01.11.2023

Unendliche Energie aus heißem Gestein

Von Thilo Spahl

Titelbild

Foto: Gretar Ívarsson via Wikicommons / gemeinfrei

Ein wichtiger Beitrag zur Lösung der globalen Energieprobleme könnte in neuen Technologien zum Bohren tiefer Löcher liegen.

Unsere Energieversorgung beruht auf zwei Arten von Quellen, die sich grundsätzlich unterscheiden. Quellen mit sehr geringer Energiedichte wie Wind-, Solar- oder Wellenenergie. Diese haben den erheblichen Nachteil, dass man die Energie mit großem Materialaufwand auf großen Flächen einsammeln muss und das Angebot stark fluktuiert. Und Quellen mit hoher bzw. sehr hoher Energiedichte, also fossile Energien und Kernenergie.

Die Geothermie lässt sich nicht so gut zuordnen. Ihre bisherige Nutzung ist auf geringe Energiedichte der Erdwärme in geringen Tiefen beschränkt. Doch wenn man tiefer bohren würde, würde man zu viel höheren Temperaturen und damit höherer Energiedichte vorstoßen. Die Temperatur in der Erdkruste steigt durchschnittlich um 30 Grad pro Kilometer. In 20 Kilometer Tiefe kommt man demnach auf Temperaturen über 500 Grad. In 10 Kilometer Tiefe immerhin auf 300 Grad. Man hätte also eine Hitzequelle, die einem Kohle- oder Kernkraftwerk vergleichbar wäre, nur dass man die Hitze nicht durch Verbrennung mit all den damit verbundenen Nachteilen erzeugen müsste. Sie wäre einfach da und man könnte damit 24 Stunden am Tag Dampf erzeugen und Turbinen antreiben und (idealerweise dort, wo vorher ein Kohlekraftwerk stand und die ganze notwenigen Anlagen, inklusive der Kraftwerksmannschaft, ohnehin schon da sind) schönen, sauberen, klimaneutralen, grundlastfähigen Strom generieren. Geothermiekraftwerke brauchen keinen Brennstoff und produzieren keinen Abfall.

Es stellt sich die Frage, warum es keine entsprechenden Kraftwerke gibt. Warum nutzen wir keine ultratiefe Geothermie? Die Antwort lautet: Weil es verdammt schwer, langwierig und teuer ist, tief in die Erde hineinzubohren. Doch das könnte sich ändern. Das Bohren ist keine Tätigkeit, die dem technologischen Fortschritt verschlossen ist. Mit neuen Bohrtechniken könnte die Geothermie zu einer wichtigen Größe für die globale Energieversorgung werden.

„Warum nutzen wir keine ultratiefe Geothermie? Die Antwort lautet: Weil es verdammt schwer, langwierig und teuer ist, tief in die Erde hineinzubohren. Doch das könnte sich ändern."

Das Potenzial ist praktisch unbegrenzt. Letztlich kratzen wir, wenn wir ihn anbohren, immer nur an der Oberfläche des Planeten. Die Erdkruste ist etwa 65 Kilometer dick, die Temperaturen gehen hier bis etwa 1000 Grad. Darunter folgt der 2885 Kilometer dicke Erdmantel mit Temperaturen von 2000 Grad und schließlich der Erdkern, der einen Durchmesser von 3486 Kilometern hat und wo es mit 6000 bis 7000 Grad etwa so heiß ist wie auf der Oberfläche der Sonne.

Verbesserte Systeme

Konventionelle Geothermie beruht auf drei natürlichen Voraussetzungen, die am Ende des Bohrlochs notwendig sind: Wasser, Hitze und Durchlässigkeit. Leider sind diese Voraussetzungen an relativ wenigen Orten gegeben, etwa auf Island, wo heißes Wasser von allein nach oben drängt und die heißen Quellen einen wichtigen Teil der Energieversorgung ausmachen. Hitze ist jedoch überall im Untergrund. Das heißt, wenn wir die anderen beiden Voraussetzungen technologisch ermöglichen, können wir praktisch überall Erdwärme nutzen. Die dafür notwendigen Technologien – Löcher bohren, Risse im Gestein erzeugen und Wasser nach unten pumpen – sind durch die Erfahrungen beim Fracking prinzipiell vorhanden und müssen nur weiterentwickelt und erprobt werden. Der Aufwand hängt davon ab, wie hart und wie porös der jeweilige Untergrund an einem Standort ist. Und allgemein gilt: Je tiefer, desto härter und weniger porös – aber eben auch heißer.

Das Ganze nennt sich EGS – enhanced geothermal systems. Das US Energieministerium hat die Initiative Enhanced Geothermal Shot gestartet, die zum Ziel hat, bis 2035 die Kosten für EGS um mehr als 90 Prozent zu senken und bis 2050 65 Millionen Haushalte mit Geothermiestrom sowie 45 Millionen Haushalte mit EGS-Fernwärme zu versorgen.

Den Amerikanern schwebt gewissermaßen ein postfossiles „Drill, baby drill!“ vor, also die Transformation der Ölindustrie mit Teilen ihrer Infrastruktur, ihrem Know-how und ihren guten, sicheren Jobs in eine strukturell ganz ähnliche Geothermieindustrie. Das Energieministerium zieht den direkten Vergleich zum Fracking: „EGS befindet sich heute in der gleichen technologischen Situation wie Schiefergas vor zwanzig Jahren – theoretisch robust, praktisch durchführbar, aber bisher nicht erprobt. In den letzten zwei Jahrzehnten haben Verbesserungen durch Versuch und Irrtum an über 500 Bohrlöchern die Schiefergastechnologie von der Theorie zu einer äußerst profitablen Angelegenheit gemacht.“

Das in Houston ansässige Startup Fervo Energy hat vor Kurzem einen 30-tägigen Bohrlochtest an seinem Project Red-Standort im Norden Nevadas abgeschlossen und dort 3,5 Megawatt Strom erzeugt. Project Red wird noch in diesem Jahr an das Stromnetz angeschlossen und soll Rechenzentren und die Infrastruktur von Google in Nevada versorgen. Es ist Teil einer Vereinbarung zwischen dem Startup und Google zur Entwicklung verbesserter geothermischer Systeme. Als nächstes will Fervo Energy eine Anlage in Utah errichten, die 400 MW Leistung haben soll und 2028 in Betrieb gehen soll.

Auch in Europa gibt es Projekte. Im Elsass wird im Soultz-sous-Forêts Project seit 2011 Strom mit einem EGS-System mit Bohrungen bis in fünf Kilometer Tiefe erzeugt. Hier wurden u.a. auch alte Ölbohrlöcher genutzt.

Doch bei EGS haben wir es, wie bei der konventionellen Geothermie, mit Bohrungen in drei bis maximal sieben Kilometer Tiefe zu tun. Das ist schwierig genug, denn die Hitze steckt in sehr hartem Gestein. Dennoch sind die Herausforderung und auch der potenzielle Nutzen geringer, als wenn man noch deutlich tiefer geht.

Ultratiefe Geothermie

Die nächste Generation der Geothermie, an der zum Beispiel das Unternehmen AltaRock Energy in Oregon arbeitet, wird als Superhot Rock Geothermal (SHR) bezeichnet. Sie verfolgt das Ziel, die massiven Vorräte an Hochtemperaturwärme tief in der Erdkruste anzuzapfen, um bis zu zehnmal mehr Energie zu gewinnen als eine herkömmliche geothermische Bohrung und die Geothermie weltweit zu verbreiten, weil sie sich nicht mehr auf seltene günstige geologische Verhältnisse begrenzen müsste, sondern überall möglich wäre. Die slowakische Firma GA Drilling hat sogar ihren Namen entsprechend gewählt. GA steht für „geothermal anywhere“.

Im ultratiefen Bereich kann man eine Schwelle überschreiten, an der die Effizienz der Systeme einen großen Sprung macht. Ab 373 Grad Celsius und bei hohem Druck geht Wasser in einen sogenannten „superkritischen Zustand“ über. Das heißt, grob gesagt, dass es zugleich flüssig und gasförmig ist und ein Vielfaches der Energie aufnehmen kann. In der Konsequenz würde es dazu führen, dass man bei einem 400°C-Projekt mit drei Bohrungen mehr Energie gewinnen könnte als mit 42 EGS-Bohrungen bei 200°C, und das mit weniger Flüssigkeit und einem Bruchteil des Platzes.

Aber wie schafft man es überhaupt, so tief zu bohren (ohne dass die Kosten dafür ebenfalls explodieren)? Mit konventioneller Bohrtechnik ist aufgrund der ansteigenden Temperatur und dem zunehmenden Druck bei etwa sieben Kilometer Tiefe Schluss. (Das tiefste jemals gebohrte Loch ist die zu Forschungszwecken durchgeführte Kola-Bohrung in Russland, die fast 20 Jahre dauerte und eine Tiefe von 12.262 Meter erreichte.) Wenn man in 10 bis 30 Kilometer Tiefe vorstoßen möchte, reichen mechanische Verfahren nicht mehr aus. Stattdessen sollen in Zukunft eine Art Strahlenkanonen zum Einsatz kommen.

AltaRock Energy entwickelt in Zusammenarbeit mit Quaise Energy, basierend auf Forschungsarbeiten und Patenten des Massachusetts Institute of Technology (MIT) die Millimeterwellen-Technologie (mmWave), die das Bohren mit Strahlung verbessert, um superheißes Gestein (SHR) zu erschließen. Die energiereiche Mikrowellenstrahlung wird durch ein sogenanntes Gyrotron erzeugt, das auch in der Fusionsforschung zum Einsatz kommt. Der Stein wird dabei nicht mechanisch abgetragen, sondern verdampft, man vermeidet also Verschleiß und das sehr zeitaufwändige Wechseln des Bohrkopfes. Die Wände des Bohrlochs verglasen, müssen daher nicht extra verrohrt bzw. zementiert werden. Das System kann im Gegensatz zum konventionellen Bohren bei hohen Umgebungstemperaturen bis 1000 Grad Celsius arbeiten, soll viermal so schnell sein und fünfmal billiger. Quaise will 2024 die erste Demonstrationsanlage in Betrieb nehmen.

GA Drilling setzt auf eine andere Technologie. Die Firma kombiniert konventionelle Bohrtechnik, die bei weichem Gestein gut funktioniert, mit einem Plasmabrenner, der zum Einsatz kommt, wenn in größeren Tiefen extrem hartes Gestein zerstört werden muss. Auch an der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie wird an dem Verfahren geforscht. Auf der Website heißt es: „Mit dem Plasma Pulsed Geo Drilling (PPGD) wird ein Bohrverfahren entwickelt, bei dem der Gesteinsabtrag elektrisch-thermisch über Hochspannungspulse erfolgt. Die Gesteinszerstörung geschieht damit quasi berührungslos, was den Verschleiß des Bohrwerkzeuges damit drastisch verringert und die Lebensdauer aller Bohrkomponenten erhöht, was ein sehr zentraler Faktor bei allen Bohrprozessen ist. Besonders eignet sich dieses Verfahren für harte, kristalline Gesteine, wie sie in geothermalen Reservoiren anzutreffen sind.“

Es gibt also technologisch vielversprechende Ansätze, um in große Tiefen vorzustoßen. Es gibt aber natürlich dort unten auch jede Menge  Herausforderungen, an denen in den letzten Jahrzehnten schon eine Reihe von (konventionellen) Tiefbohrungen gescheitert ist. Man wird noch eine ganz Reihe weiterer Technologien entwickeln und Erfahrungen sammeln müssen, bis hier eine neue Industrie entstehen kann.

Geothermische Durchlauferhitzer

Eine weitere Spielart der Geothermie sind sogenannte Advanced Geothermal Systems (AGS) mit einem „geschlossenem Kreislauf", bei denen keine Flüssigkeiten in die Erde eingebracht oder aus ihr entnommen werden, die also ohne Fracking auskommen. Stattdessen zirkuliert die Flüssigkeit unterirdisch in versiegelten Rohren und Bohrlöchern, nimmt Wärme auf und leitet sie an die Oberfläche. Ein weiterer großer Vorteil: Da der Kreislauf geschlossen ist, sinkt das kalte Wasser auf der einen Seite, während das heiße Wasser auf der anderen Seite aufsteigt. Man braucht daher keine Pumpen.

Hier ist tatsächlich Deutschland ganz vorne mit dabei. Im Juli 2023 begannen die Bohrarbeiten für ein Projekt der kanadischen Firma Eaver Technologies in Geretsried in Bayern. Zwei parallel betriebene Bohrtürme bohren zunächst vertikal bis in eine Tiefe von ca. 4.500 Metern. Dort werden die Bohrungen horizontal aufgefächert. Es entstehen mehrere parallele Abzweigungen, die jeweils ca. 3300 Meter lang sind. Die Bohrungen werden in der Tiefe miteinander verbunden und versiegelt.

„Technisch prinzipiell machbar, überall auf der Welt einsetzbar, sauber, geringer Material- und Flächenverbrauch, grundlastfähig, steuerbar – was will man mehr?"

Ähnliche Projekte laufen auch an anderen Orten der Welt, etwa in Kenia, wo die Firma GreenFire Energies gerade eine Kooperation mit KenGen, dem größten Elektrizitätsversorger des Landes, bekanntgegeben hat.

Für die Stabilität unserer Energieversorgung wären solche Systeme sehr hilfreich. AGS kann, unabhängig von Wetter oder der Versorgung mit Brennstoffen, als Grundlast einen konstanten Output liefern, aber auch flexibel arbeiten. Ein solches Kraftwerk kann jederzeit hoch- und runtergefahren werden, um variable Wind- und Sonnenenergie zu ergänzen. Dies geschieht durch die Drosselung oder Unterbrechung des Flüssigkeitsstroms. Je länger die Flüssigkeit im Untergrund eingeschlossen bleibt, desto mehr Wärme nimmt sie auf.

Technisch prinzipiell machbar, überall auf der Welt einsetzbar, sauber, geringer Material- und Flächenverbrauch, grundlastfähig, steuerbar – was will man mehr? Bezahlbarkeit! Es bleibt die Frage, wie sich der Preis solcher Systeme entwickelt, wenn sie ausreichend erprobt sind, um im großen Stil in den Markt gebracht werden zu können. Und Sicherheit: In Hinblick auf das Erdbebenrisiko und wie es minimal gehalten werden kann, gibt es offene Fragen.

Seien wir optimistisch. Wenn wir etwas weniger Geld in die Subventionierung von Wind und Sonne und etwas mehr in die Entwicklung besserer Bohrtechniken (und Nukleartechnologie) stecken, könnte es mit der globalen Energiewende am Ende doch noch etwas werden.

 

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