01.03.2023

Unterirdischer Protest

Von Christian Zeller

Titelbild

Foto: herbert2512 via Pixabay / CC0

Zwei Klima-Aktivisten hatten sich in Lützerath unter Tage eingegraben, um so einen besonderen Rahmen für ihre Selbstpräsentation zu schaffen. Nach kurzer Zeit war der Spuk vorbei.

Während der Räumung des Dorfes Lützerath Mitte Januar verschanzten sich zwei Aktivisten in einem unterirdischen Tunnelsystem. Ein Bild, das in den Medien die Runde machte, lässt tief blicken in die Sozialisationsbedingungen der Generation Z: In spannungsreicher Eleganz rahmen der lilafarbene Blumenstrauß zur Rechten und die mitgebrachte Fensterfront zur Linken die beiden jungen Männer mit ihren martialischen Gesichtsstrümpfen und den dunklen Sonnenbrillen. Locker sind die Hände der Protagonisten, die sich „Pinky“ und „Brain“ nennen, übereinandergelegt. Selbst mit ein paar Tonnen Erdreich über dem Kopf gibt man sich tiefenentspannt.

Abb. 1: Klima-Aktivisten in ihrer unterirdischen Bleibe, Youtube-Screenshot zit. n. taz.

Die kongeniale Melange aus tiefbürgerlicher und revolutionärer Ästhetik wirkt wie eine ironische Kommentierung jener Ikonik, die uns die sozialistischen Heldensagen der Neuen Sozialen Bewegungen der 1960er Jahre hinterlassen haben. Es ist geradewegs so, als hätten sich Che Guevara und Subcomandante Marcos auf ein Stamperl Biedermeierlikör getroffen. Selbst während der Revolution achtet man darauf, dass man es irgendwie gemütlich hat, und Hauptsache das Internet bricht nicht zusammen. Man will ja posten. Wahrscheinlich wäre ohne die permanente interpersonale Verbundenheit, an die uns die digitale Technik hat gewöhnen lassen, dieser Weg ins Erdreich nie unternommen worden.

Eine Sprecherin der Gruppe „Lützerath lebt“ erläuterte der anwesenden Presse die Motive der Tunnelbauer: „Die beiden haben sich zu dem Schritt entschieden, weil sie sich als Anarchist*innen nicht nur für den Erhalt von Lützerath engagieren wollen, sondern sich auch als Teil des Kampfes gegen die Klima-Krise, gegen den Braunkohle-Abbau weltweit und für die befreite Gesellschaft einsetzen wollen." Bereits die Klebe-Proteste der Klimaaktivisten sind alles andere als frei von Paradoxien. „Pinky" und „Brain" dürfen sich allerdings auf die Fahnen schreiben, den Klimaprotest auf eine neue Stufe der inneren Widersprüchlichkeit gehoben zu haben. Sich in einem Tunnel verschanzen, um für die befreite Gesellschaft einzutreten? Sich vergraben, um Öffentlichkeit herzustellen?

In den 1970er Jahren hätten die sich in Lesegruppen versammelnden Revolutionskommandos das vielleicht als dialektisch bezeichnet. Im kapitalismuskritischen Klimaprotest des Jahres 2023 wird allerdings nicht mehr theoretisch dahergeredet, sondern vielmehr werden die Widersprüche nur noch emphatisch gelebt, und dies nun auch unter Tage – nachdem bereits wahlverwandte Aktivisten ein lichtdurchflutetes, impressionistisches Gemälde von Monet mit Kartoffelbrei übergossen haben, um dem demokratischen Souverän das Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr abzupressen. Ist der Umstand, dass sich die Aktivisten nun in diese unterirdische Sphäre hinabbegeben haben, gar eine Reminiszenz an die Bergarbeiter, die mit ihrer leibschindenden Arbeit die Voraussetzung für den Wohlstand geschaffen haben, auf dem sich nun die Haltung des radikalen Dagegenseins entfalten kann?

„Ausgerechnet das subjektive Bewusstsein, an der Emanzipation der Gesellschaft zu arbeiten, vernebelte offenbar den Blick auf die bereits existierende Realität der Freiheit, die einen solchen Protest ermöglicht.“

Die beiden Aktivisten müssen für ein derart semi-professionell anmutendes Tunnelsystem einen ungeheuren planerischen und physischen Aufwand getrieben haben. Es verfügte offenbar sogar über Vorrichtungen, mit denen man sich unter Tage festketten konnte. Wäre es nicht günstiger, wenn Menschen, die zu so etwas in der Lage sind, ihre Kapazitäten dafür einsetzen, innovative Technologien zu entwickeln, um die Herausforderungen des Klimawandels aktiv zu gestalten?

Plastischer als die Tunnelbauer von Lützerath kann man kaum illustrieren, was der spröde Begriff des „performativen Widerspruchs" meint: Das, was man sagt, widerspricht dem, was man tut, wenn man es sagt. Während nämlich die beiden Aktivisten unter Tage an unserer ‚Befreiung‘ arbeiteten, machten sich die Feuerwehr und das Technische Hilfswerk in der oberirdischen Welt Gedanken darüber, wie man die Höhle belüften kann, damit die Herrschaften dort unten nicht ersticken. Zugleich schloss die Polizei, der unter anderem von Greta Thunberg bereits vor ihrem Einsatz eine bedenkliche Gewaltbereitschaft attestiert worden war, eine Bergung mit schwerem Gerät aus, um das Leben der ‚Befreier‘ und deren potentieller Retter nicht zu gefährden. Ganz ungeniert baute die Initiative „Lützerath lebt“ auf das Erpressungspotential, dass mit der Gefährdung der beiden Aktivisten unter Tage verbunden war. Hier wurde – ähnlich, wie dies bei den Klebeprotesten zu beobachten ist – auf genau jene verlässliche moralische Integrität staatlicher Akteure gesetzt, die ihnen andererseits wiederum streitig gemacht wird, um den Protest überhaupt erst zu rechtfertigen.

Ausgerechnet das subjektive Bewusstsein, an der Emanzipation der Gesellschaft zu arbeiten, vernebelte offenbar den Blick auf die bereits existierende Realität der Freiheit, die einen solchen Protest faktisch ermöglicht. Glaubte man in der Höhle wirklich, dass in einer Gesellschaft ohne allgemeingültige Regeln dem Klimawandel wirkungsvoller entgegengetreten werden kann als in einer, in der man bisweilen verantwortungsvolle Abwägungen auf der Grundlage demokratisch gesetzter Normen vornehmen muss? Ein Lichtblick der Vernunft, immerhin: Das Revolutionskommando verließ, mit Tarnfleck-Rucksack und Karabiner am Hosenbund, ihr Erdloch am 17. Januar letztlich doch freiwillig, lässig mit ihrem Blumenstrauß grüßend.

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