung der kapitalistischen Moderne fokussierten. Doch in meinem dritten Jahr wendeten sich die Dinge zum Schlechteren, als mein Studienberater Bernard Q. Nietschmann während des Sommers eine Forschungsreise nach Ostnicaragua unternahm und zu Beginn des Herbstsemesters nicht erschien.
„Verschiedene Lager einte die Ablehnung der kapitalistischen Moderne“
Nietschmann war ein Kulturökologe, der sich den Rechten der Ureinwohner verschrieben hatte, ein Romantiker, der glaubte, die indigenen Völker lebten im Einklang mit der Natur: mit weniger Bedürfnissen und weniger Zerstörung in einem Reich von ursprünglicher Fülle. Statt sich mit „Selbstversorgung zu begnügen“, so behauptete er, würden sich die Stammesbauern, Jäger und Sammler bei der „Selbstversorgung vergnügen“. Denn sie arbeiteten, wenn man das so nennen darf, nur wenige Stunden am Tag und widmeten den Rest des Tages der erquickenden Muße und gemeinschaftsstärkenden Aktivitäten. Solch ein idyllisches Leben, so deutete er an, sei unser Geburtsrecht, wenn wir es doch nur wieder zurückerlangen könnten.
Nietschmann forschte vor allem bei den Miskito. Sie rebellierten, aufgebracht durch Landbeschlagnahme und den Zwang, Spanisch sprechen zu müssen, gegen die marxistischen Sandinisten, die das Land regierten. Durch die Fakultät gingen Gerüchte, dass Nietschmann Waffen an die Rebellen liefere. Als er fünf Wochen nach Semesterbeginn zurückkehrte, beschuldigten ihn die örtlichen Marxisten als Konterrevolutionär und CIA-Strohmann. Als ein Kommilitone und ich versuchten, ihn in einem Artikel zu verteidigen, wurden auch wir geschmäht.
Feldforschung auf den Philippinen
Diese Episode steigerte nur meinen Respekt für Nietschmann und seine Bemühungen, die Kulturen und Gemeinschaften der indigenen Völker zu dokumentieren und zu bewahren. Ein Mann war bereit, sein Leben für das zu riskieren, woran er – und auch ich – glaubte. So begab ich mich im folgenden Jahr auf die Philippinen, um dort mit den Feldforschungen für meine Dissertation zu beginnen. Ich studierte das komplexe, multiethnische Dorf Buguias in den Kordilleren im Norden der Insel Luzon, wo die örtlichen Bauern einige der wohl spektakulärsten Terrassen der Welt bewirtschafteten. Es war eine Reise, die meine Ansichten, meine Ideologie und meine Karriere nachhaltig verändern sollte.
Die Trennlinie zwischen Kulturgeographie und Ökotourismus mit schmalem Budget kann schon ziemlich schmal sein. Ich entdeckte Nordluzon während einer fünfmonatigen Tour durch Südostasien im Sommer vor Beginn meines Aufbaustudiums. Die Gegend war großartig, die Leute waren freundlich und ihre Kultur faszinierend. Die Landschaft präsentierte sich auch als intellektuelles Mysterium, das mich reizte: Warum sollte das schroffe Bergland so meisterhaft geformt werden, während das umgebende Tiefland mit relativ fruchtbaren Böden nur dünn besiedelt war und dort ineffiziente landwirtschaftliche Praktiken vorherrschten?
„Die traditionellen Praktiken änderten sich mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten“
Als ich mit dem Aufbaustudium begann, las ich die Fachliteratur über das Bergland Nordluzons, wodurch das Mysterium geklärt wurde. Die Forderungen der spanischen Kolonisatoren nach Steuern und Bekehrung zum Christentum führten zu einem Exodus ins Hochland. Konfrontiert mit der Aussicht, ihre traditionelle Lebensart aufgeben zu müssen, flohen die Einwohner in die Berge und unternahmen dort unglaubliche Anstrengungen, Terrassen an steilen Abhängen zu bauen. Dort konnten sie weiterhin ihre Ahnen verehren und sich ohne koloniale Einmischung oder Steuerverpflichtungen um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Doch blieben noch einige Rätsel, da die unterschiedlichen ethnischen Gruppen auf sehr unterschiedliche Weise auf die Herausforderungen ihrer rauen Umwelt reagierten. Um mehr zu erfahren, wählte ich für meine weiteren Forschungen ein Dorf am Kreuzungspunkt dreier Sprachgruppen.
Was ich im Folgejahr bei meinen Feldstudien im Dorf Buguias entdeckte, war von meinen Vorstellungen weit entfernt. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die wirtschaftliche Grundlage dieser Gegend komplett verändert. Die Subsistenzlandwirtschaft war verschwunden, als die Dorfbewohner entdeckten, dass sie ihre ökonomische Lage verbessern konnten, indem sie Gemüse aus den gemäßigten Breiten für den landesweiten Markt anbauten. Die Nachfrage nach Kohl, Kartoffeln und Karotten ist in der Nachkriegszeit gestiegen, aber solche Produkte können im heißen und schwülen Tiefland der Philippinen nicht profitabel angebaut werden. Im kühlen Hochland dagegen gedeihen sie prächtig. Zur Zeit meines Eintreffens widmete sich fast jeder im Dorf gänzlich dem profitorientierten Gemüseanbau. Das Einkommen aus dem Gemüseanbau wurde genutzt, um Reis, Brot, Dosenfisch und weitere Lebensmittel aus anderen Teilen des Landes zu besorgen.
Die traditionellen Praktiken, für deren Erhalt die Leute so hart gekämpft hatten, änderten sich mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten. Jetzt wurde die animistische Religion, die von ihren Anhängern stolz als Heidentum (oder wie in der Formulierung eines Stammesältesten: „unser heidnisches Buguias-System“) bezeichnet wurde, nicht mehr durch die Subsistenzwirtschaft gestützt, sondern durch moderne Intensivlandwirtschaft. Aufwändige Festmahle, eine alte indigene Praxis, waren immer noch der Höhepunkt des gesellschaftlichen und religiösen Lebens. Doch nun hatten sie sich den wirtschaftlichen Veränderungen angepasst und neue Funktionen erhalten, wie die ökonomische Umverteilung sowie den sozialen Ausgleich in einer zunehmend kommerziellen und transaktionsbasierten Wirtschaft.
„Das Leben war schrecklich. Wir aßen nur Süßkartoffeln“
Entschlossen, einige Leute zu finden, die sich dem Wandel widersetzten und den alten Praktiken der Selbstversorgung treu geblieben waren, verbrachte ich einen ganzen Tag damit, zu einem entfernten Weiler zu traben. Dort wollte ich eine alte Frau interviewen, damit sie mir detaillierte Informationen zur alten Zeit preisgebe. Sie lehnte ab und sagte mir lediglich (in ihrer Muttersprache Kankana-ey): „Das Leben war schrecklich. Wir aßen nur Süßkartoffeln.“ Viele weitere Interviews bestätigten ihre Geschichte. Mit Ausnahme der kleinen Dorfelite hatten die Leute aus Buguias im frühen 20. Jahrhundert fast nie Reis probiert und sie bekamen nur dann Fleisch und Fett, wenn die rituellen Festmahle abgehalten wurden. Praktisch jeder, den ich interviewte, war der Auffassung, dass das neue kommerzielle System der alten Subsistenzwirtschaft vor dem Zweiten Weltkrieg bei weitem überlegen war. Sogar in den entlegensten, unzugänglichsten Weilern warteten die Leute darauf, dass endlich Waldwege planiert würden, damit auch sie mit dem Gemüseanbau beginnen konnten.
Heidnischer Kommerz
Als ich mich in die örtliche Geschichte vertiefte, entdeckte ich, dass die Kommerzorientierung Buguias eigentlich nicht neu war. Schon vor dem Krieg lebten die meisten Menschen vor allem von dem, was sie anbauten. Doch die Dorfelite, jene, die die Gesellschaft gänzlich dominierten, waren schon immer durch und durch Händler gewesen. Sie betrieben finanziell anspruchsvollen Handel über große Distanzen hinweg. Sie transportierten Eisenwerkzeuge und Kupferkochgeschirr von örtlichen Werkstätten bis in die entlegenen Weiler des Nebelwaldes am Hauptkamm der Kordilleren, wo sie gegen die in den Eichenwäldern gemästeten Schweine eingetauscht wurden. Die Schweine wiederum wurden in die Goldgräberdörfer an der anderen Seite von Buguias heruntergeführt. Die Bergleute hatten eine große Nachfrage nach Schweinefleisch, zum einen, weil sie keine eigenen Lebensmittel produzierten, zum anderen, weil sie mit dem Opfer von Hochlandschweinen (Tiere aus dem Tiefland genügen nicht) ihre Ahnen ehrten, wenn sie einen bedeutenden Fund machten. Sie hatten auch schon Zugang zu Bargeld, da sie ihr Gold im Tiefland verkauften.
Die Handelsbarone von Buguias waren somit umfänglich mit Geld versorgt, das meiste davon gaben sie für die eigenen prestigeträchtigen Festmahle aus. Als in der veränderten philippinischen Wirtschaft der Nachkriegszeit kommerzielle Anbaumöglichkeiten auftauchten, waren sie eifrig mit dabei. Zu dieser Zeit entstanden neue Vermögen, vor allem bei denen, die die Bauern mit dem versorgten, was sie zum Anbau brauchten, wie Saatgut, Dünger und Pestizide. Die Dorfelite verlieh auch Geld an die gemeinen Dorfbewohner, damit auch sie den neuen Lebensstil annehmen konnten. Dennoch blieben das Geldverdienen und die Festmahle eng miteinander verbunden. Die größte Zeremonie, der ich beiwohnte, kostete zehntausende Dollar und verköstigte über einige Tage hinweg Tausende von Leuten. Sie wurde in einer nahegelegenen Markstadt von einem Paar abgehalten, das den örtlichen Coca-Cola-Vertrieb führte und einen „Rastplatz mit Disko und einen Hahnenkampfplatz“ besaß.
„Für den Gläubigen waren die Marktpreise das Reich der Vorfahren, eine gespenstische Form der unsichtbaren Hand“
Trotz ihrer beträchtlichen Ausgaben profitierte die lokale Elite vielfach von den prestigeträchtigen Festmahlen. Dasselbe Ritualsystem forderte von der Mittelschicht jedoch einen hohen Tribut. Jeder, der eine respektable Position behaupten wollte, musste gelegentlich eine Zeremonie abhalten und diejenigen, die sie nicht bezahlen konnten, wurden in die Schuldnerschaft gezwungen. Meine eigenen Nachbarn, beide bescheiden bezahlte Schullehrer, wurden von ihrem eigenen kleinen Fest fast ruiniert.
Der Ausstieg aus dem Prestigesystem war für die meisten keine Option. Die Religionsführer, so stellte sich heraus, waren auch die wichtigsten Geldverleiher. so konnten sie die Gemeinschaft kontrollieren. Die Aussteiger verloren ihren Zugang zu Krediten, eine Entwicklung, die für sie wegen des äußerst schwankenden Gemüsemarktes potenziell ruinös war. Niedrige Preise konnten eine Ernte nahezu wertlos machen. ohne die Fähigkeit, sich Geld zu leihen, um die Kosten für die Investitionen der nächsten Saison zu decken, konnten nur wenige den Zorn der Stammesältesten riskieren.
Die Preisschwankungen des Gemüses, genauso wie das entschiedene Bekenntnis zur Erhaltung der Traditionen, bildeten das Grundgerüst des gesamten Systems, wie sich herausstellte. Für den Gläubigen waren die Marktpreise das Reich der Vorfahren, eine gespenstische Form der unsichtbaren Hand. Daher galt es, die Ahnen zu ehren und mit regelmäßigen Festmahlen zu besänftigen.
Die heidnischen Philosophen der Gemeinde entwickelten, was kaum überrascht, eine Theorie, nach der die Schulden einen essentiellen Leim der Gesellschaft darstellen. Sie mokierten sich ständig über junge Männer, die mit dem Schleppen von vierzig Kilogramm schweren Gemüsesäcken innerhalb weniger Stunden genug Geld verdienen konnten, um den Rest des Tages in Muße zu verbringen. Der einzige Weg, aus ihnen verantwortungsvolle Erwachsene zu machen, so wurde mir immer wieder erzählt, sei der Zwang zur Heirat, bei der die Hochzeit so teuer würde, dass sie noch Jahre später ihre Schulden abzubezahlen hätten.
„Vorher hatte ich die moderne westliche Gesellschaft als ökologisch destruktiv angesehen“
Über den Machterhalt der Elite hinaus hatte das Ritualsystem Buguias verheerende Folgen für die Umwelt. Gaben die Vorfahren ein gutes Omen, gewöhnlich geweissagt durch eine Leberschau, dann wurden riskante Anbaustrategien unternommen, wie zum Beispiel Karotten an einem erdrutschgefährdeten Steilhang zu pflanzen. Wie in vielen animistischen Religionen üblich, glaubte man an Geister, die bestimmte Stellen bewachten, vor allem Quellen und Bäche. Aber wie sich herausstellte, konnten diese übernatürlichen Wesen einfach bestochen werden. Man konnte einen ganzen nebelwaldbewachsenen Gipfel einfach planieren und dabei einige von Geistern bewachte Plätze demolieren, wenn man nur ein paar Hühner opferte (und danach aß). Heilige Quellen konnten dazu benutzt werden, Rückenspritzen für Fungizide auszuwaschen, so lange man nur ein kurzes Gebet sprach (in der Regenzeit wurden Fungizide recht sorglos alle paar Tage angewendet). Die Wildtiere genossen dagegen keinerlei spirituellen „Schutz“. Praktisch alles wurde gejagt und verschlungen, vor allem von den jungen Gemüseträgern, die gerne Leckerbissen mit starkem Geschmack mochten, während sie billigen Alkohol tranken (Wasserkäfer und Kaulquappen waren besonders beliebt).
Ich war versucht, meine verstörenden Entdeckungen als Ausnahmen abzuschreiben. Nur weil diese bestimmte Form des Animismus umweltzerstörendes Verhalten ermutigte, bedeutete das nicht, dass der Animismus im Allgemeinen – und noch weniger die eigentliche Natur der Stammesgesellschaften – dafür verantwortlich gemacht werden könnten. Das Problem war, dass schon eine kleine Abweichung meine Weltsicht herausforderte. Vorher hatte ich die moderne westliche Gesellschaft als einzigartig gierig, der Umwelt gegenüber gleichgültig und ökologisch destruktiv angesehen. Das konnte ich nun nicht mehr.
Je mehr ich las, umso klarer wurde mir, dass die Praktiken und Einstellungen, die man mit anderen traditionellen Kulturen, wie der antiken chinesischen, in Verbindung bringt, ganz genauso zerstörerisch auf die Umwelt wirken können wie die europäische und deren Ableger. Genauso wie man indigene Kulturen nicht als intrinsisch naturverbunden betrachten kann, kann man auch nichts einzigartig Destruktives am Westen finden. Plötzlich erschienen mir meine abwertenden Ansichten zur Moderne fad und nicht mehr tragbar. Die Ureinwohner Nordluzons wollten schließlich auch nichts mehr, als zu ihren eigenen Bedingungen zur modernen Welt dazuzugehören. Dadurch wurde mir klar, dass viele andere Menschen aus Stammesgesellschaften auf der ganzen Welt genauso denken.
Zweifel am Ökopessimismus
Nachdem meine romantischen Vorstellungen über die Menschheitsgeschichte sich verflüchtigt hatten, begann ich auch meine Ideen über die Zukunft zu überdenken. Ich habe eingesehen, dass keine der Vorhersagen zur ökologischen Apokalypse, an die ich so fest glaubte, tatsächlich eintrafen. Paul Ehrlich hatte uns überzeugend dargelegt, dass die 1980er-Jahre ein Jahrzehnt massiver Hungersnöte und damit einhergehender gesellschaftlicher Katastrophen werden würden. Stattdessen zeigten sich selbst „hoffnungslose Fälle“ wie Indien immer deutlicher in der Lage, ihre eigene Bevölkerung zu ernähren. In den Vereinigten Staaten stiegen die Erträge trotz der Tatsache, dass die Landwirte doch angeblich den Boden durch Monokulturen und chemische Mittel zerstörten.
Die Stagnation bei steigenden Preisen in den 1970er-Jahren sollte sich doch verschärfen, da die Energie- und Rohstoffvorräte erschöpft waren – man musste sich nur die Daten anschauen, die der Club of Rome in seinen Grenzen des Wachstums präsentiert. Stattdessen sanken die Treibstoffpreise und die Wirtschaft erlebte einen Aufschwung. Trotz allem blieben die Untergangspropheten ungerührt, sie verschoben den jüngsten Tag lediglich um wenige Jahre.
„Zur Lösung von Umweltschutzproblemen brauchen wir mehr Modernisierung und Technologie statt weniger“
Im Sommer 1990 begann ich mit den Arbeiten an dem, was einmal mein Buch Green Delusions: An Environmentalist Critique of Radical Environmentalism werden würde. Green Delusions vereinte meine Erfahrungen auf den Philippinen mit meiner Neubewertung der konventionellen Umweltschutzbewegung nach meiner Rückkehr. Während die Umweltschutzideologie uns die indigenen Völker als Bewahrer der Natur anpreist und die modernen Gesellschaften dagegen als ihre Zerstörer geißelt, behauptete ich das Gegenteil. Frühe menschliche Gesellschaften veränderten ganze Landschaften für den Erhalt eines Lebens, das meist scheußlich, brutal und kurz war. Wachsende Bevölkerungszahlen und Reichtum führten zu stärkeren menschlichen Auswirkungen auf die Umwelt, aber moderne Gesellschaften ermöglichen einen wesentlich höheren Lebensstandard mit geringeren Auswirkungen pro Kopf. Während der idyllische Umweltschutzgedanke für eine Rückkehr zu einer vorindustriellen Lebensweise und eine engere Bindung zur Natur wirbt, sprach ich mich dafür aus, zur Lösung unserer gegenwärtigen Umweltschutzprobleme auf mehr Modernisierung und Technologie zu setzen statt auf weniger.
Nach der Veröffentlichung von Green Delusions 1992 wurde mir vorgeworfen, ich böte dem Gegner Schützenhilfe, indem ich die Grundsätze der Bewegung angreife. Um eine gründliche akademische Beurteilung der vielen Zweige der grünen Ideologien zu bieten, beschrieb ich mit großer Sorgfalt die unterschiedlichen Varianten des Ökoradikalismus und verfolgte ihre intellektuellen Ursprünge zurück. Dafür beschuldigte man mich des Erschaffens von Strohmännern – portraitierte ich doch angeblich die abwegigsten Ideen von Ökoextremisten, als wären sie Repräsentanten des ökologischen Mainstreams. Nicolas Wade, Wissenschaftsredakteur der New York Times, behauptete hingegen, ich jagte Ketzer und wollte die Randfiguren zum Schweigen bringen, um die Umweltschutzorthodoxie zu stärken.
Auch wenn konventionelle Umweltschützer und radikale Ökologisten sich nicht auf die genaue Art meiner Sünde einigen konnten, so war das doch letztlich egal. Schließlich betrachten sogar gemäßigte Naturschützer die Ökoradikalen nachsichtig, als wären sie missratene Kinder, die nichtsdestoweniger als prophetische Stimmen in der und für die Natur auftreten. Nachdem ich von der Times falsch ausgelegt und von den Umweltschutzaktivisten und der akademischen Linken angeprangert worden war, fand ich an einem der ungewöhnlichsten und unbequemsten Orte Unterstützung. David Horowitz, der zur neokonservativen Geißel avancierte frühere radikale Linke aus den 1960er-Jahren, lud mich in seine Radiosendung ein. Es fing ganz gut an, bis Horowitz klar wurde, dass ich, obwohl ich die Umweltschützer kritisierte, eigentlich die Umwelt schützen wollte.
„Man muss darüber nachdenken, was eine pragmatische, unideologische Umweltpolitik bieten kann“
Ich erhielt ein Dankschreiben von Norman Levitt, Koautor des damals noch zu veröffentlichenden Buches Higher Superstitions: The Academic Left and Its Quarrels with Science und mutmaßlicher Souffleur der Sokal-Affäre.1 Als Mathematiker mit sozialistischer Neigung betrachtete Levitt die postmoderne Attacke auf die wissenschaftliche Vernunft als reaktionären Verrat an den historisch fundierten Prinzipien der Linken. Ich wurde eingeladen, mich an einer Konferenz und an einem Sammelband zum Thema „Flucht vor Vernunft und Wissenschaft“ zu beteiligen. Aber schnell wurde deutlich, dass viele der Beteiligten engstirnige Reduktionisten waren, die nur streng naturwissenschaftliche Forschung als ernsthaft ansahen. Als historischer Geograph, der eher mit interpretierenden Methoden vertraut ist, passte ich dort nicht hin.
Es ist klar, dass die Grünen nicht an der Art von Selbstkritik interessiert waren, wie sie in Green Delusions steht. Ihre Kritiker hingegen wollten mein Buch nutzen, um Punktsiege zu erzielen, anstatt darüber nachzudenken, was eine pragmatische, unideologische Umweltpolitik bieten könnte. Ermüdet von Debatten mit Umweltschützern und ihren Kritikern, verlegte ich meine Arbeit weg von geographischen Studien und dem Umweltschutzdiskurs.
Die diametral gegensätzlichen Rezeptionen von Green Delusions durch Linke und Rechte prägte meine Arbeit jedoch in einer wesentlichen Hinsicht. Der linken Sicht auf die westliche Gesellschaft als Quell allen Übels entspricht spiegelbildlich das Schlüsselkonzept der Konservativen, das den Westen als Ursprung alles Fortschrittlichen in der Welt betrachtet. Ob nun in der positiven oder der negativen Variante, ein solcher Eurozentrismus kann nur durch ein sehr selektives Lesen der Geschichtsbücher aufrechterhalten werden.
Umweltschutzdenken heute
Es beeindruckt schon, im Rückblick festzustellen, wie wenig sich in den zwanzig Jahren nach der Veröffentlichung von Green Delusions verändert hat. Die neo-malthusianischen Argumente Ehrlichs und seiner Mitstreiter aus den 1970er-Jahren wurden zu wissenschaftlich klingenden Begriffen wie „planetare Grenzen“ und „ökologischer Fußabdruck“ recycelt. Auch wenn sich die Ursache der Umweltapokalypse verschoben hat – damals waren es der Oberboden, Pestizide und Ressourcenknappheit, heute sind es Klimawandel, schrumpfende Biodiversität und nicht spezifizierte planetare Kipppunkte –, so ist das Apokalyptische mit Sicherheit erhalten geblieben.
„Wir sind besser dran, wenn wir Atome spalten und nicht Holz“
Die Grünen ehren auch weiterhin die indigenen Völker als natürliche Bewahrer der Umwelt und glauben noch immer, dass die Revolution der sanften Energien kurz bevorstehe. Auch der idyllische Umweltschutzgedanke entfaltet in der ökologischen Vorstellung weiterhin seine Kraft. Die „Zurück-aufs-Land-Hippies“ von gestern sind die Lokavoren mit ihrem regionalen Speiseplan von heute. Die kurz vor der Jahrtausendwende geborenen Anhänger des Do-it-yourself züchten Hühner und produzieren traditionellen Essig in den Hinterhöfen und Kellern Brooklyns und Berkeleys.
Und doch hat sich etwas Wichtiges verändert. Das Umweltschutzbewusstsein war in den 1970er-Jahren neu. Auch wenn die Untergangsvorhersagen nicht zutrafen, so erschienen sie doch plausibel, genauso wie der Glaube an ein nahes Kommen der neuen Ordnung. Heute hingegen sind radikale ökologische Visionen eher eine kulturelle Einstellung als ein ernsthaftes politisches oder wirtschaftliches Programm.
Im Jahr 2002 kehrten meine Frau und ich nach Nordkalifornien zurück, nach einem Jahrzehnt mit akademischen Stellen in anderen Staaten. Ich bin froh, mehr Pragmatismus zu sehen, der den Idealismus meiner naturliebenden Studenten in Stanford antreibt, als das zu meiner Schulzeit der Fall war. Sie neigen eher dazu, die Technologie als Kraft zu sehen, die zum Erhalt der Natur und zur Hebung der Menschenwürde beiträgt. Es ist kaum anzunehmen, dass die jungen Grünen von heute, besorgt um Klimawandel und Abholzung, Schwarznussbäume roden müssen für die Erkenntnis, dass wir besser dran sind, wenn wir Atome spalten und nicht Holz.