14.09.2018

LGBTI*QA – Über die politische Karriere einer Chiffre

Von Jan Feddersen

Titelbild

Foto: Ben Tavener via Flickr / CC BY 2.0

Beim Kürzel LGBTI*QA geht es nicht nur um Identitätssuche. Vielmehr darum, ein besonderes Privileg zu erobern: das des Opferseins, des Signals, zu den Mühseligen und Beladenen zählen zu dürfen.

Auf einer der ersten deutschen Demonstrationen, die sich ausdrücklich in die Tradition der New Yorker Aufstände von Homosexuellen und Trans*menschen des Jahres 1969 gegen polizeiliche Willkür und Korruption stellten, machten etwa 300 Menschen mit – die meisten schwul, lesbisch, zwei Trans*personen waren auch zugegen. Es war nicht die erste öffentliche Bekundung, bei der ausdrücklich schwule Männer und lesbische Frauen als Akteur*innen auftraten, zuvor gab es Umzüge in Hamburg, Westberlin und Münster. Gleichwohl war die Gay-Pride-Parade in Bremen die erste, die sich performativ als Erbin der New Yorker Aufstände des Jahres 1969 verstand. Das war in Bremen und nannte sich „Karneval“.

Das Kürzel LGBTI* gab es damals noch nicht, es hat sich erst in den vergangenen zwanzig Jahren zu popularisieren begonnen, vor allem in Behörden, die Förderanträge für schwule oder lesbische oder Trans*-Projekte zu betreuen haben: Wer staatliche Alimentationen will, muss jedoch mehr als sich selbst meinen. Schwules allein reicht nicht, auch nicht Lesbisches oder Trans*: LGBTI*meinte stets das gesamte Spektrum der „sexual otherness“, der sexuellen Orientierungen und Identitäten, die in der klassischen Heterosexualität, dem Bild von Mann + Frau (+Kind(-er)) keinen Platz finden.

In dieser Chiffre steckt auch der gutgemeinte Wille, anzunehmen, dass die aktivistischen Kerne der politischen Bewegung gegen den sogenannten Heterosexismus (die Vokabel ist in der queeren Community einschlägig und steht für die Kritik an der Annahme, die Welt sei in puncto Geschlechterordnung nur nach dem schon genannten Frau-Mann(-Kind)-Schema denkbar) nicht nur schwule Männer und lesbische Frauen kennen, sondern eben auch Menschen, die sich als trans* verstehen oder als intersexuell – also geschlechtswechselnd oder einem Geschlecht schwer zuzuordnen beziehungsweise gar verweigern, das Geschlecht zu benennen.

„Die Sache muss so ausführlich erklärt werden, und trotzdem ist es nicht leicht, sie heterosexuell orientierten Menschen zu erläutern.“

Der legendäre Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld, 1935 im französischen Exil in Nizza verstorben, nannte das alles „Zwischenstufen“, es gab also schon in der Weimarer Republik ein stark artikuliertes und von allen Völkischen gehasstes und mit terminatorischer Lust diskreditiertes Wissen, dass es unter dem Himmel mehr als lediglich Männer und Frauen naturhaft gegengeschlechtlichen Begehrens gibt.

Homophober Beigeschmack

LGBTI* hat, wie angezeigt, mit der Zeit noch ein Sternchen angehängt bekommen, und das meint, von diesem Kürzel mögen sich auch alle angesprochen fühlen, die irgendetwas dazwischen sind. Das war bürgerrechtlich gemeint, im Sinne: Auch Menschen des sogenannten Dritten Geschlechts, Menschen also, die weder dem Mann- noch dem Frau-Schema zugeordnet werden können oder gar wollen, obendrein Menschen mit Wunsch nach Geschlechtswechsel, also Trans*, haben Missstände politischer Art anzumelden.

Das alles, richtig, ist sehr kompliziert – und außerdem heißt es im Deutschen LSBTI*, weil das G für gay steht, und gay, englisch: fröhlich, steht in den USA für schwul, im Deutschen jedoch wollten es nur jene nutzen, die vom schroffen, schmähenden Klang des Wortes „schwul“ abgestoßen waren oder von diesem homophoben Beigeschmack nicht infiziert werden wollten.

Die Sache muss so ausführlich erklärt werden, und trotzdem ist es nicht leicht, sie heterosexuell orientierten Menschen zu erläutern. Mehr noch: Auch solchen, die sich einfach als schwul oder lesbisch verstehen. Denn die Urfassung der Chiffre LSBTI nahm berechtigterweise vor allem darauf Rücksicht, dass inzwischen auch Trans*- und Inter-Personen öffentlich repräsentiert sein wollten. In auch einst üblichen Sprachformen wie „schwulesbisch“ oder „lesbischwul“ war das ja nicht der Fall. Was all diese Formeln aber eint, ist, dass sie bürgerrechtlich, nicht ideologisch oder identitär gemeint waren. Es ging nicht um Sammelsurisches, sondern, kurzum, um die Annonce öffentlicher Geltung, nicht mehr klandestiner Existenz – und damit um die Fähigkeit, öffentlich besprechbar zu werden, und sei es durch das, was der Soziologe Niklas Luhmann in etwa meinte, als er von der rhetorischen Fähigkeit zur Gehirnwäsche schrieb, die zur Geltung komme, wenn Anliegen politischer Drängeligkeit Diskursteilhabe beanspruchten.

„Schwule und Lesben wollten keine Gesetze mehr gegen sich dulden, Trans* und Inter* beanspruchten, nicht mehr Objekte von Medizin und Psychiatrie zu sein.“

Der Unterschied zwischen einem bürgerrechtlichen und einem identitätsverankernden Verständnis ist vielleicht so zu erläutern: Schwule und Lesben wollten keine Gesetze mehr gegen sich dulden (bei männlichen Homosexuellen der erst 1994 vollständig abgeschaffte § 175), Trans* und Inter* beanspruchten, nicht mehr Objekte von Medizin und Psychiatrie zu sein – sie wollten selbst mehr als nur ein Wort mitreden bei dem, was für sie wichtig ist, und vor allem, dass sie grundsätzlich keinen Medizinismus im kurierenden Sinne brauchen.

Und dennoch ist die Chiffre selbst ein mittlerer Horror – denn, so darf, ja so muss man fragen: Ist es nicht begreiflich, dass Heteros (männlich, weiblich oder in welchen Mixturen auch immer) das alles nicht begreiflich ist? Es gibt Schwule und Lesben, und dass es Trans* gibt, hat sich auch schon herumgesprochen, ebenso, dass das eigene Kind, wenn es einem Geschlecht nicht zuzuordnen ist, nicht Gegenstand von zwangsoperativen Eingriffen werden sollte oder gar möchte. Heteros verstehen, so ist zu hören, dass die Güte von Lebensweisen sich an Rechten bemisst, vor allem an jedwedem Fehlen diskriminierender Rechtsprechung.

Die Zurückweisung, wie sie etwa Slavoj Žižek unternahm, als er pauschal LGBTI*-Politiken als solche des Minderheitlichen charakterisierte, ist freilich ebenso verstehbar. Die allzu große Liebe der US-Demokraten zu minoritären Anliegen wie die der LGBTI*-Community habe dazu geführt, dass Donald Trump und sein Populismus habe gewinnen können. Tatsächlich, in einem politischen, nicht allein identitären Sinne, sind Fragen der „anderen Sexualität“ ja keine nur Minderheiten interessierende. Wahr am Anspruch von Trans*-Personen ist, dass über die öffentliche Verhandlung von Trans*-Anliegen die konkret betroffenen Personen überhaupt erst in der Agora, auf der die politischen Konflikte ausgetragen werden, sprechfähig werden. Schwule Männer und lesbische Frauen waren auch erst politikfähig, als sie sich, in der Bundesrepublik mit den frühen siebziger Jahren, zu Wort meldeten.

„Problematisch wird es, wenn an diese LGBTI*-Chiffre nun irgendwie auch noch Buchstaben wie Q und A angehängt werden.“

Erst diese Stimmkraft von Homosexuellen hat bewirkt, dass sich über ihre Communities hinaus der politische Mainstream – von den Linken bis zu den Unionskonservativen – mit den Fragen von Entpönalisierung und bürgerrechtlicher Gleichstellung befassen wollte. Insofern: Es ist kein identitäres Geklingel, melden auch Trans*- und Interleute sich zu Wort, lautstark. Was ist schon, aus der Perspektive eines Philosophen wie Žižek, der in den Kategorien von Haupt- und Nebenwidersprüchen denkt, als wäre er Teil eines Think Tanks der stalinistischen Linken, dagegen zu sagen? Trans*leute wollen nicht Objekte der Medizin sein, Inter*menschen möchten, dass das „Hermaphroditische“ nicht ein Medizinproblem bleibt – sondern als Anerkennenswertes Beachtung findet. Problematisch wird es nur, wenn an diese LGBTI*-Chiffre nun irgendwie auch noch Buchstaben wie Q und A angehängt werden – denn damit verliert sie ihren strikt alliierenden politischen Charakter, sie wird zu einer identitär im Irgendwie operierenden Gefühlsformel.

Lustlosigkeit als Haltung

Denn Q heißt queer – und dieser Buchstabe bedeutet für manchen, dass es ein Sammelbegriff ist für alle, die nicht der heterosexuellen Ordnung sich zurechnen (können oder wollen). Als ein politisches Programm nach Gusto Judith Butlers möge das indes nicht ausgelegt werden: Queer ist wirklich nur – wenn auch nicht queertheoretisch astrein – ein Begriff für das Sammelsurische.

Q steht freilich auch für den Umstand des „Questioning“, für Menschen, die an ihre Art des sexuellen Begehrens noch viele Fragen haben. Klar, dass sie in das Kürzel der Erwähltheit LGBTI*Q – so wird es in den entsprechenden queeren Szenen gern empfunden – aufgenommen sein möchten: Es signalisiert nun nicht mehr nur die Forderung nach rechtlichen Gleichstellungen, sondern die Möglichkeit, sich auch als Opfer (gern: des „Heterosexismus“) zu fühlen. Und damit mit einem Privileg auszurüsten – denn ein Dasein als Opfer bringt massive Vorteile in der öffentlichen Wahrnehmung, es ermöglicht auch die Teilhabe an den Manna-Ausgabestellen des Staates.

„Die zu LSBTI*QA mutierte – ja entgrenzte – Formel markiert nicht mehr ein politisches, sondern ein identitäres Programm.“

A hingegen will das auch: Es steht für Asexualität, Lustlosigkeit, und weil von der behauptet wird, dass sie auch eine Haltung gegen den heterosexuellen Traditionskomplex sei, möge sie ebenso in die opferistische Kürzelwendung mit integriert (sorry: inkludiert) werden. Fragen, dass Lustarmut am Sexuellen eventuell einfach nichts bedeutet, außer dass jemand keine Lust hat, jemand anderem an die Wäsche zu gehen oder sich von ihr/ihm an die Wäsche gehen zu lassen, verbieten sich. Die heterosexuelle Struktur, wie sie fantasiert wird, ist eine dauergeile und erregungsfordernde – was zwar Unfug ist, aber als Stereotyp blendend jeden Smalltalk trägt. Denn darum geht es stets: Benachteiligt, übersehen, übergangen oder exkludiert zu sein und dies in eine Formel („Große Erzählung“) bringen zu können, ist von schwerer Münze (auch in Anträgen an staatliche Stellen, die um Förderung buhlen).

Insofern: Die zu LSBTI*QA mutierte – ja entgrenzte – Formel markiert nicht mehr ein politisches, sondern ein identitäres Programm, das nicht mehr nach Politiken, nach Rechten und Rechtslagen fragt, sondern nach Einverständnis mit einer Welt, in der die Geschlechter sich auflösen, nur noch als Konstruierte scheinen – und alles abgelehnt wird, was irgendwie schlicht und ergreifend heterosexuell oder homosexuell sich äußert. Etwa eine Frau, die einen Mann will und mit diesem zusammen ein Kind oder gar mehrere. Ein Mann, der nicht queer sein möchte oder eine Frau, die dies auch nicht wünscht – die vielmehr lieber identitär in Ruhe gelassen werden möchten von den Zumutungen der politisch überheizenden Einschreibung ins politische Dissidente. Diese Figuren wären, recht besehen, in einem Verblendungszusammenhang gekerkert – schwer der Heteronormativität verdächtig, ließe sich spötteln, auf den Leim gegangen!

Bi – als halbes Ideal

Schon das B in der entgrenzenden Formel ist ein, so scheint es, Missverständnis. Ein Mann, der einem Mann an die Wäsche geht, wünscht einen schwulen Akt und muss damit rechnen, als Homosexueller beschämt zu werden; bandelte die gleiche Figur mit einer Frau an, wäre dies ein Fall eben des Bisexuellen, der allerdings nur die Alltagsgelegenheiten umreißt: Schon die Empiriker von Alfred Kinsey wussten in den späten vierziger Jahren, dass mehr als die Hälfte aller Männer im Laufe ihres Lebens homosexuelle Erfahrungen machen, nicht nur während der Pubertät, dem Abschnitt jeder Biographie, der am stärksten psychisch verunsichert. Aber was soll an B, also Bi, ein Problem sein? Weil Bi-Menschen diskriminiert würden, sagen Bi-Menschen – und können dies nur deshalb nachhaltig behaupten, weil ihnen niemand zu widersprechen traut: Wer Opfererfahrungen schildert, hat fraglos Recht – das ist die Crux jeder Kritik an identitären Formeln.

In summa: Was an dieser beinah grenzenlosen Formel LGBTI*QA am heftigsten stört, ist freilich, dass sie in Wahrheit niemanden aufregt. „Ich bin schwul“ oder „Ich bin lesbisch“ oder „Ich bin trans*“ – das hatte noch körperlichen Klang, der zu provozieren wusste, der auf Resonanz setzte – da steckte noch alle Ängstlichkeit vor „sexual otherness“ drin, das mutete den Adressaten zu, sich den eigenen Fantasien von Furcht und Nichtidentifikation zu stellen. Aber LGBTI*QA? Das ist breitgetretener Quark, der das Flüchtigste artikuliert, das es gibt: Identitäres. Dabei geht es vor allem um Rechte, um die Tilgung existentieller Einschränkungen von Staats und von Rechts wegen. Es muss das Politische gelten, mithin: Der Rest, also das wahre Leben, ist Privatsache.

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