16.11.2023

Unkritisch reisen: Iran

Von Niels Hipp

Titelbild

Foto: Ninara via Flickr / CC BY 2.0 Deed

Iraner haben gelernt, die Propaganda ihres Regimes nicht allzu ernst zu nehmen. Dieses stellt eine wirtschaftliche und kulturelle Belastung dar. Dennoch gibt es interessante touristische Ziele dort.

Heute setzen wir unsere „unkritische Reise“ fort. Dieser Titel bedeutet nicht, dass keine Kritik am Reiseland geübt werden soll, sondern setzt der Schlagseite in Sendungen wie der WDR-Dokureihe „Kritisch reisen“ etwas entgegen. Unsere heutige Reise führt uns in den Iran, den ich im Jahr 2014 einmal besucht habe. Die Lage dort hat sich seitdem nicht grundlegend geändert.

„Die Zeitungen schienen von einem ganz anderen Land zu sprechen, das keinerlei Berührungspunkte mit dem täglichen Leben hatte, das wir führten. Und genauso verhielt es sich mit dem Rundfunk", so der britisch-ungarische Autor Arthur Koestler in der Ukraine 1935. An dieses Zitat fühlt man sich auch beim Iran erinnert. Dort glaubt kaum jemand den Staatsmedien. Die meisten Menschen wissen, dass da nur Propaganda verkündet wird. Es besteht ein Verbot, Instagram und Twitter zu nutzen, also nutzen sie VPNs. Auch mein damaliger Reiseleiter nutzt diese Technik.

Eine andere Art der Propaganda ist, dass man überall im Iran die Gesichter von Khomeini, der 1979 die Islamische Republik Iran gründete, und Khamenei, der seit 1989 als „Revolutionsführer“ faktisches Staatsoberhaupt des Iran ist, an verschiedenen Gebäuden vorfindet. Darüber, darunter oder dazwischen liest man oft Propagandasprüche. Als ich den Reiseleiter bat, mir den Schriftzug zwischen Khomeinis und Khameneis Gesicht zu übersetzen – die Nationalsprache Farsi wird in arabischen Buchstaben geschrieben – tat er dies sofort. Der Spruch besagte grob, wie toll doch alles im Iran war. Der Reiseleiter kommentierte das ganz lapidar: „Alles Quatsch! Alles Propaganda!“

In einem Museum in Yazd stand auch ein Spruch von Khamenei, und zwar unterhalb seines Gesichts und des Gesichts von Khomeini. Dort war geschrieben, dass der Iran sich in einer tollen wirtschaftlichen Lage befinde. Dazu muss man wissen: Trotz Ölreichtums lag die Wirtschaftskraft des Landes laut Weltbank zuletzt bei ca. 4000 Dollar pro Kopf (zum Vergleich: 51.000 Dollar in Deutschland), die Inflation lag kürzlich bei 39,5 Prozent (4,5 Prozent in Deutschland), die Arbeitslosenquote offiziell bei ca. 11 Prozent (5,7 in Deutschland). Bei meiner Reise 2014 war die Situation auch nicht besser. Der Reiseleiter übersetze für mich. Sein Kommentar: „Unsinn! Die wirtschaftliche Lage ist schlecht.“ Der Museumsangestellte fragte, was der Reiseleiter gerade getan habe. Er antwortete auf Farsi, dass er mich für den Text übersetzt habe. Beide lachten. Sehr vielsagend! Von dieser Haltung gegenüber der Obrigkeit könnten sich viele Deutsche eine Scheibe abschneiden.

„Der Iran leidet nicht nur wegen der Sanktionen unter ökonomischen Problemen, sondern auch wegen Misswirtschaft – v.a. wegen eines sehr großen Staatsapparats aufgrund von Verstaatlichungen nach der Revolution von 1979.“

Wie unzufrieden weite Teile der iranischen Gesellschaft sind, zeigt sich daran, dass es im September 2022 nach dem Tod der Iranerin Mahsa Amini zu monatelangen Protesten im ganzen Land kam. Es war die größte Protestbewegung im Iran seit der sogenannten „Grünen Bewegung“ nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen 2009. Noch sitzt das Regime aber – auch dank der „Revolutionsgarden“ – fest im Sattel, so dass auch die Proteste 2022/23 niedergeschlagen wurden.

Dessen (schiitischer) Islamismus äußert sich auch in der Unterstützung der Hisbollah (im Libanon) und der Hamas (in Gaza). Ohne die massive militärische und logistische Unterstützung des Iran wäre die Hamas jüngst nicht zu solchen Attacken gegen Israel, die Militärmacht der Region, in der Lage gewesen. Diese Mittel – und überhaupt der riesige Militärapparat – schwächen die Wirtschaft des Landes. Der Iran leidet nicht nur wegen der Sanktionen unter ökonomischen Problemen, sondern auch wegen Misswirtschaft – v.a. wegen eines sehr großen Staatsapparats aufgrund von Verstaatlichungen nach der Revolution von 1979. Zum Vergleich: 1977 – also zur Regierungszeit von Schah Mohammed Reza Pahlavi – lag das BIP pro Kopf bei ca. 2300 Dollar. 45 Jahre später ist es auf gut 4000 Dollar gestiegen. Das ist für ein nicht sehr wohlhabendes Land keine herausragende Entwicklung: Im viel wohlhabenderen Deutschland hat sich das BIP pro Kopf in diesem Zeitraum – trotz der Probleme im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung – mehr als vervierfacht, von Entwicklungen in ehemals ganz armen Ländern wie China nach Mao bis heute ganz zu schweigen. Zur Zeit des Schahs war die Entwicklung deutlich besser, was auch an der stärkeren Integration in die Weltwirtschaft lag.

Ein heikles Thema im Iran ist der Verschleierungszwang für Frauen, der jetzt verschärft wurde. Dieser gilt nicht nur in Moscheen, sondern auch auf der Straße, ja in allen öffentlich zugänglichen Gebäuden. Also auch in Hotels, wenn man nicht gerade auf dem Zimmer ist, also sogar etwa im Frühstücksraum. Unter Verschleierung versteht man bei Frauen weite und langärmelige Kleidung und ein Kopftuch. Als Indikator gilt: Je liberaler der politische Wind momentan weht, desto mehr Haare sieht man. Das Kopftuch ist zum Symbol der verhassten Mullahherrschaft geworden. Der Zahl der Iraner, die sich vom Islam abwenden, steigt, so die Deutsch-Iranerin und Iranistikprofessorin Katajun Amirpur in ihrem neuesten Buch „Iran ohne Islam“. Es ist v.a. der Frust über den real existierenden Islam, der die Menschen dazu bringt, sich Alternativen zuzuwenden, etwa dem Zoroastrismus, einer vorislamischen iranischen Religion. Unterdessen sehen wir in Deutschland, wie sich ein steigender Anteil der Bevölkerung durch real existierende grüne Politik (Strompreise, Verbrennerverbot, Heizungsgesetz) von grünen Dogmen (Anti-AKW) abwendet.

„Der Iran ist ein sehr interessantes Land, auch ein tolles Reiseland, welches leider sehr schlecht regiert wird, was sich in mangelndem Wohlstand und politischer Repression zeigt.“

Davon abgesehen ist der Iran ein hervorragendes Reiseland für Kulturtouristen und historisch interessierte Personen, sofern Sie als Frau den Verschleierungszwang akzeptieren. In diesen Bereichen bietet das Land weit mehr als die bereits vorgestellten Ziele Dubai und Saudi-Arabien. Thematisch geht es meist entweder um die Stätten des antiken, vorislamischen Persiens (wie Persepolis) oder um die Stätten aus der islamischen Zeit des Iran wie Moscheen, Medressen oder Basare (z.B. Isfahan). Für Badeurlaub eignet sich der Iran kaum, allein schon wegen der Geschlechtertrennung. Mit der Wahl Hassan Rohanis zum Präsidenten 2013 und der Unterzeichnung des Atomabkommens 2015 verbesserte sich die Lage, spätestens mit der Kündigung des Abkommens durch die USA 2018 verschlechterte sie sich wieder. Das zeigte sich auch am Tourismus: 2015 war ein absolutes Boomjahr für den iranischen Reiseverkehr, danach sanken die Zahlen wieder. Das lag natürlich auch daran, dass der Iran ein Nischenmarkt für Kulturreisende ist, die einmalig dorthin wollen, aber selten häufiger. Von den Touristenzahlen her wird es definitiv kein zweites Dubai.

Wenn Sie das antike Persien und der (schiitische) Islam interessieren, dann sollten Sie sich von Gutmenschen den Iran nicht ausreden lassen. Diese rufen regelmäßig zum Tourismusboykott ihnen nicht genehmer Staaten auf, oft unter dem Aspekt der – von ihnen selektiv verstandenen – „Menschenrechte“. Das ist aber Unsinn, denn die Bevölkerung, wie oben genannt der  Reiseleiter und der Museumsangestellte, profitieren von den Einnahmen im Tourismus, sind aber – wie ihre Reaktionen gezeigt haben – oft ideologisch mit dem Regime nicht einverstanden. Wer glaubt, ein solcher Reiseboykott würde das Regime destabilisieren, der möge sich fragen, wo das schon mal gelungen ist.

Fazit: Der Iran ist ein sehr interessantes Land, auch ein tolles Reiseland, welches leider sehr schlecht regiert wird, was sich in mangelndem Wohlstand und politischer Repression zeigt. Weite Teile der Bevölkerung haben allerdings verstanden, dass die religiöse Herrschaft à la Iran nicht die Lösung, sondern das Problem ist, und merken, dass das Regime permanent Propaganda von sich gibt. Hoffen wir auf Besserung nach dem Tod des greisen „Revolutionsführers“ Khamenei – wonach es momentan aber leider nicht aussieht.

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