01.03.2004

Antikriegspolitik als Affentheater

Analyse von Mick Hume

Mick Hume wundert sich über britische Regierungsgegner, die an Lord Hutton glaubten und dabei vergaßen, was Opposition bedeutet.

Wozu die ganze Aufregung? Fünf lange Monate wurde uns erzählt, der Hutton-Bericht werde ein entscheidendes Ereignis in der politische Ära sein, der Tag der Abrechnung für Tony Blair. Als der Bericht Ende Januar 2004 endlich veröffentlicht wurde, beklagten viele, dass Lord Hutton die Regierung nicht über den Haufen geworfen oder gar die Welt verändert habe. Rufe wie „Reinwascherei“ oder „Betrug“ waberten durch die britischen Medien. Vielen Kritikern, die ihre Hoffnungen in Hutton gesetzt hatten, bleibt nun nichts anderes übrig, als sich selbst zu kritisieren.

Die Vorstellung, wegen des Selbstmordes eines Staatsdieners mittleren Ranges eine nationale Dringlichkeitsuntersuchung einberufen zu müssen, war von Anfang an recht bizarr. Noch abwegiger aber war die Hoffnung vieler, eine solche Untersuchung würde der Regierung den Prozess machen und sie tatsächlich des Mordes für schuldig befinden. Jene Blair-Kritiker, die hofften, Hutton werde ihren Job erledigen, haben das Gegenteil bewirkt. Indem sie die Untersuchung aufbauschten, haben sie Bemerkenswertes erreicht: Die New Labour Regierung ist entlastet.

Einige derer, die „Reinwascherei“ riefen, schienen plötzlich erkannt zu haben, dass Lord Hutton ein Mitglied des britischen Establishments ist (man hätte annehmen können, dass der Zusatz „Lord“ ihnen diese Eingebung schon ein wenig früher hätte verschaffen können). Auch sein Ruf, in gnadenloser Serienmäßigkeit britische Staatsfeinde ins Gefängnis gebracht zu haben, während er in Personalunion als Richter und Geschworener den Gerichten in Nordirland vorsaß, hätte darauf hindeuten können, dass Hutton alles andere als scharf darauf war, das Regierungssystem zum Einsturz zu bringen. Es ist die Krönung der Naivität, bei einer solch zentralen Figur des Systems auf Unterstützung zu hoffen und dann geschockt zu sein, wenn sie diese nicht erfüllt.

Aber es gibt hier ein viel größeres Problem als die persönliche Politik eines Richters: Das Hutton-Debakel ist die Folge einer Entwicklung, in der politische Debatten allein auf die Frage nach der Korruptheit der Regierung heruntergebrochen werden. Seit dem Ende der alten Programmatiken von Rechts oder Links dreht sich die Politik nicht länger um den Wettstreit alternativer politischer Prinzipien oder den Konflikt zwischen konkurrierenden gesellschaftlichen Zukunftsvisionen. Stattdessen wurde der Wettbewerb zwischen Politikern zur trivialen Frage nach Persönlichkeit, Charakter und ihren (un-)ehrenhaften Absichten.

Diese Korruptionsbesessenheit stellte den Rahmen dar, in welchem die Untersuchung von der Regierung angesetzt und von Lord Hutton durchgeführt wurde. Die zentrale Frage, auf die alle Seiten eine Antwort verlangten, war nicht etwa „War der Irak-Krieg richtig?“, sondern „Sind Tony Blair, Alastair Campbell und Geoff Hoon Lügner, die die Nation wissentlich fehlgeleitet haben?“. Da ihm von den Angeklagten keine handschriftlich unterzeichneten Bekenntnisse vorgelegt wurden, war auch nur schwer vorstellbar, wie Hutton den Premierminister einer solch ernsten Anklage der Unehrlichkeit für schuldig hätte befinden können.

„Die Antikriegsbewegung hat die Irak-Debatte auf die Frage nach Blairs persönlicher Integrität reduziert.“

Huttons Vorstellung seiner Untersuchungsergebnisse war mit Sicherheit überraschend einseitig und grob (vielleicht sogar für einige Mitglieder der Regierung zu grob). Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass, wie unvoreingenommen man es auch betrachten mag, diese Art hohlen Affentheaters genau das ist, was man erwarten kann, wenn man Politik einzig auf die Korruptionsfrage reduziert. Die Hutton-Untersuchung vermittelte oft den Anschein eines politischen Äquivalents zu Star- und Klatschmagazinen, endlos und en detail auswalzend, wer was zu wem in privaten Mitteilungen gesagt habe. Es wäre lächerlich, würde man von einem solchen Zirkus erwarten, dass er große politische Fragen klärt.

Viele, die gehofft hatten, Hutton könne Blair schaden, führen nun „weiterführende Fragen“ ins Feld, die in der Untersuchung nicht angesprochen worden seien. Solche gibt es in der Tat. Diese Beschwerde geht dann aber dennoch zu weit, vor allem, wenn sie von denen kommt, die in den letzten zehn Jahren Hutton den Weg bereitet haben, indem sie Korruptionsbeschuldigungen, Lügen und Unehrlichkeit zu den zentralen Themen britischer Politik stilisierten.

Politische Debatten konzentrieren sich heute nicht mehr darauf, was Leute tun, sondern, warum sie es tun. Die letzte konservative Tory-Regierung wurde in einem Hagelschauer von Korruptionsvorwürfen zu Fall gebracht. Die New Labour-Regierung wurde immer wieder beschuldigt, ihre Versprechen nicht einhalten zu können. Der Korruptionsstandard wurde zur Meßlatte, anhand derer alle Politiker bewertet werden. Das gilt auch für die „weiterführenden Fragen“ zum Irak-Krieg: So war der zentrale Anklagepunkt der so genannten Antikriegsbewegung, dass Tony Blair trügerische Beweise angeführt habe. Sie reduzierte die Irak-Debatte auf die Frage nach Blairs persönlicher Integrität. Die entscheidende Diskussion über das „Richtig“ oder „Falsch“ einer politisch-militärischen Besetzung eines souveränen Staates wurde dabei ignoriert.

„Offene Diskussionen über New Labours selbsterklärte moralische Verpflichtung, die Welt zu retten, indem es in fremde Länder einmarschiert, stünden uns besser zu Gesicht als sinnlose Untersuchungen darüber, ob die Regierung in Detailfragen gelogen hat.“

Da sie sich offensichtlich in Hutton getäuscht hatten, gaben die Regierungskritiker Blair die Gelegenheit, sich vollständig zu rehabilitieren. Und was wollen sie tun, um ihren Fehler wieder gutzumachen? Sie wollen noch eine Untersuchung, diesmal zur Geschichte „hinter dem Krieg“. Selbst wenn ihnen dieser Wunsch gewährt würde, wäre eine solche Untersuchung wenig mehr als eine weitere großartige Gerichts-Soap mit emotionalen Bekundungen, privaten Enthüllungen und Hinterhältigkeiten, während wir, die Zuschauer, bequem in unseren Sesseln säßen und darauf warteten, dass der Richter Recht spricht. Offene Diskussionen über New Labours selbsterklärte moralische Verpflichtung, die Welt zu retten, indem es in fremde Länder einmarschiert, stünden uns besser zu Gesicht als sinnlose Untersuchungen darüber, ob die Regierung in Detailfragen gelogen hat.

Was nun? Einerseits war es nicht wichtig, zu welchem Schluss Hutton kam. Es war von Anfang an klar, dass das Ergebnis einer solchen Untersuchung nur die Lähmung des politischen Lebens verstärken würde, da es Politiker aller Parteien veranlasst, wie besessen auf der sicheren Seite zu bleiben und blütenrein zu erscheinen. Man bekam eine Ahnung vom angegriffenen Zustand der Politik, wenn man am Tag der Veröffentlichung des Hutton-Berichts das Wortgefecht zwischen Blair und dem Tory-Oppositionsführer Michael Howard verfolgte: Die beiden wichtigsten Parteiführer Englands taten nichts anderes als verschiedene Paragrafen und Unter-Paragrafen des Berichts zu zitierten und sich hinter Hutton zu versteckten, ganz so, als wollten sie sehen, wer ihn am besten wiedergeben könnte. Kein einziges politisches Argument wurde ausgetauscht. Die ganze Tory-Labour-Debatte verkam zu einem infantilen Wettbewerb, in dem es einzig darum ging, wer seinen Gegner am lautesten beschimpfen kann.

Blair hat guten Grund, von Hutton entzückt zu sein. Die letzte aufgeregte Diskussion über ein Aufleben der Tories hat ein jähes Ende gefunden. Diejenigen aber, die jetzt behaupten, Blair sei zurück im moralischen „Hoch“ und kurz davor, einen Neuanfang zu machen, liegen ebenso daneben wie die, die ihn im Januar bereits am Boden sahen. In einem weiteren Sinne hat die Hutton-Untersuchung seine Autorität weiter untergraben. Wir leben in einem Zeitalter der öffentlichen Desillusion und des Zynismus, in dem die öffentliche Meinung den Ereignissen immer gerne eine anti-politische Auslegung zuschreibt. Die Tatsache, dass die Regierung sich bemüßigt fühlte, einen Oberrichter auszudeuten, um ihre eigenen internsten Angelegenheiten zu untersuchen, hat nur die weit verbreitete Meinung bestätigt, dass etwas schief lief und verborgen wurde. Dass dieser Richter die Regierung entlastete und stattdessen den Fernsehsender BBC abwatschte, wird jetzt als ein weiterer Beweis für eine groß angelegte Vertuschungsaktion erachtet.

Frühere Umfragen zeigen, dass die Mehrheit immer noch der BBC-Version der Ereignisse mehr Glauben schenkt als der der Regierung. Das hat zweifelsohne weniger mit der traditionell als fair geltenden Berichterstattung der BBC zu tun als mit ihrer gegenwärtigen Tendenz, als mächtiges Sprachrohr des öffentlichen Zynismus zu fungieren. Schon oft schien die BBC einer Nachrichtenagenda zu folgen, die von der Jagd nach den neusten Skandalen und der populistischen Überzeugung, dass alle Politiker immer lügen, dominiert war. Für diejenigen unter uns, die an einer ehrlichen Debatte über politische Themen interessiert sind, ist dies genauso wenig hilfreich wie das windige Geschwätz der Blair’schen Propagandamaschinerie.

„Anstatt Politiker nach ihren persönlichen Motiven zu fragen, sollte man eher ihre politischen Aussagen in die Mangel nehmen.“

Es bestehen berechtigte Sorgen, dass die BBC aufgrund Huttons harscher Kritik ihre Journalisten und Verantwortliche zu mehr Vorsicht drängen wird. Die beste Antwort darauf wäre wohl, die Qualität der eigenen Arbeit zu erhöhen: Anstatt Politiker nach ihren persönlichen Motiven zu fragen, sollte man eher ihre politischen Aussagen in die Mangel nehmen.
Lange bevor der Hutton-Bericht veröffentlicht wurde, haben wir im Onlinemagazin Sp!ked die Ansicht vertreten, dass eine eventuelle Belastung von Blair kein Grund zu feiern sei, da dies nur die Zyniker-Partei stärken würde – die größte Feindin all jener, die aktive Unterstützung für politische Veränderungen suchen.[1] Aber auch Blairs „Sieg“ ist kein Grund zur Freude. Das eigentliche Thema ist nicht, welche Seite Hutton bevorzugte, sondern, warum die demokratische Debatte überhaupt auf einen „Findet-den-Lügner“-Wettbewerb reduziert und die Entscheidung einem Richter überlassen werden sollte.

Das politische Klima zu verändern und eine Diskussion über „echte Fragen“ zum sozialen Wandel auf die Tagesordnung zu setzen, ist eine große Aufgabe. Dies wird aber nicht gelingen, solange wir erwarten, dass eine offizielle Untersuchung diese Aufgabe für uns erledigt. Wir brauchen weniger Untersuchungen und mehr offene Streitgespräche, weniger „Lügner“-Geschrei und dafür mehr ehrliches Nachdenken über politische Alternativen.

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