20.04.2018

Fehlbildungen im Bildungssystem

Von Christoph Lövenich

Titelbild

Foto: Feliphe Schiarolli via Unsplash / CC0

Bildung, vor allem in der Schule, leidet unter Qualitätsverlust durch kopflose Reformen und unter zeitgeistkonformer Indoktrination.

Bildung kann vielen heute nicht früh genug beginnen. Dass die Beschallung von Föten mit klassischer Musik den Weg zum Wunderkind bereits an der Quelle pflastern soll, hat sogar ein Abspielgerät namens Babypod entstehen lassen, mit dem Schwangere ihre Vagina penetrieren können. Nach der Geburt geht es dann los mit „frühkindlicher Bildung“, da einem Hype der letzten Jahre zufolge die Erfahrungen in den ersten Lebensjahren den weiteren Lebensweg alles entscheidend prägen. Dieser „Mythos vom Determinismus der ‚frühen Jahre‘“ beruht auf fragwürdigen wissenschaftlichen Grundlagen und setzt Eltern unter Druck, dass eine „normale“ Erziehung nicht genüge. Gerade bei den berüchtigten „Hubschrauber-Eltern“, die über Gebühr um ihre Kinder kreisen, fallen solche Trends auf fruchtbaren Boden.

Im nächsten Schritt kommt der Kindergarten an die Reihe. Verbesserte Betreuungsmöglichkeiten kann man begrüßen, allerdings nicht den staatlichen Versuch, die möglichst frühe und möglichst lange Kita-Betreuung der Kleinen zur gesellschaftlichen Norm werden zu lassen. Denn dahinter steht der Wunsch, den Nachwuchs „dem Einfluss ihrer unqualifizierten Eltern zu entziehen“. Auch Tagesmüttern wird gelegentlich die Qualifikation abgesprochen, weil man die Kinder offenbar lieber in formalisierten Einrichtungen aufbewahrt sieht.

In diesem Zusammenhang wird seit Jahren danach gerufen, den Erzieherberuf – heute schon mit höheren schulischen Anforderungen verbunden als früher ­– zu akademisieren. Das spiegelt nicht nur die Erwartungshaltung einiger Latte-Macchiato-Mütter vom Prenzlauer Berg wider, die sich für etwas Besseres halten als im beruflichen Schulwesen Ausgebildete und diesen nicht zutrauen, sich optimal um Kinder zu kümmern. Mein Novo-Kollege Thilo Spahl kritisiert dabei den „ideologischen Hintergrund der Neubewertung des Berufs. Die Erzieherin wird als Entmündigungsagentin instrumentalisiert. Sie soll deshalb so gut bezahlt werden, weil sie die Erziehungsaufgabe der Eltern weitgehend übernehmen soll. Und schlimmer noch: Sie soll nebenbei auch noch die Eltern erziehen und überwachen, ob sie sich in allen Fragen des staatlich definierten guten Lebens vom korrekten Frühstück bis zur behelmten Laufradnutzung konform verhalten.“ Doch auch mit dem heutigen Personal kommt es längst vor, dass Eltern von Erzieherinnen z.B. mit Kritik am angeblich ungesunden, mitgebrachten Frühstückbrot behelligt werden.

Manipulation

Derartige Erziehungsversuche nicht nur an Kindern, sondern auch an Eltern ziehen sich mittlerweile wie ein roter Faden durch die Bildungslaufbahn. Die Zunahme von Ganztagseinrichtungen mit Speiseausgabe sowie Ernährungsthemen im Unterricht ermöglicht, den Kindern zeitgeistübliche einseitige Vorstellungen von gesundem Essen aufzuoktroyieren, auch in der Hoffnung, dass diese selbige zu Hause den Eltern naseweis aufbinden.

„Den meisten Lehrern und Schülern fällt der ideologische Gehalt der vermittelten ‚Bildung‘ selbst gar nicht mehr auf.“

Im Bereich Ökodenken und Klimaphobie findet solch ein Ansatz ebenfalls Verbreitung. Kindern soll, auch über schulische Erziehung, Umweltaktivismus und apokalyptische Angst eingeimpft werden, mit denen sie dann ihre Eltern nerven und zu Verhaltensänderungen anhalten. Den britischen Soziologieprofessor Frank Furedi erinnert dies an seine Kindheit im stalinistischen Ungarn, wo Kinder als „Instrument zur moralischen Erpressung und sozialen Kontrolle“ genutzt wurden. Gleiches galt auch in der DDR, bis hin zur Bespitzelung der eigenen Eltern im Stasi-Auftrag.

Vermittelt wird einschlägiges Denken z.B. über fachfremde Lehrbücher. Der Lehrer Josef Hueber zeigt am Beispiel eines Englischbuches für Gymnasien, wie einseitig dort das Denken der Schüler gegen Atomenergie, Agrargentechnik und menschliche Eingriffe in die Umwelt gelenkt werden soll. „Dabei wird den meisten Lehrern und Schülern – und wohl auch etlichen der Lehrbuchschreiber – der ideologische Gehalt der dort vermittelten ‚Bildung‘ wahrscheinlich selbst gar nicht mehr auffallen; so sehr sind die Prämissen und das Menschenbild der Ökodenke bereits in Fleisch und Blut unserer Gesellschaft übergegangen.“

Unter dem Deckmantel der Gesundheit geht Schule nicht nur mit dem o.g. Bereich Ernährung um. Eine Umwälzung hat sich beim Rauchen ergeben. Nicht nur dahingehend, dass das Thema heute im Unterricht oft nachdrücklicher behandelt wird – keineswegs mit dem Ziel der Mündigkeit, sondern der Abstinenzerziehung. Bis vor zehn Jahren war der Tabakgenuss auf Schulhöfen (z.B. in eigenen Raucherecken) Oberstufenschülern gestattet, bei Jüngeren wurde oft ein Auge zugedrückt. Im Unterricht wurde das Thema meist am Rande mitbehandelt. Dieser eher entspannte Umgang ist der verhärteten Raucherbekämpfung gewichen. Schulen dürfen nach Jugendschutzgesetz unter 18-Jährigen nicht mehr das Rauchen gestatten, Volljährigen ist es nach den Landesrauchverbotsgesetzen auf dem Schulgelände untersagt. In Frankreich wollte man dieses Verbot letztes Jahr lockern, damit die Jugendlichen nicht mehr so auf dem Präsentierteller stehen, wenn islamistische Terroristen mit Maschinenpistolen herumfahren; dieser Vorstoß ist aber nach Klagen von Antiraucherorganisationen gescheitert.

„Schulen entwickeln sich zunehmend zu Indoktrinationsanstalten.“

Schulen entwickeln sich zunehmend zu Indoktrinationsanstalten. Die Liste an Beispielen ließe sich verlängern. So finden allerhand Aktivitäten „gegen Rechts“ statt, wobei nicht immer klar wird, wogegen diese sich eigentlich richten und ob sie eine offene Auseinandersetzung über wichtige politische Fragen anstreben – oder vielmehr politisch korrektes Verhalten vermitteln sollen. Womöglich von derlei Erwartungshorizonten genervt hat mal ein Jahrgang einer westfälischen Realschule bei einer Wahlsimulation zu einem Viertel für die NPD votiert. Lohn dieser Provokation: Ihr Schulausflug in einen Freizeitpark wurde abgesagt.

Reformpädagogik

Derartige, am eigentlichen Auftrag der Schule, Kenntnisse zu vermitteln, vorbeigehende Entwicklungen sind das eine. Das andere ist die fachliche Qualität der Schulbildung, die ebenfalls Veränderungen erfahren hat. Hier mag man vielleicht an die Pisa-Tests der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) denken, in denen Deutschland eine Zeit lang schlecht abgeschnitten hatte. Dazu stellt der Kölner Bildungsphilosoph Matthias Burchardt klar: Die an wirtschaftlichen Kriterien orientierte OECD dramatisiert die Ergebnisse statistisch, um einen „medialen Schockeffekt“ zu erzielen, der bildungspolitische Veränderungen zu Wege bringen soll. „Eine gleichförmige Gestaltung der einzelnen Bildungssysteme weltweit“ sei das Ziel der Organisation. „Inzwischen trainieren wir Pisa und schneiden ja auch besser in der Studie ab – aber unsere Bildung hat sich faktisch verschlechtert. Was Pisa testet, ist nicht Bildung, sondern Pisa-Kompetenz. Das ist eine Verkümmerungsform.“

An Pisa allein liegt es aber nicht. Seit Jahrzehnten verbreiten sich allerlei schulpädagogische Reformideen, nicht selten vom 68er-Geist geprägt, das Bestehende blindwütig zu ersetzen durch etwas, das keineswegs als Verbesserung taugt. Die Rechtschreibkompetenz leidet durch unsinnige Moden wie dem „Schreiben nach Gehör“, flüssige Schreibschrift wird in den Grundschulen nicht mehr anständig gelehrt, in Fremdsprachen wird Vokabelnlernen „megaout“ und statt klassische Aufgaben zu lösen, erstellen Schüler in Gruppenarbeit Mindmaps. Offenbar macht in der akademischen Pädagogik sowie in der Kultusbürokratie der gesunde Menschenverstand eine ausgedehnte große Pause.

„Kompetenzen als Selbstzweck funktionieren nicht.“

Zu den Megatrends der jüngeren Vergangenheit gehört das „Kompetenzlernen“ – statt Wissen sollen Schüler diverse Kompetenzen erlernen. Eigentlich eine Scheinalternative, denn Schule hat schon immer Kompetenzen vermittelt, Sprachkompetenz etwa, und nie nur reines Wissen, sondern immer auch dessen Anwendung. Heute aber werden Inhalte verdrängt durch „Methoden- und Verfahrenskompetenzen, Handlungs-, Urteils-, Entscheidungs- und Sachkompetenzen“. Die Rolle des Lehrers als aktiver Kenntnisvermittler von „instruktivem, fachbezogenen Unterricht“ wird in die von „Lernberatern‘ oder ‚Moderatoren“ umdefiniert. Durch sog. „selbstgesteuertes Lernen“ wird dem Lehrer die Steuerungsfunktion genommen und die Schüler lernen ineffizienter.

Und Kompetenzen als Selbstzweck funktionieren nicht. „Die so genannten Schlüsselqualifikationen sind lernbar, aber nicht lehrbar“, führt die Lernforscherin Elsbeth Stern aus. „Wenn die Kinder als Übung zur Sozialkompetenz gemeinsam frühstücken, dann lernen sie dabei nicht, wie man einem anderen Kind eine Mathematikaufgabe erklärt. Der Inhalt ist eben nicht egal.“ „Gerade die Kompetenzorientierung verhindert die Kompetenzentwicklung“, meint der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann. Seiner Auffassung zufolge muss das eigenständige Denken wieder mehr gefördert werden statt nur der Einsatz erlernter Kompetenzen nach Ansage. Ins gleiche Horn stößt Soziologe Furedi anhand eines Beispiels: Statt Freude am Lesen als Selbstzweck zu wecken, betonen Schulen die Lesekompetenz und schrecken Schüler damit eher ab.

Hochschulen

Weitere Faktoren wie etwa die G8-Schulzeitverdichtung für Gymnasien in vielen Bundesländern (jetzt wieder auf partiellem Rückzug), die Lernen eher erschwert hat (und außerschulische Betätigung), kommen hinzu. Als nächste Bildungsetappe folgt für viele die Hochschule. Auch hier zeigen sich deutliche Tendenzen in Richtung politische Korrektheit einerseits und Vermittlungsschwierigkeiten andererseits, letztere beeinflusst durch geringere Studiertauglichkeit, die wiederum mit den angesprochenen Defiziten in der schulischen Vorbereitung zu tun hat.

„Bachelor und Master haben das weltweit angesehene deutsche Diplom zerstört.“

Hinzu kommt die EU-weite Vereinheitlichung der Studienstrukturen durch den Bologna-Prozess. Bachelor und Master haben das weltweit angesehene deutsche Diplom zerstört und zu seltsamen Studiengängen wie „Doing culture. Bildung und Reflexion kultureller Prozesse“ oder „Kindheitswissenschaften und Kinderrechte“ geführt, während man früher durch Diplom- oder Magisterabschluss noch etwas Definierbares wie Physiker, Historiker oder Agraringenieur wurde. Zu den diversen Problemen durch die Bologna-Reformen gehören Verschulung, Bürokratisierung und einseitige Orientierung an einem Kreditpunktesystem. Die freie Entwicklung nach dem Humboldt’schen Bildungsideal bleibt dabei auf der Strecke. Da diese Art von (teils Schmalspur-) Studium als neue Norm gilt, mangelt es in einigen dualen Ausbildungsberufen an Bewerbern. Wenn aber Hochschulen ihren früheren Bildungsanspruch aufgeben, werden sie dadurch noch lange nicht die besseren Berufsausbildungsstätten.

Fehlentwicklungen im Bildungsbereich sollten ernster genommen und korrigiert werden. Zwar steht der berüchtigte Programmpunkt der Anarchistischen Pogo-Partei (APPD), „die ultimative und totale Rückverdummung der Menschheit“, noch nicht unmittelbar bevor. Doch zunehmender Indoktrination und Volksverdummungs-Pädagogik gehört ein Ende bereitet. Zugunsten einer Bildung, die sich nicht für den Zeitgeist instrumentalisieren lässt, sondern auf Erwerb von Wissen und Fähigkeiten setzt, den Nachwuchs sowohl begeistert als auch fordert.

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