12.05.2021

„Unhistorisch, unwissenschaftlich und undemokratisch“

Interview mit Ulrich van der Heyden

Titelbild

Foto: Tomasz Sienicki via Wikicommons / CC BY 3.0

Die Mohrenstraße in Berlin soll umbenannt werden. Dahinter stehen Aktivisten, die geschichtlich wenig informiert sind und durch solches Vorgehen echtem Rassismus eher Vorschub leisten.

In Berlin setzt sich seit Jahren die Initiative „Decolonize Berlin“ für die Umbenennung der Mohrenstraße ein. Der Name, so ihr Argument, diskriminiere schwarze Menschen und gehe auf die Zeit ihrer Versklavung zurück. Stattdessen solle die Straße nach dem Philosophen und ersten Universitätsdozenten mit afrikanischen Wurzeln Anton Wilhelm Amos (frühes 18. Jahrhundert) benannt werden. Im August dieses Jahres erzielte Decolonize Berlin ihren ersten großen Erfolg: Die Bezirksverordnetenversammlung stimmte einer Umbenennung zu. Unumstritten ist der Vorstoß aber nicht. 2014 formierte sich eine Bürgerinitiative „Pro Mohrenstraße“, in der sich Anwohner und Gewerbetreibende für den Erhalt des Namens einsetzen. In einem Interview in der Berliner Zeitung von 2016 wies ihr Sprecher darauf hin, dass Decolonize nicht nur den Begriff des Rassismus verwässert habe, sondern auch die geschichtlichen Fakten zu dem schon rund 300 Jahre alten Namen ignoriere. 1

Widerspruch kommt auch von dem Historiker und Politologen Prof. Dr. Dr. Ulrich van der Heyden.

 

Novo: Herr Professor van der Heyden, bitte erklären Sie uns erst einmal, woher der Name Mohrenstraße kommt.

Ulrich van der Heyden: Der Begriff Mohr ist älter als der Kolonialismus und stand ursprünglich für dunkel. Entstanden ist er im Zusammenhang mit dem Wort „Maurus“ oder „Mauren“, die ja im Mittelalter im mediterranen Raum als Eroberer auftraten und dort, z.B. in Spanien, relativ aktiv waren.

Was stört Sie an der Art und Weise, wie die Debatte über die Umbenennung geführt wird?

Ich plädiere einfach nur dafür, dass man die geschichtlichen Daten zur Kenntnis nimmt und nicht darauf hört, wenn eine kleine Gruppe Deutscher – und auch die schwarzen Deutschen sind ja Deutsche – lautstark zum Ausdruck bringen, das sei irgendetwas Kolonialistisches. Ich habe zum Teil mit diesen Leuten gesprochen. Ich halte von ihren Argumenten nicht viel. Sie von meinen allerdings auch nicht (lacht). Leider wird in der Debatte immer gleich los geschrien und es gibt keinerlei Diskussion mehr darüber.

Die Initiative Decolonize, die ja vom Berliner Senat auch finanziell gefördert wird, setzt sich, wie es auf ihrer Website heißt, für eine „gesamtgesellschaftliche Dekolonialisierung“ 2 ein. Ist der Rassismus von Anfang an ein Begleiter der europäischen und somit der „weißen“ Geschichte gewesen?

Das ist im höchsten Maße fragwürdig. Ich habe mehre Jahre lang an verschiedenen Universitäten in Afrika gelehrt, so in Südafrika, Ghana, Togo, Benin, und dabei auch mit Germanisten über den Ursprung des brandenburgisch-preußischen Kolonialabenteuers – als im heutigen Ghana die Kolonie Großfriedrichsburg entstand – gesprochen. Keiner kennt den Begriff Mohr. Und somit fühlt sich auch niemand durch ihn negativ berührt.

„Der Begriff Mohr ist älter als der Kolonialismus und stand ursprünglich für dunkel.“

Aber es gab Afrikaner, die so bezeichnet wurden?

Unsere Studien zeigten, dass die ersten Afrikaner, die nach Preußen kamen, als Hofmohren am Hof des Großen Kurfürsten lebten. Allerdings hätte keine europäische Macht in Westafrika Fuß fassen können, ohne die Unterstützung, die sie aus Teilen der afrikanischen Küstenbevölkerung erfuhr. Die Festung Großfriedrichsburg entstand als Folge einer gegenseitigen Absprache. Die Bewohner der Küstenregionen waren untereinander stark verfeindet und das haben die Europäer ausgenutzt. Diese Kooperation dauerte ca. 30 bis 50 Jahre, bis die Neugier an den Afrikanern der Angst vor der kolonialen Konkurrenz wich.

Dennoch war der Kolonialismus ganz real …

Diese Geschichte ist nur deswegen wichtig, weil das die Zeit war, als die „Mohren“ hierherkamen. In der Wissenschaft gibt es verschiedene Diskussionen darüber. Ich vertrete die Meinung, die vornehmlich auf meinen Recherchen im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz beruht, dass damals, in der ersten Hälfte der 1680er Jahre, eine Häuptlingsdelegation nach Berlin kam und hier von dem Großen Kurfürsten empfangen wurde. Das waren, ganz anders, als es heute dargestellt wird, diplomatische Gäste. Sie wurden genauso empfangen wie andere gleichrangige Delegationen auch.

War das die Zeit der frühen Aufklärung, als der Gedanke der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen im Vordergrund stand und es den modernen Rassismus, wie er später auftrat, noch nicht gab?

Ja, der Rassismus ist eigentlich erst mit dem Zeitalter der direkten Kolonialherrschaft aufgekommen und hat sich in Europa verfestigt.

Was stört Sie aber an der Forderung, die Stadt zu dekolonialisieren?

Dekolonialisieren ist nichts Schlechtes. Die historische Forschung dekolonialisiert seit vielen Jahren und setzt sich kritisch mit der Kolonialgeschichte auseinander. Die Bücher, die hierzu geschrieben wurden, sollte man zur Kenntnis nehmen.

Und wenn nun einmal auch die Umbenennung einer Straße dazu gehört?

Wenn man diesen jungen Leuten zugesteht, diese Forderungen aufzustellen, dann schließt sich eine Frage an: Was machen wir mit den anderen Namen? Das hört ja nicht bei der einen Straße auf. Dann müssten wir auch die Kurfürstenstraße umbenennen, weil ja der Große Kurfürst die Kolonie in Großfriedrichsburg gegründet hat. Oder den Adenauerplatz, denn Konrad Adenauer war von 1931–33 Vizepräsident der Deutschen Kolonialgesellschaft. Es dürfte auch keine Straße nach dem großen Liberalen und Außenminister Walther Rathenau benannt werden, der 1922 von Rechtsradikalen ermordet wurde. Rathenau war vor dem Ersten Weltkrieg Teil einer Delegation, die mit dem Ziel nach Ostafrika reiste, die dortige Bevölkerung noch effizienter ausbeuten zu können.

„Die afrikanischen Häuptlinge wurden genauso empfangen wie andere gleichrangige Delegationen auch. Der Rassismus ist eigentlich erst mit dem Zeitalter der direkten Kolonialherrschaft aufgekommen und hat sich in Europa verfestigt.“

Decolonize Berlin ist ja aber Teil einer internationalen Bewegung, die das Bewusstsein für genau diesen Teil der Geschichte schärfen will. In Großbritannien werden sogar Denkmäler gestürzt.

Es bringt aber nichts, wenn man irgendein Denkmal stürzt, statt sich mit der Geschichte und der Wahrheit auseinanderzusetzen. Kein echter Rassist wird sich durch solche Aktionen in seiner Meinung bekehren lassen.

Sehen Sie auch einen Schaden, der dadurch verursacht wird?

Wir können die Bevölkerung, ganz grob, in drei Gruppen aufteilen: Die Aktivisten bzw. die Antikolonialisten, die breite Masse der Bevölkerung und die Rassisten. Wenn nun eine Mohrenstraße umbenannt wird mit der Begründung, der Name sei rassistisch, obwohl die meisten Leute das niemals so empfunden haben, sehe ich die Gefahr, dass wir die Rassisten unfreiwillig sogar stärken.

Inwiefern?

Wenn die breite Masse der Bevölkerung mitbekommt, mit welch kruden Argumenten diese Umbenennung vorgenommen wurde – das ganze Verfahren war ja vollkommen undemokratisch und auch die Stimme der Wissenschaft, die sich dagegen ausgesprochen hat, wurde nicht gehört –, dann wird es Leute geben, die sich plötzlich auf der Seite der Rassisten wiederfinden werden. Die werden dann den Schluss ziehen, dass die antikolonialistische Arbeit nichts taugt. Was soll der ganze Antikolonialismus, wenn da so ein Unfug betrieben wird, werden sie sich fragen. Das ist unhistorisch, unwissenschaftlich und undemokratisch. Und die Rassisten, die noch nicht wussten, dass der Name Mohr angeblich rassistisch ist, werden diesen – so ist zu befürchten – nun verwenden. Die davon Betroffenen können sich dann bei den Umbenennungsaktivisten bedanken.

Die Aktivisten arbeiten mehr mit Druck als mit Überzeugungskraft?

Man schreckt die Menschen ab. Statt Sympathie wird man Ablehnung ernten. Sinnvoller wäre es, Tafeln an die umstrittenen Statuen anzubringen, auf denen man auf die historische Bedeutung ihrer Taten aufmerksam macht. Man kann sich dabei von ihnen distanzieren und gleichzeitig für Aufklärung sorgen. Dann hätte man wirklich etwas erreicht.

„Kein echter Rassist wird sich durch solche Aktionen in seiner Meinung bekehren lassen.“

Ist es nicht aber positiv, dass mit Anton Wilhelm Amo endlich ein Mann geehrt wird, dessen Namen zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist?

Anton Wilhelm Amo ist nie in Vergessenheit geraten. Er war eine bedeutende, auch in der historischen Forschung behandelte Persönlichkeit. Es gibt seit Jahren gute Initiativen, die Straßen nach ihm benennen wollen – in Stuttgart oder auch in Jena und an der Universität Halle-Wittenberg, wo er gewirkt und promoviert hat. Aber die Mohrenstraße nach ihm zu benennen, mit der Begründung, der Name Mohr müsse weg, ist schon paradox. Amo hat selbst den Begriff „Mohr“ genutzt. Der Titel seiner Disputation lautete „De Jure Maurorum in Europa“.

Gibt es auch in Hinblick auf Amo unterschiedliche geschichtliche Interpretationen?

Auch hier zeigt sich die Unbedarftheit der Aktivisten. Sie behaupten, Amo sei als Sklave nach Europa verschleppt worden. Das ist aber höchst umstritten. Niemand Geringeres als Kwame Nkrumah, der erste frei gewählte Präsident Ghanas, stieß auf Amo und regte Anfang der 1960er Jahre in der DDR entsprechende Forschungen an. Damals erschienen Amos Schriften in teuren Editionen. Nkrumah stammte aus der gleichen Gegend wie Amo und hielt es für sehr wahrscheinlich, dass er zum Studium nach Europa geschickt wurde. Gegen die Sklaventhese spricht auch, dass er wieder nach Afrika zurückkehrte.

Welchen Tipp würden Sie jungen Menschen heute geben, die etwas tun wollen, um die Kolonialgeschichte aufzuarbeiten?

Ich würde ihnen raten, die Geschichte und die geschichtliche Forschung ernst zu nehmen. Wir haben in Berlin viele Bibliotheken. Es gibt jetzt den Vorschlag, ein Kolonialmuseum zu errichten. Ich wäre dann dafür, damit auch ein Kolonialarchiv zu verbinden. Da sollten die ganzen Bücher und Studien, die es zu diesem Thema gibt, zusammengefasst werden. Nicht nur diejenigen, die Geschichte studieren, sondern jeder, der sich in dieser Hinsicht engagieren will, kann und sollte eine Bibliothek aufsuchen. Für die Interessierten und Engagierten sollte eine solche Bildungsmöglichkeit geboten werden.

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