08.08.2012

Für die Freiheit der Plastiktüte

Analyse von Tom Bailey

In England sind Plastiktüten noch kostenlos. Umweltaktivsten wollen das jetzt ändern. Tom Bailey berichtet über eine Kampagne, bei der es nur vordergründig um die Vermeidung von Müll geht. Mit der Plastiktüte soll vielmehr ein Symbol der Konsumgesellschaft dämonisiert werden

Nachdem jüngste Statistiken für England einen fünfprozentigen Zuwachs im Verbrauch von Plastiktüten auswiesen, fordern Umweltaktivisten nun, man solle für sie zahlen müssen. Dies ist im Rest von Großbritannien bereits länger üblich – in England hingegen gibt es Plastiktüten meist noch gratis zu jedem Einkauf mit dazu. Verschiedene grüne NGOs wie die „Campaign to Protect Rural England“, „Keep Britain Tidy“, die „Marine Conservation Society“ und die „Surfers Against Sewage“ fordern somit etwas, was in Deutschland schon seit vielen Jahren selbstverständlich ist.

Auch ihre Argumente gegen die kostenlosen Plastiktüten klingen vertraut. Einmal sollen sie für die Zerstörung der Tier- und Pflanzenwelt mitverantwortlich sein. Tiere können sie mit Nahrung verwechseln, sich in ihnen verfangen und verenden. Auch sollen sie die Landschaft verschandeln und bei ihrer Herstellung zu viel CO2 zu emittieren. Genauer betrachtet steht diese Plastiktütenpanik allerdings auf ziemlich tönernen Füßen. Gewiss tragen die Kunststofftragetaschen auch zur Müllproblematik bei – allein wenn man bedenkt, dass es 400 bis 1000 Jahre dauert, bis sie verrotten – doch tatsächlich ist ihr Beitrag minimal.
Großbritannien verbraucht ca. 10 Milliarden Plastiktüten jährlich. Jede einzelne von ihnen wiegt ca. 8 Gramm, was einem Gesamtgewicht von insgesamt bis zu rund 80.000 Tonnen entspricht. Eine große Zahl, vielleicht, doch fast nichts im Vergleich zur gesamten Abfallmenge. Jedes Jahr entstehen etwa 29,6 Millionen Tonnen Hausmüll. Plastiktüten haben daran einen Anteil von lediglich 0,27 Prozent – diese Zahl wäre noch niedriger, zählten wir auch industriellen Abfall mit dazu. Auch die Gesamtmenge an Öl zur Herstellung von Plastiktüten ist überschaubar, gerade wenn man sich vor Augen führt, dass Plastiktüten oft auch Naphtha beinhalten, ein Rohbenzin, das für kaum etwas anderes Verwendung findet und ansonsten vielleicht sogar verbrannt würde.

Also, was ist hier los? Soviel Panik um ein einfaches kleines Täschchen? In Wirklichkeit ist der Angriff auf Plastiktüten wohl eher ein Angriff auf die Konsumgesellschaft. Es gibt bei Grünen und der gesellschaftlichen Elite die weit verbreitete Auffassung, dass Massenkonsum generell etwas Schlechtes ist. Er wird als eine Art modernes Laster angesehen, sinnentleert, etwas, das die Atomisierungstendenzen der Gesellschaft verstärkt, uns durch platten Materialismus korrumpiert und von den eigentlich wichtigen Dingen des Lebens ablenkt.

Plastiktüten stehen für die Leichtigkeit, mit der Menschen Güter konsumieren und mit nach Hause nehmen können. Die Leute verfügen heutzutage über genug Einkommen, um einfach so in einen Laden zu marschieren und eine Menge Kram einkaufen. Dank Plastiktüten können diese mit einem beruhigten Gefühl transportiert werden. Wie oft haben sie sich auf dem Weg von der Arbeit spontan dafür entschieden, noch schnell einen Zwischenstopp in einem Supermarkt einzulegen und ein paar Sachen für Zuhause mitzunehmen? Wie häufig haben sie sich, als sie an einer Einkaufsstraße vorbeikamen, noch ganz kurzfristig zum Kauf ihres neuen Lieblingskleidungsstücks verleiten lassen? Genau diese Art von leichtem Konsum soll durch die Nicht-Bereitstellung von praktischen und kostenlosen Plastiktüten erschwert werden – so die Hoffnung der Umweltaktivisten.

Durch die Befreiung der Welt von diesen „sündigen“ Taschen soll sich der Konsum, so wie wir ihn kennen und genießen, für immer verändern. Bevor wir das Haus verlassen, sollen wir künftig in uns gehen und fragen, ob es tatsächlich noch nötig ist, etwas einzukaufen oder besser nicht. Erst dann wirft man sich seine Jutebeutel über die Schulter oder stopft sich seinen „Stofftüte fürs Leben“ in die Hosentaschen. Es geht darum innezuhalten und genau zu überlegen, ob und was wir heute konsumieren möchten. Der eigentliche Luxus des heutigen Konsums – nämlich ihn einfach und spontan auch aus einer Laune heraus tätigen zu können – soll erschwert werden. In den Augen einer Handvoll elitärer grünen Aktivisten wäre dies vielleicht eine gute Sache – aber für den Rest von uns eher nicht.

Weniger Plastiktüten würden mehr Unannehmlichkeiten bedeuten. Über ihren eigentlichen Zweck hinaus, nämlich Einkäufe nach Hause zu tragen, werden Plastiktüten für vieles mehr verwendet. Würden andere Grüne (etwa die Partei Bündnis 90/Die Grünen in Deutschland – Anmerkung des Übersetzers) mit ihren Forderungen durchkommen, Plastiktüten generell zu verbieten, müssten z.B. Radfahrer eine Alternative zu dem einfachen Trick entwickeln, bei Regen Plastiktüten als Trockenhalter für ihren Sattel zu benutzen. Auch könnte man nicht mehr einfach so Getränke in der Plastiktüte zu einer Party mitzubringen und diese Tüte anschließend beim Gastgeber liegen lassen. Schließlich ließe sich die Plastiktüte auch nicht mehr als Müllbeutel-Ersatz nutzen.

Der durch Plastiktüten entstehende Müll ist im Vergleich zum Gesamtmüllaufkommen minimal. Der wahre Grund, warum dieses dünne Stück Kunststoff verboten werden soll, liegt darin, dass es so unglaublich praktisch für unser modernes Leben ist. Die Kampagne gegen die Plastiktüte ist kaum mehr als ein schlecht verhüllter Angriff auf den Konsum und die angeblich so schmutzigen Gewohnheiten der Massen.

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