02.07.2018

Lady Di und der Siegeszug der Emotionalität

Kommentar von Frank Furedi

Titelbild

Foto: Sciffler via Pixabay / CC0

Vor 20 Jahren begründete der Tod von Prinzessin Diana in Großbritannien eine neue, vermeintlich empfindsamere Ära. Seitdem müssen alle ihre Gefühle offenbaren – egal, ob sie das wollen.

Seit dem Tod von Prinzessin Diana vor 20 Jahren haben sich die Werte, die sie vertrat, weiterentwickelt und in der Gesellschaft verbreitet. Zum 20. Jahrestag ihres tödlichen Autounfalls erinnerten viele Kommentatoren an ihr Begräbnis, das von beispielloser Emotionalität und öffentlicher Trauer in Großbritannien geprägt war. Schon damals, im Jahre 1997, erkannten Beobachter, dass es bei den Szenen kollektiver Trauer um mehr ging als um bloße Hingabe zur „Prinzessin der Herzen“. In Großbritannien war eine neue Ära angebrochen. Prominente Persönlichkeiten sprangen rasch auf den Zug auf. Die gekonnte Vortäuschung von Empfindsamkeit gehörte bald zum Werkzeugkasten jedes aufstrebenden Politikers. Tony Blair preschte voran. In seinen Reden ging es vor allem ums Teilen, Geben, Sorgen und Helfen.

Die Institutionalisierung von Emotionalität kann jedoch nicht nur auf Dianas tragischen Tod zurückgeführt werden. Schon lange vor ihrem Tod bastelte die kulturelle Elite an Dianas Image als einer Art therapeutischer Prinzessin; dem Aushängeschild einer sich wandelnden Nation. Diese Veränderung wurde maßgeblich von Dianas berühmtem Interview mit Martin Bashir im Jahre 1995 vorangetrieben. Um ihre Kritik am alten Establishment zu legitimieren, spielte sie gekonnt die Karte der emotional mitgenommenen, verletzlichen Normalsterblichen. Das Interview war sorgfältig inszeniert, wurde den Zuschauern jedoch als authentische Beichte eines zum Schweigen gebrachten, emotional unterdrückten Opfers präsentiert. Dianas Sprache passte perfekt zu einem Zeitgeist, der von Menschen in zunehmendem Maße erwartete, Verletzlichkeit und Emotionen zur Schau zu stellen. In einer Gesellschaft, die zunehmend der Auffassung war, dass der öffentliche Ausdruck von Gefühlen der Weg zur Tugend sei, traf das Interview einen Nerv.

„Dianas Werte waren auch die eines aufstrebenden, neuen Establishments.“

Diana offenbarte in diesem Interview ihre bis dahin geheime Bulimie-Erkrankung und sagte: „Man denkt, man sei nicht gut genug. Das eigene Selbstbewusstsein ist auf einem Tiefpunkt angelangt. Deshalb fängt man an, sich selbst zu geißeln.“ Die Zuschauer wussten sofort, was gemeint war. Dianas Geständnis stimmte komplett mit dem neuen, therapeutischen Ethos überein.

In diesem Interview sprach Diana auch von ihrem Wunsch, „Königin der Herzen“ zu werden. In dieser Hinsicht war sie gewiss erfolgreich. Jedoch wäre es falsch, Dianas säkulare Heiligsprechung allein ihren eigenen Anstrengungen zuzuschreiben. Sie gab kulturellen Strömungen, die in der britischen Gesellschaft schon lange an Einfluss gewannen, ein Gesicht und eine Plattform. Dianas Werte waren auch die eines aufstrebenden, neuen Establishments. Die Prinzessin spielte eine Schlüsselrolle im Vorantreiben eines seiner Kernziele: die Entmachtung der Werte des „alten Großbritanniens“.

Obwohl Diana als Leitfigur der neuen Werteordnung aufgebaut wurde, überraschten die emotionalen Szenen nach ihrem Tod die britische Gesellschaft. Kommentatoren jeder politischen Couleur hießen jedoch die Trauerbekundungen willkommen. Sie bejubelten die öffentliche Zurschaustellung von Gefühlen als Zeichen einer neuen Ära: Die alten Zeiten steifer Selbstbeherrschung waren einer fürsorglichen, gefühlsstarken Gesellschaft gewichen. Großbritannien habe sich von einer rationalen zu einer emotionalen Kultur gewandelt, meinte eine Kommentatorin: „Die Vernunft hat an Bedeutung verloren, doch die Emotionalität ist aufgewertet worden.“ Frauen, „die weniger Hemmungen haben ihre Gefühle zu zeigen“, hätten alten, „zum Stoizismus erzogene“ Säcken das Fürchten gelehrt.

„Der ständige Druck, seine Gefühle zu offenbaren, führt zu einer Desensibilisierung.“

Seine Fürsprecher präsentieren den neuen Kult um die Emotionalität gerne als besonders sensibel und offen. Doch er trägt durchaus intolerante und illiberale Züge. Letzteres wurde nach dem Tod von Diana deutlich. In ihren Bemühungen, ihre emotionale Korrektheit unter Beweis zu stellen, ging die kulturelle Elite hart mit Mitgliedern des Königshauses ins Gericht, die ihre Trauer nicht öffentlich zur Schau stellen wollten. Die Medien belehrten Queen Elizabeth und Prince Charles, wie sie zu trauern hätten. Ihr Entschluss, für sich im Stillen zu trauern, wurde moralisch verurteilt und als gefühlskalt und unmenschlich angeprangert. Hysterisch fiel man über Prince Charles her, der es versäumt hatte, seine Söhne vor laufender Kamera in den Arm zu nehmen. Ein Psychologe erörterte gar in einer Tageszeitung, ob der mangelnde Körperkontakt zwischen Charles und seinen Söhnen an Kindesmissbrauch grenze.

Das alte Establishment konvertierte rasch zur neuen Gesinnung und erkannte den Wert feuchter Augen – ob nun echt oder vorgetäuscht. Wenige Wochen nach Dianas Beerdigung gab der Buckingham Palace bekannt, dass die Weihnachtsbotschaft der Queen sie als einfühlsamen Menschen zeigen würde. Auch die letzten Kritiker der Gefühlsseligkeit warfen ihre Einwände über Bord und schlossen sich dem allgemeinen Trend an.

Zwanzig Jahre später spielt Emotionalität in der britischen Politik immer noch eine Schlüsselrolle. Heute soll sie vor allem Entscheidungsschwäche maskieren oder die Tatsache verschleiern, dass man wichtige Prinzipien und Traditionen wie Stoizismus, Vernunft und den Schutz der Privatsphäre aufgegeben hat. Was heute kaum jemand versteht: Der ständige Druck, seine Gefühle zu offenbaren, führt nicht dazu, dass die Menschen ihr Gefühlsleben besser verstehen und glücklicher werden. In Wahrheit führt er zu einer Desensibilisierung. Deutlich wird das vor allem in Reality-TV-Shows, die als kulturelles Erbe der Diana-Ära betrachtet werden können. Den Teilnehmern wird ein Mikro vors Gesicht gehalten und sie werden gefragt „Wie fühlst Du dich?“. Ihnen bleibt nur eine Option. Wie Lady Di müssen sie mitspielen. So, wie es mittlerweile von uns allen erwartet wird.

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