01.02.2019

Quote ersetzt Demokratie

Von Johannes Richardt

Das Brandenburger Parité-Gesetz macht die Gesellschaft unfreier, ungleicher und undemokratischer.

Für viele war gestern ein großer Tag auf dem Weg in einer gleichere Gesellschaft. „Brandenburg führt repräsentative Demokratie ein“, titelte die taz gar. Hintergrund: Der brandenburgische Landtag hat auf Initiative der Grünen und mit den Stimmen der rot-roten Regierung das sog. Parité-Gesetz verabschiedet. Dies soll zukünftig für eine 50-50 Vertretung von Frauen und Männern im Parlament sorgen. Parteien werden verpflichtet, bei Landtagswahlen gleich viele Frauen und Männer auf den Landeslisten aufzustellen.

Viele Befürworter stellten das Parité-Gesetz in eine Linie mit der Einführung des Frauenwahlrechts im Jahr 1918. Nach dieser Errungenschaft folge nun der nächste logische Schritt: die gleiche Repräsentanz in den Parlamenten. Denn hundert Jahren nach Einführung der ersten deutschen Republik seien Frauen in den Parlamenten mit ca. 30 Prozent (was übrigens auch ungefähr dem Anteil der Parteimitglieder der im Bundestag vertretenen Parteien entspricht) immer noch deutlich schlechter vertreten als Männer.

Die Argumentation könnte schiefer kaum sein. Das Gesetz tritt fundamentale Gleichheitsgrundsätze mit Füßen. Zur Erinnerung: Mit Ausrufung der Republik am 9. November 1918 erhielten nicht nur Frauen erfreulicherweise erstmals das Recht zu wählen. Auch viele Männer waren vorher von der Wahl ausgeschlossen. Zudem zählten – man denke z.B. an das preußische Dreiklassenwahlrecht – nicht alle (Männer-)Stimmen gleich. Es ist eine bemerkenswerte historische Verzerrung, im Kontext des demokratischen Umbruchs von 1918 ausschließlich auf die Diskriminierung der Frauen zu verweisen. Mit der Einführung der ersten deutschen Demokratie wurde erstmals der Grundsatz allgemeiner, freier, geheimer, gleicher Wahlen durchgesetzt. Und gerade dieser Gedanke wird durch das Parité-Gesetz auf eklatante Weise konterkariert.

Quotenbefürworter werfen gerne mit pathetischen Slogans wie „Die Hälfte der Macht für die Hälfte der Menschheit“ um sich. Aber sind Frauen wirklich die einzige unterrepräsentierte Gruppe? Müssen wir, wenn wir der Quotenlogik folgen, nicht auch über andere Quoten nachdenken? Etwa für Menschen mit Migrationshintergrund, aus der LGTB-Community, Arbeiter, Katholiken oder Ostdeutsche? Was ist mit Menschen, die charakterlich oder vom IQ her vielleicht nicht unbedingt für politische Spitzenpositionen geeignet sind? Quoten für Schüchterne und Dumme?

"Tatsächlich gibt es ein massives demokratisches Repräsentationsdefizit. Zu dessen Lösung werden Quoten allerdings nichts beitragen."

Menschen sind zuvorderst Individuen, nicht Angehörige irgendwelcher Gruppen. Sehr viele von uns definieren sich nicht über Merkmale wie Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung und ähnliches, sondern z.B. über persönliche Ziele, Werte oder Ideen. (Kann es sein, dass solche anachronistisch politischen Menschen in den Parteien inzwischen unterrepräsentiert sind?)

Durch den Aufstieg der Identitätspolitik haben in den letzten Jahrzehnten kulturelle und biologische Unterschiede stark an Bedeutung gewonnen. Aus politischen Selbstzuschreibungen wie „Ich als Sozialist, Konservativer oder Liberaler“ wurde „Ich als Frau, Muslim oder Schwuler.“ Dies ist ein Grund dafür, wieso heute viele den Gedanken der Repräsentanz tatsächlich mit der absurden Idee gleichsetzen, dass alle möglichen „Gruppen“ entsprechend ihrer Verteilung innerhalb der Gesellschaft auch in Parlamenten vertreten sein sollen. Die Vorstellung, dass Männer sich etwa genauso gut für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzen können, oder weiße Frauen sich für die Rechte benachteiligter Migrantenjungen stark machen können, ist Anhängern des identitätspolitischen Denkens offenbar fremd.

Tatsächlich heißt Repräsentanz im demokratischen Sinne aber, dass die Vielfalt der gesellschaftlich vorhandenen Interessen und Überzeugungen in den Parlamenten anmessen dargestellt wird. Diesbezüglich gibt es aktuell tatsächlich massive Defizite, zu deren Lösung Quoten allerdings nicht beitragen werden. Vielmehr bedarf es einer Öffnung des politischen Diskurses und der Institutionen, damit sich Demokratie entfalten kann. Die eigentliche Herausforderung, vor der wir stehen, ist das Fehlen echter inhaltlicher Alternativen in der politischen Arena.

Wir haben bereits mehr als genug mittelmäßige und wenig inspirierender Politiker in Spitzenpositionen. Durch die Quoten dürften nicht nur engagierte Männer entmutigt werden, sich in parteipolitische Prozesse einzubringen, weil ihre Chance sinkt, durch eigene Anstrengung in eine einflussreiche Position zu kommen. Gleichzeitig müssen Frauen in Spitzenpositionen mit dem Verdacht leben, ihren Posten aufgrund ihres Geschlechts und nicht ihrer Fähigkeiten erhalten zu haben. So wird Zynismus und Opportunismus gefördert.

In Parteien sollte es um den Wettstreit der besten Ideen und politischen Konzepte gehen. Spitzenpositionen sollten von den politisch Fähigsten besetzt werden. Charakter, Leistung, Ambition, Talent, Eignung sollten über den Erfolg in Parteihierarchien entscheiden. Dass wir von diesem Anspruch in der Praxis weit entfernt sind, ist klar. Aber Quoten sind nicht das Mittel ihn zu verwirklichen. Im Gegenteil: Sie lenken den Fokus vom persönlichen Engagement auf angeborene Merkmale und stehen somit der Verwirklichung echter Gleichheit im Weg, die eben gerade nicht Ergebnisgleichheit für diverse Gruppen bedeutet, sondern gleiche Chancen für ungleiche Individuen.

Zuletzt sei noch angemerkt, dass in einer Demokratie der Demos, also das Volk verstanden als Summe aller mündigen Bürger, der Souverän sein sollte. Und da das Volk mit dem Volk identisch ist, gibt es hier keinerlei Repräsentationsprobleme. Es könnte daher nicht schaden, darüber nachzudenken, wie wir die Rolle des Souveräns stärken können anstatt technokratische Lösungen für Probleme zu entwickeln, die keine sind.

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