25.08.2015

Australien: Gesundheitsdiktatur in Down Under

Kommentar von Tim Gregg

Australien hat eine Fahrradhelmpflicht und strenge Gesetze gegen Tabak und Alkohol eingeführt, obwohl dort wenig geradelt, geraucht und getrunken wird. Tim Gregg zeigt, dass sein Land auf dem Gebiet der autoritären Gesundheitspolitik eine Führungsrolle einnimmt

Australien ist schon ein komisches Ländchen. Wir haben eine besondere Vorliebe für Regeln und Richtlinien, die uns von anderen rechtsstaatlichen Demokratien abhebt. Kein anderes Land der freien Welt legt dem individuellen Verhalten dermaßen strikte Kontrollen auf – sogar dann, wenn besagtes Verhalten Dritte absolut nicht gefährdet.

Fahrradhelme sind hierfür ein schönes Beispiel. In Australien und Neuseeland als einzigen Ländern auf der Welt besteht der Zwang, Helme zu tragen – sehr zur Irritation ausländischer Besucher. Das Eigenartige daran: Wir fahren nicht einmal gerne Fahrrad. Nur 16 Prozent der Australier nutzen jede Woche ihr Rad. In Dänemark und den Niederlanden liegt diese Quote bei über 40 Prozent. Die Weltmeister des Pedalantriebs scheinen Fahrradhelme nicht für notwendig zu erachten, doch wir Australier haben offenbar irgendeine Veranlassung dazu.

Im Jahr 2011 hat die australische Regierung eines der radikalsten Anti-Tabak-Gesetze der neueren Geschichte eingeführt. Die Einheitsverpackung sollte nicht etwa dem Zweck dienen, unschuldige Passanten vor Passivrauch zu schützen, sondern vielmehr die individuelle Entscheidungsfindung beeinflussen. Australien hat diesen Schritt als erstes Land verfügt. Und dabei weisen wir die niedrigste Raucherrate unter allen Industrienationen auf. Unter 34 OECD-Staaten rangiert Australien beim Tabakkonsum konstant unter den letzten fünf.

„Unserer Gesundheitspolitik fehlt jeder Sinn für Verhältnismäßigkeit“

Als Reaktion auf eine angebliche Alkoholkrise führten wir 2014 die strengste Schanklizenzregelung außerhalb Saudi-Arabiens ein. Ebendiese Krise hat sich mittlerweile als kompletter Mythos erwiesen. Pro Kopf trinken wir heute erheblich weniger als in den 1970er-Jahren, und seit 2007 ist unser Konsum in jedem Jahr zurückgegangen. Unter den OECD-Staaten gibt es heute 14, die mehr trinken als wir, und darin sind noch nicht einmal die Wodka-geschwängerten Lande der ehemaligen Sowjetunion enthalten. Sie suchen eine echte Alkoholkrise? Dann buchen Sie doch bitte einen Flug nach Weißrussland.

Hier ist eindeutig etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Unserer Gesundheitspolitik fehlt jeder Sinn für Proportionen und Verhältnismäßigkeit. Man sollte erwarten, dass die strengsten Gesetze für die schlimmsten Krisen aufgespart werden – in Australien ist dies aber umgekehrt. Verhältnismäßig unbedeutende Probleme werden mit drakonischen, unbarmherzigen Maßnahmen bekämpft. Und indem wir dies tun, treten wir das Recht erwachsener Individuen, über ihren eigenen Lebensstil zu bestimmen, mit Füßen.

Stellt Australien hier etwa eine Ausnahme dar? Brauchen wir all diesen verrückten Regeln vielleicht wirklich? Unterscheiden wir uns dermaßen von unseren europäischen Cousins, die recht gut ohne auszukommen scheinen? Ich gehe nicht davon aus, dass die Australier so außergewöhnlich sind. Ich nehme vielmehr an, dass uns die Volksgesundheitslobby eine große, massive Lüge angedreht hat. Bei uns ist die politische Debatte von einer Bande moralischer Kreuzritter und Neo-Prohibitionisten gekapert worden. Diese haben uns davon überzeugt, dass man uns verantwortungsvolles Handeln nicht zutrauen kann und wir darum vor uns selbst geschützt werden müssen.

„Die Polizei könnte doch stichprobenartige Sonnenschutz-Tests durchführen“

Und wo soll das Ganze noch hinführen? Wenn wir erst einmal akzeptiert haben, dass der Staat unsere grundlegenden Rechte mit der Begründung für nichtig erklären kann, uns dadurch gesünder zu machen, dann schaffen wir einen gefährlichen Präzedenzfall. Stellen Sie sich nur all die Gesundheitsprobleme vor, die gelöst werden könnten, wenn wir unsere individuelle Freiheit aufgäben. Nehmen Sie z.B. Hautkrebs: Australien hat die weltweit höchsten Raten an Melanomen. Warum also nicht die Benutzung von Sonnencreme auf die gleiche Art und Weise erzwingen wie das Tragen von Fahrradhelmen? Das wäre doch nicht so schwer. Die Polizei könnte an unseren beliebtesten Badestränden SSTs (Stichprobenartige Sonnenschutz-Tests) durchführen.

Viele von uns besuchen ihren Hausarzt nicht so oft, wie sie es sollten. Dem könnte man dadurch beikommen, dass man einen obligatorischen Halbjahres-Checkup für alle Einwohner vorschreibt. Und für einen verpassten Termin eine Geldbuße verhängt – genau so, als hätte man es versäumt an einer Wahl teilzunehmen. In Australien gilt eine Wahlpflicht: Wenn man die Leute ins Wahllokal zwingen kann, kann man sie auch in die Arztpraxis treiben.

„Was heute noch absurd erscheint, wird schon morgen Realität“

Aber warum da schon aufhören? Um die Fettleibigkeit zu bekämpfen, könnte man verpflichtende Fitness-Programme einführen. Jedermann gesetzlich dazu verdonnern, pro Woche eine Mindestanzahl an Kalorien zu verbrennen. Ein simples Gerät wie der Fitbit [1] könnte unsere Trainingseinheiten aufzeichnen und die Daten an die Gesundheitsbehörde weiterleiten. Und sobald Sie nicht genug Kalorien abgearbeitet haben, dürfen Sie Post vom Amt erwarten.

Ich stimme Ihnen zu: All dies hört sich weit hergeholt an. Und das ist genau mein Punkt: Noch vor ein paar Jahrzehnten hätten die meisten unserer heutigen Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften genauso lächerlich gewirkt. Stellen Sie sich einmal vor: Wer hätte sich vor 40 Jahren eine Geldstrafe von 150 australischen Dollar für das Nichttragen eines Fahrradhelmes vorstellen können? Oder ein Verbot für Kinder, einen Handstand zu machen, ein Rad zu schlagen [2] oder Geburtstagskuchen mit zur Schule zu bringen [3]? Was heute noch absurd scheint, wird morgen schon Realität.

Was uns zur Schlussfrage bringt: Wie wird die australische Gesellschaft in 30 oder 40 Jahren aussehen? Von den heutigen Trends ausgehend, werden wir in einer Art Gesundheitsdiktatur leben, in der ein sauberer Lebenswandel nicht etwa eine Frage der eigenen Entscheidung, sondern vielmehr allgemeine Pflicht ist – eine heilige nationale Mission. Man wird nicht einmal mehr über die eigene Gesundheit und Sicherheit nachdenken müssen, weil der Große Bruder bereits alle wichtigen Entscheidungen für einen getroffen hat. Es ist an der Zeit für eine ernsthafte Diskussion darüber, wo die Volksgesundheitslobby uns hinführt.

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