23.10.2015

Platzt der Knoten?

Analyse von Johannes Richardt

Ein gerichtlicher Beschluss aus Hessen und Ereignisse auf EU-Ebene verweisen einmal mehr auf die gescheiterte deutsche Glücksspielregulierung. Eine freiheitliche Wende auf politischer Ebene ist hingegen nicht in Sicht.

Beginnt nun endlich die dringend notwendige politische Debatte über die chaotischen Zustände im deutschen Glücksspielwesen? Aktuelle Ereignisse in Hessen lassen zumindest darauf hoffen, dass die Verteidiger des Status Quo mit ihrer Schweige-, Ausweich- und Verzögerungstaktik an ihre Grenzen gestoßen sind. Hochrichterlich wurde in Hessen Mitte letzter Woche das für jeden halbwegs Eingeweihten bereits lange Offensichtliche festgestellt: Das Scheitern des aktuellen Regelwerks. [1]

Im Novo-Dossier „Glücksspiel“ [2] haben wir uns bereits mit vielen Aspekten der freiheitsfeindlichen deutschen Regulierungspraxis auseinandergesetzt – von konstruierten Suchtgefahren [3] bis zum finanziellen Eigeninteresse der staatlichen Lottomonopolisten an einer entmündigenden Verbotspolitik [4]. Der brisante Beschluss des hessischen Verwaltungsgerichtshofs, der gestern auch durch die Aussagen eines Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof (EuGH) bestätigt wurde, [5] entzündet sich nun am von Kennern der Materie bereits mannigfaltig kritisierten Versagen der verantwortlichen Politik, den Online-Sportwettenmarkt vernünftig zu ordnen.

Rechtsprechung und Realität

Kurz zu den Hintergründen: Bis 2012 herrschte hierzulande noch ein Totalverbot für Online-Glücksspiele. Seitdem ist es den staatlichen Glücksspielmonopolisten mit ihren Oddset-Wetten und zumindest theoretisch auch 20 privaten Wettenfirmen gestattet, legal Sportwetten zu betreiben. Die Bedingung für die Privaten: Sie benötigen eine offizielle Konzession. Das Doofe dabei: Über die Konzessionsvergabe entscheiden ziemlich genau jene Leute, die das stärkste Interesse am Erhalt des staatlichen De-facto-Monopols haben. Wohl genau deshalb wurde in den letzten Jahren noch keine einzige Konzession vergeben. Die privaten Anbieter (wie b-win, tipico & Co.) agieren in riesigen Graumärkten, dem Staat gehen Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren. [6]

„Zumindest judikativ sind in Sachen Sportwettenkonzessionierung die Würfel gefallen.“

Mitte letzter Woche stoppte das oberste hessische Verwaltungsgericht in Kassel das aktuelle Konzessionierungsverfahren. Es sei verfassungswidrig. Damit sind zumindest judikativ in Sachen Sportwettenkonzessionierung die Würfel gefallen. Denn Hessen ist für dessen Umsetzung federführend für das gesamte Bundesgebiet verantwortlich. Eine politische Neuordnung wäre nun eigentlich die zwingende Folge. Im besonderen Fokus der hessischen Verwaltungsrichter stand dabei die zentrale Regulierungsinstanz, das – aus Vertretern der Landesministerien bestehende – sogenannte Glücksspielkollegium.

Dieses feudalistisch anmutende Gebilde steht seit längerem unter massiver juristischer Kritik, wie bereits in früheren Novo-Artikeln dargelegt. [7] Es fehlt an demokratischer Aufsicht und Kontrolle. Beispielsweise werden die Sitzungstermine oder Mitgliedslisten nicht veröffentlicht, Ministerpräsidenten wissen oft nicht, was entschieden wird, usw. usf. Keine Frage: So eine Institution gehört nicht in ein Gemeinwesen, das sich demokratisch nennt.

Druck aus Europa

Dabei spielt die Sichtweise der hessischen Richter auch Maciej Szpunar, Generalanwalt am EuGH, in die Karten. Er geißelte gestern im Schlussantrag eines Verfahrens gegen das deutsche Sportwettenkonzenssionsverfahren jenes in bemerkenswerter Deutlichkeit als europarechtswidrig, da es ohnehin nie zum Ziel hatte, Konzessionen zu erteilen. Er sprach von der „Fiktion eines Erlaubnisverfahrens“. [8] Es ist gut möglich, dass das EuGH die Sache auch so sehen wird.

Aber auch von einer anderen europäischen Institution droht den deutschen Lottomonoplisten Ungemach. Die Europäische Kommission hatte im Juni auf Grund der verfehlten Glückspielregulierung ein sogenanntes Pilotverfahrens (die Vorstufe zum Vertragsverletzungsverfahren) gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Brüssel hat die Bundesrepublik darin gebeten, bis Anfang September zehn detaillierte Fragen zum aktuellen Stand der Glücksspielregulierung zu beantworten – u.a., wie sie das unionsrechtswidrige Sportwettenmonopol „unverzüglich“ beenden wolle. Die offizielle Antwort liegt bisher noch nicht vor, aber der Inhalt des Antwortschreibens ist der Novo-Redaktion bekannt. In butterweichen Phrasen drücken sich die deutschen Staatskanzleien vor dem Eingeständnis jener Tatsachen, die ihnen von den Kassler Verwaltungsrichtern und dem Luxemburger Generalanwalt einmal mehr aufgezeigt wurden.

Politische Lösungen?

Nun wäre eigentlich die Politik gefragt, vernünftige Lösungsvorschläge zu entwickeln. Aber die Großwetterlage ist gerade in Sachen Glücksspiel nun mal von paternalistischen Gewitterfronten bestimmt, mit einigen Auflockerungen wie einem moderaten technokratischen Pragmatismus, den man zurzeit ebenfalls in Hessen beobachten kann.

Gut eine Woche vor dem Paukenschlag aus Kassel stellte Innenminister Peter Beuth (CDU) in der Landeshauptstadt Wiesbaden einen gegen starke Widerstände im schwarz-grünen Kabinett durchgesetzten Entwurf zur Neuordnung des deutschen Glücksspielwesens vor: Das undemokratische Glücksspielkollegium gehöre entmachtet und durch eine neue zentrale Regulierungsbehörde ersetzt, Casino- und Pokerspiele im Internet sollen erlaubt werden, die Begrenzung der Sportwettenkonzessionen auf 20 Anbieter solle gar ganz abgeschafft und durch rein qualitative Anforderungen ersetzt werden. [9]

„Die politische Großwetterlage ist gerade in Sachen Glücksspiel von paternalistischen Gewitterfronten bestimmt“

Diese erfreulichen Freiheitsgewinne vor allem für Unternehmen werden allerdings mit strengeren Kontrollen gegenüber den Bürgern, im Namen des Spieler- und Jugendschutzes, versteht sich, erkauft. Eine datenschutzrechtlich fragliche bundesweite Sperrdatei für Problemspieler wird gefordert, ebenso monatliche Verlustgrenzen für Spieler, die auch wieder nur durch zentrale Datensammelei realisierbar sein wird. Der Glücksspielstaatsvertrag mit seinem paternalistischen Anspruch, durch staatliche Regeln und Verbote die „Glücksspielsucht“ einzudämmen wird ebenso wenig in Zweifel gezogen wie der vielleicht sogar noch bevormundendere Leitgedanke des Dokuments, den „Spieltrieb der Menschen in geordnete Bahnen zu lenken“. Denn, folgt man Beuths Aussagen, geht es ihm auch gar nicht um eine Liberalisierung: „Unser Ziel ist eindeutig: Der Glücksspielmarkt in Deutschland muss wieder klaren Regeln unterliegen.“ [10] Liberalisieren, um zu regulieren, ist hier die Devise.

Vor dem Beschluss des hessischen Oberverwaltungsgerichts wurde selbst Beuths Forderung einer moderat wettbewerbsfreundlichen Regulierung des Marktes keine realistische Erfolgsaussicht eingeräumt. Hessen gilt unter den Ländern als isoliert. Vor allem das mächtige Bayern und Nordrhein-Westfalen sperren sich gegen jegliche Reformen, weil sie um das Monopol ihrer staatlichen Lottogesellschaften fürchten. Vielleicht werden jetzt durch die normative Kraft rechtlicher Fakten die Karten neu gemischt.

Glücksspiel und Freiheit

Ein Grundübel in der Glücksspieldebatte lässt sich allerdings nicht wegdiskutieren. In der politischen Arena findet sich keine einzige ernstzunehmende politische Kraft, die den Mut aufbringt, die zugrundliegenden falschen Prämissen in der Glücksspieldebatte frontal zu konfrontieren: dass Glücksspiel per se ein gesellschaftliches Übel sei, das eingedämmt werden sollte, und vor allem, dass Spieler pauschal als pathologische Fälle stigmatisiert werden, die therapiert und/oder vor sich selbst geschützt gehören. Selbst die „liberale“ Sperrspitze im Kampf für eine Öffnung des Glücksspielmarkes, Hessen-Minister Beuth, vermag es nicht oder traut sich nicht, öffentlich ein einziges prinzipielles Argument für eine klar freiheitliche Haltung gegenüber dem Glücksspiel zu entwickeln.

„Zur Freiheit gehört auch, sein Geld bei Wetten auf Spiele der dritten indonesischen Fußballliga zu verzocken“

Diejenigen, die wirklich an einer freieren Gesellschaft interessiert sind – zu der heute auch die Freiheit gehört, sein Geld online bei Wetten auf Spiele der dritten indonesischen Fußballliga zu verzocken, wenn einem nichts Besseres mit seiner Zeit einfällt –, sollten aufhören, sich taktisch und rhetorisch an den Zeitgeist der Bevormundung anzupassen. Das mag zwar hie und da zu kleineren Feldgewinnen führen. Einen echten Kulturwandel hin zu einer größeren Wertschätzung individueller Freiheit in unserer Gesellschaft wird man so dauerhaft nicht erreichen. Freiheit beinhaltet auch das Recht „unvernünftig“ zu handeln und das Risiko, aufs falsche Pferd zu setzen. Auch zu diesem Wert der Freiheit muss man sich ehrlich und grundsätzlich bekennen.

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