01.03.2007

Afrika auf dem Trockenen

Analyse von Stuart Simpson

Über Chinas Aufstieg zum größten nationalen Kreditgeber Afrikas.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat im Dezember 2006 den Umfang der von ihren Mitgliedsstaaten im Jahr 2005, dem „afrikanischen Jahr“, geleisteten Entwicklungshilfe bekanntgegeben: Demnach sind die Ausga­ben – ohne Berücksichtigung der Aufwendungen für den Schuldenerlass – gesunken, insbesondere für die Subsa­hara-Region. Ein am folgenden Tag veröffentlichter Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank warnte indessen vor neuen Kreditoren, vor allem vor China.

Für die ärmsten Staaten Afrikas ist China der größte Einzelkreditgeber: Die chinesische Entwicklungshilfe belief sich im Jahr 2006 bis Oktober auf mehr als 8 Mrd. US-Dollar; demgegenüber brachte es die Welt­bank auf 2 Mrd. US-Dollar im letzten Jahr.1 In Zukunft wird China sogar noch größere Summen investieren. Auf einem Gipfeltreffen Anfang November 2006 in Peking kündigte die Volksrepublik an, sich an einem bereits in den 60er-Jahren geplanten Wasserkraftwerk in Ghana zu beteiligen.

Anstatt aber den Infrastrukturausbau zu begrüßen, drohen westli­che Entwicklungsbanken nun damit, Ghana und andere afrikanische Staaten, die von dem Geld aus Peking profitieren, nicht länger zu unterstützen. Dies würde insbesondere die Länder hart treffen, die sich im Rahmen der „Heavily Indepted Poor Countries Initiative“ (HIPC) bzw. der „Multilateralen Entschuldungsinitiative“ um Schul­denerlass bemühen.

Gegen die Annahme chinesischer Kredite werden vor allem zwei Argumente ins Feld geführt: Zum einen seien diese, anders als Darlehen der Weltbank, an keinerlei Bedingungen geknüpft. Zum anderen würden die HIPC-Länder riskieren, sich erneut hoch zu verschulden. Man mag Weltbankpräsident Paul Wolfowitz – der sich die Korrupti­onsbekämpfung auf die Fahnen geschrieben hat – dafür kritisieren, dass er die Vergabe von Krediten an Konditionen knüpft. Dass China darauf verzichtet, ist indes ebenfalls keine noble Geste. Letztlich hat auch Peking keinerlei Skrupel, mit seinen Muskeln zu spielen und afrikanischen Staaten die Zähne zu zeigen. So drohte China im Vorfeld der letzten Wahlen in Sambia damit, die diplomatischen Verbindungen zu kappen und alle Inves­titionen zurückzuziehen, sollte die Opposition gewinnen. Offensichtlich mit Erfolg: Oppositionsführer Michael Sata verlor die Wahl.

„Geld macht arm!“ – Die neue Maxime westlicher Entwicklungshilfe"

Die Besorgnis der Weltbank und anderer Kreditoren hinsichtlich Korruption und Neuverschuldung teilt China nicht. Das Land verfolgt unbeirrt eigene Interessen. Eben diese Selbstsicherheit und Unbeirrbarkeit Pekings beunruhigt sowohl staatliche wie auch nichtstaatliche westliche Hilfsorganisationen, die Entwicklungshilfe längst zu einer moralischen Angelegenheit gemacht haben und Investoren vorwerfen, aus Rück­sichtslosigkeit oder Eigennutz enorme Geldsummen an korrupte Regierungen zu verschwenden. Finanzinstitutionen wie die Weltbank haben auf solche Vorwürfe reagiert, indem sie den Schuldenerlass an bestimmte Klauseln geknüpft haben. Diese ermöglichen die Finanzierung kleinerer Entwicklungshilfeprojekte, die allerdings von Washington priorisiert und zentral von der Weltbank kontrolliert werden. Darüber hinaus hat jedes Land, das sich für den Schuldenerlass qualifizieren möchte, eine Armutsbekämpfungsstrategie vorzulegen und zu erläutern, wie die von den Vereinten Nationen im Jahr 2000 verabschiedeten Millenniumsziele erreicht werden sollen. Ein eigenes Kapitel des Strategiepapiers ist der Erfolgsmessung zu widmen. Die Geberländer würden afrikanischen Regierungen buchstäblich den Haushalt diktieren, kritisiert der Chefradakteur des ghanaischen Magazins Insight, Kwesi Pratt, in dem 25-minütigen Dokumentar­film „Damned by Debt Relief“ das Gebaren der G8 sowie nichtstaatlicher Organisationen. „Niemand auf der ganzen Welt würde das akzeptieren.“2

Kritiker der Entwicklungspolitik fordern zwar eine Anhebung der Entwicklungshilfequote auf 0,7 Prozent des Bruttovolkseinkom­mens; zugleich warnen sie aber davor, dass umfangreiche Investitionen afrikanische Staaten korrumpieren und ruinieren könnten. So absurd es klingen mag – letztlich sind die großen Finanzinstitutionen sowie deren Kritiker in diesem Punkt einer Meinung: Zu viel Geld macht arm! Fremdkapital ist Startgeld für Diktatoren und der Anfang vom wirt­schaftlichen Untergang. Dass afrikanische Staaten von ihrer Schuldenlast erdrückt würden, sei die Folge des verschwenderischen Umgangs mit Geld; diese Staaten sollten daher vor einer Wiederholung gewarnt sein.

Die volkswirtschaftliche Realität ist von dieser exzentrischen Sichtweise Lichtjahre entfernt. Die Staatsverschuldung ist Folge eines geringen Wirtschaftswachstums und nicht umgekehrt. Das bedeutet: Steigt das Bruttoinlandsprodukt, sinkt die Staatsver­schuldung, sinkt das BIP, wächst der Schuldenberg. Diese Logik gilt für entwickelte Volkswirtschaften ebenso wie für Entwicklungsländer. So stiegen zwischen 1994 und 2004 die ghanaischen Staatsschulden von 5 Mrd. auf über 7 Mrd. US-Dollar, die Staatsschuld betrug jedoch konstant 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.3 Grund dafür ist, dass Ghana – ebenso wie andere HIPC-Länder – in der letzten Dekade positive Wachstums­raten verzeichnen konnte. In einigen Nachbarländern betrug die Wachstumsrate sogar bis zu acht Prozent.

Die Verschuldungsdebatte wird häufig vereinfacht und verfälscht, etwa dadurch, dass die Situation eines Entwicklungslandes mit der eines Konsumenten verglichen wird. Je mehr Geld man sich leihe, desto mehr Schulden habe man und desto schwieriger sei es, diese zu begleichen. Dabei wird aber übersehen, dass es ein großer Unterschied ist, ob Kredite für Konsumgüter oder für Produktionsmittel aufgenommen werden. Das finanzielles Engagement Chinas beweist, dass Peking diesen Unterschied verstanden hat. Dahinter steht nicht der Wunsch und Wille, Afrika der Armut zu entreißen, sondern vielmehr die Einsicht, dass sich Investitionen zur Steigerung der Produktivität auszahlen werden. Dies ist die einzige Bedingung, an die China seine Kreditvergabe knüpft.

Die Argumentation für die westlichen Kreditvergabeklauseln stützt sich vor allem darauf, dass kleinere Projekte, wie der Bau eines Brunnens, für die Bevölkerung von unmittelbarem Nutzen sind. Nichtsdestotrotz ist das eigentliche Anliegen der Entwicklungsinsti­tutionen, den HIPC-Ländern den Zugang zu verzweifelt benötigtem Investitionskapital zu verwehren. Aus Furcht davor, dass Geld die Quelle allen Übels sein könnte, lassen sie afrikanische Staaten buchstäblich auf dem Trockenen sitzen.

Dabei benötigen die HIPC-Länder Kapital mehr als alles andere! Nach dem Konjunkturrückgang in den 90er-Jahren hat die westliche Entwick­lungshilfe einen historischen Tiefstand erreicht; sie ist nur noch halb so hoch wie in den 60er-Jahren. Das beschäftigt sowohl die Kritiker der Geberländer als auch die großen Finanzinstitutionen. Zu Recht, denn mit Schuldenerlass allein ist es nicht getan. 50 Mrd. US-Dollar sind zwar eine gewaltige Summe; den Armen wird sie aber in den nächsten Jahren nur minimale Erleichterung verschaf­fen. Denn am Ende gilt auch hier: Nur Bares ist Wahres! Der Schul­denerlass stellt eine unentgeltliche Vermögensübertragung an das Ausland dar, die bilanztechnisch zwar die Vermögensbestände, nicht aber das Einkommen beeinflusst.

Eine Steigerung des Einkommens ist nur möglich, wenn die gewach­senen Vermögensbestände genutzt werden, um neue Schulden auf­zunehmen. Und hier offenbart sich das Dilemma des Schuldenerlas­ses: Er kann nur dann funktionieren, wenn auch weiterhin Entwicklungshilfemittel zur Verfügung gestellt werden. Paradox an der Situation ist, dass die westlichen Investoren dieser doppelten Pflicht nicht nachkommen können (oder wollen), die Weltbank aber damit droht, jedweden Versuch, an günstiges Kapital zu kommen, mit einer Verringerung der bereitgestellten Gelder zu ahnden.

China, nicht um Korruption und Schuldenlast besorgt, orientiert sich allein an Rendite- und Strategieüberlegungen und führt damit dem Rest der Welt vor Augen, dass es den rohstoffreichen afrikanischen Staaten realistische Chancen einräumt, sich zu profitablen Wirtschaftsstandorten entwickeln zu können. Derlei Überlegungen sind auch der Weltbank nicht fremd:

„Afrika ist auf dem Sprung, dem seit den 70er- und 80er-Jahren anhaltenden wirtschaftlichen Abwärtstrend ein Ende zu setzen“, so der für Afrika zuständige Weltbank-Vizepräsident, Gobind Nankani. „In den vergangenen zehn Jahren konnten wir wiedererstarkendes Wachs­tum und verbesserte politische Führung in einer ganzen Reihe afrikanischer Staaten beobachten, die damit die Voraussetzungen geschaffen haben, um die Vorteile einer sich rasch verändernden Weltwirtschaft zu nutzen.“

In einer der letzten Ausgaben des Economist wurde die Vermu­tung angestellt, dass die finanziellen Probleme der Weltbank über­trieben dargestellt würden, da der Kampf gegen Korruption am wir­kungsvollsten durch das Zurückhalten von Geldern geführt werden könne. Solange aber Schul­denerlass und Korruption die Richtung der Entwicklungspo­litik beherrschen, werden die Finanzinstitutionen damit fortfahren, Entwicklungsländern die notwendige Unterstützung zu versa­gen.

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