01.04.2009

Aprilscherz und Sommerloch vom Aussterben bedroht!

Es wird immer schwieriger, jemanden mithilfe einer verfälschten oder erfundenen politischen Nachricht ordentlich in den April zu schicken.

Dass dem so ist, hat zwei eng miteinander in Verbindung stehende Gründe:

Zum einen kann man erfundene Nachrichten kaum mehr von realen unterscheiden. Dass in der Bundesrepublik Gesetze zur Verstaatlichung von Finanzunternehmen erlassen werden, wäre noch im letzten Jahr als Aprilscherz durchgegangen, wahrscheinlich sogar als ein relativ guter. Dass die deutsche Wirtschafts- und Politikelite sich mittlerweile anhört, als sei ihnen das Gründungsdokument von attac ins Hirn implantiert worden, gleichzeitig aber die Linke, die Partei des tumben Antikapitalismus, die eigentlich (wenn sie denn etwas Gehaltvolles zu sagen hätte) von dieser Stimmung profitieren müsste, an Beliebtheit einbüßt, grenzt ebenfalls an scherzhafte Absurdität.

Zum anderen ist es aber auch so, dass es aufgrund der um sich greifenden Absurdität politischer Ereignisse immer schwerer fällt, Nachrichten überhaupt noch Glauben zu schenken. Der Aprilscherz verpufft, wenn alles der Lächerlichkeit preisgegeben wird und gleichzeitig jede Lächerlichkeit unterschiedslos ernsthaft aufgearbeitet wird. Es ist auffällig, dass mit der Zunahme der Lächerlichkeit die Ernsthaftigkeit, mit der das Lächerliche diskutiert wird, ins Bodenlose steigt. Selbst wenn es also gelingt, etwas als tatsächlich „lächerlich“ zu erkennen, verbietet es das von globaler Depression getriebene Menschengewissen, die entstellende Fratze des Lächelns auch nur anzudeuten.

Mit einer ähnlich düsteren Zukunftsperspektive haben neben dem Aprilscherz auch andere Phänomene zu kämpfen, das „Sommerloch“ etwa. Als „Sommerloch“ wurde früher die Zeit bezichnet, in der sich politisch wenig regte, da die Granden in Urlaub weilten, was in der Regel politische Hinterbänkler auf den Plan rief, um mit mehr oder minder sinnvollen und zumeist spektakulären Aussagen in eigener Sache die Werbetrommel zu rühren. In den Zeitungsredaktionen griff man diese Statements nur zu gerne auf, was zum Schlüpfen zahlreicher „Enten“ führte. Doch auch dies geschieht in dieser Form kaum noch, oder eher: Dem Zeitungsleser drängt sich der Verdacht auf, als habe das Sommerloch seine jahreszeitliche Bindung vollends eingebüßt und sich mittlerweile auf das ganz Jahr ausgeweitet.

Man könnte aber auch anders herum argumentieren: Ein Loch beschreibt eine begrenzte Fläche, deren Grund deutlich niedriger liegt als die sie umgebenden Fläche, das „Normale“ ist mithin auf einem deutlich höheren Niveau, wodurch überhaupt erst ein „Loch“ möglich wird. Wenn dieses „deutlich höhere Niveau“ jedoch nicht existiert, steht es schlecht um die Existenz von Löchern. Dem Sommerloch geht es also an den Kragen – nicht nur wegen des Klimawandels, sondern auch wegen des Verlustes der Fähigkeit von Politikern, sich nicht wie Hinterbänkler aufzuführen.

Was bleibt ohne Aprilscherz und Sommerloch? Eine eingeebnete und zugleich bodenlose Monokultur, die zwischen ernstgenommener Lächerlichkeit und lächerlicher Ernsthaftigkeit, aber insgesamt weit unter Normal Null changiert, und zwar so sanft, dass wir nicht geweckt werden. An nasse Füße müssen wir uns gewöhnen. Schlafen Sie gut.

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