18.12.2023

Unkritisch reisen: Kuba

Von Niels Hipp

Titelbild

Foto: TimanLindh via Pixabay

In Kuba gibt es nicht nur Strände und Zigarren, in dem Land kann man auch kommunistische Mangelwirtschaft live erleben.

Unsere heutige „unkritische“ Reise führt uns vom Orient weg, und zwar nach Kuba, einem Inselstaat in der Karibik, den ich im November 2022 besucht habe. Dieser Titel bedeutet nicht, dass keine Kritik am Reiseland geübt werden soll, sondern setzt der Schlagseite in Sendungen wie der WDR-Dokureihe „Kritisch reisen“ etwas entgegen.

„Sozialismus. Die gescheiterte Idee, die niemals stirbt“, lautet der Titel eines sehr lesenswerten Buchs von Kristian Niemietz. Im Buch werden verschiedene Sozialismusmodelle der letzten 100 Jahre aufgeführt und die Beurteilung derselben durch verschiedene Intellektuelle. Eines dieser Beispiele ist Kuba. Seit 1959 ist Kuba kommunistisch und hat – im Gegensatz zu Osteuropa – keinen Politik- und Systemwechsel nach 1989 erlebt und auch nicht – wie in China oder Vietnam – die Einführung der Marktwirtschaft unter einer Kommunistischen Partei. Der Generationswechsel wurde in der kubanischen Politik endgültig 2021 vollzogen, als der nach der Revolution von 1959 geborene Miguel Díaz-Canel Erster Sekretär der Kommunistischen Partei Kubas wurde.

Vom Wirtschaftssystem her liegt Kuba näher an Nordkorea als an China. Es gibt allerdings kleine private Unternehmen, etwa in der Gastronomie. Vieles, was dort man essen und trinken kann, wird aus Mexiko, teilweise auch aus Kolumbien oder Spanien importiert. Für Kubaner mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von umgerechnet 160 Euro (Deutschland: 4150 Euro brutto bei Vollzeitarbeit) ist diese private Gastronomie allerdings zu teuer. Die staatliche Gastronomie wiederum glänzt durch leere Regale. Dort gibt es in der Regel nichts zu kaufen, die Angestellten vertreiben sich die Zeit mit ihrem Handy.

Da sich die Versorgungslage in den letzten Jahren verschlechtert hat, sieht man permanent Kubaner beim Schlangenstehen. Touristen mit einer ausländischen Kreditkarte können in staatlichen Läden, vergleichbar den Intershops in der DDR, einkaufen. Dort gibt es zwar mehr, aber oft sehr viel vom selben, so dass es an der Produktvielfalt mangelt. In dieser Mangelwirtschaft kauft man, auch als Tourist – der nicht in einer Reisegruppe unterwegs ist oder in speziellen Hotels etwa in Varadero übernachtet –, was es gerade gibt. Man stellt sein Einkaufsverhalten komplett um. So erwirbt man z.B. – bei ganzjährig tropischen Temperaturen mit hoher Luftfeuchtigkeit – Wasser für 2 US-Dollar pro Flasche (eben habe ich in einem deutschen Supermarkt 27 Cent für eine 1,5-Liter-Flasche bezahlt) und kauft sie auch, wo man sie sonst nicht kaufen würde, etwa in einem teuren Hotel.

„Unser kubanischer Fahrer sagte, dass niemand in seiner Familie dem Regime glaube. Wie viele Deutsche wohl an ‚ein grünes Wirtschaftswunder‘ glauben, das uns Olaf Scholz verspricht?“

Viele Kubaner sind unzufrieden, was zu einer hohen Auswanderungswelle gerade Richtung USA führt. Aus Sicht der kubanischen Mangelwirtschaft sind die USA tatsächlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

In Kuba, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert der größte Zuckerproduzent der Welt war, mangelt es heute sogar an Zucker. Dabei sind die klimatischen Bedingungen für den Anbau ideal: Die Temperaturen liegen ganzjährig meist zwischen 25 und 30 Grad Celsius und es regnet viel, es herrscht eben tropisches Klima. Die prachtvollen Paläste in der Stadt Trinidad zeugen noch heute vom Boom des 19. Jahrhunderts. In der Nähe von Trinidad, im Valle de los Ingenios (Tal der Zuckermühlen), wurden Zuckerrohr-Plantagen mit Hilfe von Sklavenarbeit bewirtschaftet, bis  zur Abschaffung der Sklaverei 1886. 1958 – also vor der Revolution – wurden 6 Millionen Tonnen Zuckerrohr geerntet, zuletzt nur noch 480.000 Tonnen, was den kubanischen Eigenbedarf von 700.000 Tonnen Zucker pro Jahr deutlich unterschreitet. Das erinnert an Venezuela, wo im ölreichsten Land der Welt Benzinmangel herrscht. Es gilt der alte DDR-Witz: „Was passiert, wenn die Sahara sozialistisch wird? Zehn Jahre nichts, dann wird der Sand knapp“.

Trotzdem gibt es in Europa Bewunderung für das kubanische Wirtschaftsmodell: Zum Tod von Fidel Castro 2016 pries Sahra Wagenknecht Kuba, da es „kostenfrei“ Bildung und Gesundheit zur Verfügung stelle und sich von den „imperialistischen“ USA befreit habe. In altstalinistischer Tradition unterdrückt das kubanische Regime auch politische Freiheitsbestrebungen.

Ähnlich wie in unserem kürzlich „unkritisch bereisten“ Land Iran begegnet einem in Kuba auch viel Propaganda, natürlich ideologisch ganz andere als im nahöstlichen Gottesstaat. „Hasta la victoria siempre“ (Immer bis zum Sieg) liest man häufiger. Viele Kubaner wissen, was sie davon zu halten haben. Unser Fahrer sagte, dass niemand in seiner Familie dem Regime glaube. Wie viele Deutsche wohl an „ein grünes Wirtschaftswunder“ glauben, das uns Olaf Scholz verspricht?

„In den Großstädten bekommt man – auch außerhalb der Hotels – warmes Essen, Sie dürfen aber oft keine große Auswahl erwarten.“

Wenn Sie die o.g. Unannehmlichkeiten  – und die zumindest in der Provinz oft stundenlangen Stromabschaltungen – akzeptieren, dann wartet ein tolles Reiseland auf Sie. Traumhafte Landschaften finden Sie nicht nur im Viñales-Tal. Viele Städte sind schön anzusehen, auch Havanna, und zwar trotz des teilweisen Zerfalls der Bausubstanz. Bezogen auf kulturelle Sehenswürdigkeiten kann keine andere Insel der Karibik mithalten, auch nicht die auf der kubanischen Nachbarinsel gelegene Dominikanische Republik, kleinere Inseln wie Curaçao erst recht nicht. Bei einem Badeurlaub in Varadero oder Cayo Coco werden Sie vom Mangel  – auch vom Strommangel – nicht viel mitbekommen. (Für reinen Badeurlaub dürfte sich aber die Dominikanische Republik besser eignen). Es gibt darüber hinaus seit 1959 westliche Revolutionsromantiker, die Kuba bereisen, und dort etwa das Museum und Monument für Ernesto „Che“ Guevara in Santa Clara besuchen.

Reisen Sie möglichst von November bis April, außerhalb der Hurrikan-Saison. Wenn Sie nicht mit einer Gruppe unterwegs sein möchten, dann würde ich Ihnen einen Fahrer empfehlen. Aufgrund des Benzinmangels kann eine Mietwagenrundreise nämlich schwierig werden, gerade im strukturschwachen Osten von Kuba. Bei den Hotels dürfen Sie bezüglich des Essens oft nicht wählerisch sein: In einem Vier-Sterne-Hotel in Holguín war Brot Mangelware, in Cienfuegos gab es keine Eier usw. In den Großstädten bekommt man – auch außerhalb der Hotels – warmes Essen, Sie dürfen aber auch hier oft keine große Auswahl erwarten. Außerdem sind die Preise ziemlich hoch. Und decken Sie sich immer rechtzeitig mit Wasser ein – das gilt selbst in der Hauptstadt Havanna.

Weltruf genießen kubanische Zigarren. Auch wenn das Land insgesamt durch Mangelwirtschaft und politische Repressionen gekennzeichnet ist, so ist es für Raucher ein verhältnismäßig liberales Pflaster: Es gibt dort keine Ekelbilder, kein „Plain Packaging“ und man erlaubt Werte bei Zigaretten, z.B. Kondensatwerte, die in der EU verboten sind. Außerdem sind Zigaretten billig, sie kosten nur ca. einen Euro pro Packung. Tja, der „freie Westen“, das war mal.

„Das wirtschaftliche Erbe ist verbraucht“, so das bittere Fazit des in der DDR aufgewachsenen Hannes Bahrmann in seinem Buch „Abschied vom Mythos“. Kuba ist eine wunderschöne Insel, die leider seit Jahrzehnten durch sozialistische Planwirtschaft wirtschaftlich ruiniert wird. Durch den Regierungswechsel 2021 hat sich keine politische oder wirtschaftliche Liberalisierung eingestellt. Wenn Sie bei ihrer Reise mit – zumindest bei Individualreisenden – nicht unerheblichen Entbehrungen auskommen, dann können Sie in Kuba einen tollen Urlaub erleben. Und Sie werden hiesigen Verzichtspredigern zukünftig (noch) kritischer gegenüberstehen.

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