27.09.2023

Polens Demokratie erfreut sich bester Gesundheit

Von Rafał Woś

Titelbild

Foto: Robert_z_Ziemi via Pixabay / CC0

Bei der polnischen Parlamentswahl im Oktober haben die Wähler eine echte Wahl zwischen der populistischen PiS und der liberalen Opposition.

Nächsten Monat finden in Polen Parlamentswahlen statt. Am 15. Oktober wird die amtierende Prawo i Sprawiedliwość (PiS, Partei Recht und Gerechtigkeit) unter der Führung von Jarosław Kaczyński ihre dritte Amtszeit in Folge anstreben. Das wird nicht einfach werden. Die PiS sieht sich einer großen Herausforderung durch die liberale Opposition gegenüber.

Zweifellos werden die westlichen Mainstream-Medien ihrem Publikum erzählen, dass bei diesen Wahlen die Demokratie selbst auf dem Spiel steht. Und sie werden die bekannten Anschuldigungen gegen die PiS-Regierung wiederholen: „Zerstörung der Demokratie", „Verletzung der Rechtsstaatlichkeit", „Verfolgung von Minderheiten" und „Dämonisierung von Migranten".

Doch während die New York Times, der Guardian, der Spiegel und andere viel über die PiS behaupten, gehen sie nicht auf die Details ein. Sie werden zum Beispiel nicht erwähnen, dass der so genannte Angriff der PiS auf die unabhängige Justiz auch als eine Reform interpretiert werden kann, die darauf abzielt, die polnischen Gerichte mit ihren französischen oder deutschen Pendants in Einklang zu bringen. Die polnische Regierung möchte einen gewissen Einfluss auf die Ernennung der Richter ausüben können, um die Macht einer zügellosen Juristenkaste zu begrenzen. Das ist im Wesentlichen auch in Frankreich und Deutschland der Fall.

Auch die westlichen Medien werden eifrig von der Bedrohung der Demokratie durch die PiS-Regierung sprechen. Aber sie gehen nicht näher darauf ein, worin diese Bedrohung bestehen könnte. Und dafür gibt es einen guten Grund. Denn in Wirklichkeit ist die Demokratie in Polen selten so gesund gewesen wie sie es heute ist. Vergleichen Sie die Situation in Polen mit der in anderen liberalen Demokratien. „Wenn Wahlen etwas ändern könnten, wären sie längst verboten" – dieser Spruch entspricht dem Gefühl vieler Menschen, die meinen, dass sich die etablierten Parteien in Deutschland oder Frankreich viel zu ähnlich geworden sind. Sie glauben, dass es wenig bringt, sie zu wählen.

„Seit dem ersten Wahlsieg der PiS im Jahr 2015 hat sie tatsächlich eine greifbare Alternative zur Mainstream-Politik ihrer liberalen Konkurrenten präsentiert.“

Viele Wähler haben nicht nur das Gefühl, dass sich ihre Parteien alle gleichen. Die westliche Öffentlichkeit ist sich auch der außerparlamentarischen Einschränkungen ihrer demokratischen Macht bewusst. Das beginnt mit den Finanzmärkten, die behaupten, die Wirtschaftspolitik sei „alternativlos". Und es geht weiter mit den nicht wählbaren Institutionen oder auch Gerichten, die große Entscheidungsbefugnisse haben. Oft entschieden sie darüber, ob  die Gesetze der gewählten Gesetzgeber in Kraft treten können oder nicht. Und jetzt gibt es auch noch den angeblichen wissenschaftlichen Konsens über Klimaziele, denen Politiker aller Parteien gehorchen müssen, was die Demokratie weiter schwächt.

Kurz gesagt, der westlichen liberalen Demokratie fehlt es an Vitalität. Kein Wunder, dass dieses System große Probleme hat, die Menschen davon zu überzeugen, an den Wahlen teilzunehmen. Denn was nützt es, wählen zu gehen, wenn man nur die Wahl zwischen verschiedenen Geschmacksrichtungen derselben Politik hat? Und besonders sinnlos wird es, wenn praktisch alle von ihnen in einer großen Koalition enden, oder wenn ihre radikalsten Ideen von Gerichten blockiert werden.

Die Situation in Polen ist ganz anders. Seit dem ersten Wahlsieg der PiS im Jahr 2015 hat sie tatsächlich eine greifbare Alternative zur Mainstream-Politik ihrer liberalen Konkurrenten präsentiert. Bevor die PiS an die Macht kam, neigten die polnischen politischen Parteien dazu, Westeuropa zu imitieren und verfolgten eine neoliberale Wirtschaftspolitik, neben einer weitgehend „progressiven" Agenda der sozialen Modernisierung. Die PiS bot etwas anderes und tut dies auch noch nach acht Jahren an der Macht. Sie verbindet einen linken Wirtschaftspopulismus mit einer unverblümten Ablehnung des linksliberalen Wokeismus. Deshalb wird sie vom EU-Establishment seit ihrem Machtantritt angegriffen und zum Sündenbock gemacht.

„Die Mehrheit der polnischen Wähler, ob sie nun die PiS unterstützen oder nicht, hat angefangen zu glauben, dass Demokratie wichtig ist.“

Wirtschaftlich gesehen hat die PiS dem polnischen Volk geholfen. Polen ist nicht in die Rezession gerutscht wie andere europäische Länder, die Löhne sind viel stärker gestiegen als im Westen und die Inflation ist unter Kontrolle geblieben. Politisch gesehen ist die PiS-Regierung beliebt geblieben und hat bei jeder Wahl seit 2015 die Mehrheit gewonnen.

Die Siege in Folge mögen beeindruckend sein. Noch auffälliger ist jedoch der Umstand, dass die PiS bei einer immer höheren Wahlbeteiligung immer wieder gewinnt. Vor zwei Jahrzehnten lag die durchschnittliche Wahlbeteiligung in Polen bei den Parlamentswahlen bei 40 Prozent und bei den Präsidentschaftswahlen bei 50 Prozent. Seit die PiS an die Macht gekommen ist, liegt die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen bei 60 Prozent und bei den Präsidentschaftswahlen bei fast 70 Prozent. Für die Parlamentswahlen im nächsten Monat wird sogar eine noch höhere Wahlbeteiligung erwartet.

Es sei darauf hingewiesen, dass in Polen keine Wahlpflicht, wie es sie in einigen westlichen Demokratien gibt, besteht. Die polnischen Wähler wollen wählen. Nachdem sie lange Zeit apathisch waren, haben sie nun das Gefühl, dass sie mit ihrer Stimmabgabe Einfluss auf das politische Leben nehmen können. Die Mehrheit der polnischen Wähler, ob sie nun die PiS unterstützen oder nicht, hat angefangen zu glauben, dass Demokratie wichtig ist.

In diesem Sinne geht die Behauptung der westlichen Medien, dass im nächsten Monat „die Demokratie selbst auf dem Spiel steht", wirklich an der Sache vorbei. Die Demokratie in Polen ist kerngesund.

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