27.02.2023

Fantasy im Spiel und bei Geschlechtern

Von Andrea Seaman

Titelbild

Foto: Jamie McInall via Pexels

Das Computerspiel „Hogwarts Legacy“ soll boykottiert werden, weil „Harry Potter“-Autorin Joanne K. Rowling, Kritikerin des Trans-Aktivismus, daran verdient. Die Gamer kaufen es trotzdem.

Der irische Schriftsteller und Bühnenautor Oscar Wilde erkannte, dass Bücher weder moralisch noch unmoralisch, sondern alleine gut oder schlecht geschrieben sind. Hätte Wilde mithilfe des mythischen Steins der Weisen (der im ersten „Harry-Potter“-Buch vorkommt) bis in unsere Zeit überlebt, würde er diese Erkenntnis sicherlich auch auf Videospiele ausweiten. Und genau eine solche auf moralisierende Urteile verzichtende Bewertung braucht momentan das neue Videospiel „Hogwarts Legacy“. Der Plot desselben findet im „Harry-Potter“-Universum von J.K. Rowling statt.

„Hogwarts Legacy“ wird gerade von Transaktivisten und linksneigenden Gutmenschen als unmoralisches Spiel gebrandmarkt und boykottiert. Sie wollen es am liebsten zensieren oder ganz aus der Welt schaffen. Sie stören sich daran, dass ein Teil der dadurch gewonnenen Einnahmen J.K. Rowling zufließt. In ihren Augen ist Rowling eine transphobe Verächterin der Rechte von Transfrauen. Sie sei eine Verneinerin der Existenz von Transgendermenschen, eine grundlegend schlechte Person, die sich angeblich vor der dunklen Macht rechtsextremen Gedankenguts verneigt.

Rowlings Problem mit Transaktivisten begann 2020, als sie auf Twitter einen Artikel kritisierte, der „Menschen, die menstruieren“ statt „Frauen“ als Bezeichnung für erwachsene Personen weiblichen Geschlechts benutzte. „Menschen, die menstruieren“ dient als neuartiger Begriff dazu, biologisch geborene Frauen, die natürlicherweise menstruieren, von Männern abzugrenzen, die sich als Frauen identifizieren.

Die „Harry Potter“-Autorin wies lediglich darauf hin, wie die Aufnahme von Männern in die Kategorie „Frau“ zur Dehumanisierung von Frauen führt. Die daraus resultierende Benennung „Menschen, die menstruieren“ reduziert Frauen auf eine ihrer biologischen Mechanismen. Rowling meinte, „Menschen, die menstruieren“ und Frauen seien eigentlich dasselbe. Daher sei die neue Bezeichnung zugleich entmenschlichend und überflüssig.

„An sich ist ‚Hogwarts Legacy‘ aber für Kinder und ‚Harry-Potter‘-Fans ein Vergnügen.“

Der auf Twitter gegen sie gerichtete Sturm der Entrüstung warf Rowling vor, sie habe durch ihre Gleichsetzung von „Frauen“ und „Menschen, die menstruieren“ Transfrauen zu ‚unechten‘ Frauen (d.h. zu Männer in Frauenkleidern) erklärt. Es gibt, so Rowlings Kritiker, auch Frauen, die früher als Männer lebten und heute als selbsternannte Frauen nicht zur Menstruation fähig sind.

Die Schauspieler, die Harry, Hermine und Ron in den Filmen der „Harry-Potter“-Reihe verkörperten, wandten sich von Rowling ab und verurteilten sie indirekt, indem sie sich mit der Vorstellung, Transfrauen seien Frauen, gemein machten. Es ereignete sich sogar eine Serie ritualisierter Verbrennungen der Harry-Potter-Bücher. Praktisch täglich erhält Rowling hasserfüllte Nachrichten, Aufrufe zur Selbstzensur und zum Selbstmord – oder gar Morddrohungen. Und jetzt steht „Hogwarts Legacy“ im Fadenkreuz der sie ächtenden Meute.

An sich ist „Hogwarts Legacy“ aber für Kinder und „Harry-Potter“-Fans ein Vergnügen. Die Geschichte des Spiels dreht sich um die Rebellion der Kobolde im Jahre 1890. Es findet in der Zauberschule Hogwarts und der sie umgebenden Landschaft statt. Als Protagonist nimmt man die Rolle eines Schülers ein, der erst im fünften Schuljahr in Hogwarts beginnt und über spezielle magische Kräfte verfügt, die ihm bei der Verhinderung der Koboldrebellion behilflich sein werden.

Das Innere und Äußere des Schlosses Hogwarts, die dem Ort durch die Grafik eingehauchte Atmosphäre, die darin auftretenden Charaktere geben einem das Gefühl, man befinde sich wahrlich in der aus den „Potter“-Filmen allbekannten Zauberwelt. Das Kampfsystem, wo man Zaubersprüche geschickt anwenden muss, wirkt auch herausfordernd.

„Die Rezensionen des Spiels sind fast alle positiv, und weisen auf die treue Wiedergabe und Gestaltung des zauberumwobenen Settings hin.“

Der laufende Boykott von „Hogwarts Legacy“ ist somit zum Scheitern verdammt. Nachdem das Game am 10. Februar der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, schoss es auf Steam, der populären Internet-Vertriebsplattform für Computerspiele, an die Spitze der meistgekauften Spiele. Ferner sind die Rezensionen des Spiels fast alle positiv, und weisen auf die treue Wiedergabe und Gestaltung des zauberumwobenen Settings hin. Rowling selbst hatte keinen direkten kreativen Einfluss auf das Spiel. Sie kassiert bloß Tantiemen.

„Hogwarts Legacy“ bleibt aber ein Produkt unserer Zeit. Nicht nur das Aussehen und die Stimme, sondern auch das Gender des Protagonisten kann man bestimmen. Man kann auswählen, ob man als Hexer oder Hexerin gilt. Gewisse Gamer lassen ihren Protagonisten – als Rebellion gegen die zensurfreudigen Transaktivisten – wie einen Mann aussehen, klassifizieren ihn aber als „Hexerin“ und geben ihm obendrauf eine weibliche Stimme.

Die Wirtin des Wirtshauses Drei Besen in Hogsmeade – dem Dorf bei Hogwarts – ist eine Transhexerin namens Sirona Ryan. Sie sieht wie eine Frau aus, besitzt aber die Stimme eines Mannes. Die Boykottierer vermuten, Ryan sei nur erfunden worden, um die Transaktivisten zu besänftigen. Viele solcher Aktivisten empört es, dass Sirona mit dem Wort ‚Sir‘ beginnt, was angeblich einer Beleidigung von Transfrauen gleichkommen soll.

Das Online-Magazin Wired veröffentlichte eine berüchtigte Rezension von Jaina Grey, die „Hogwarts Legacy“ eine katastrophale Bewertung (1/10) gibt. Wer sich die Mühe macht, diese Rezension zu lesen, findet schnell, dass darin nicht das Game besprochen wird, sondern das persönliche Leben und die privaten Ansichten von Frau Grey. Sie erklärt dem Leser rührselig, wie sie sich in der Vergangenheit durch die Lektüre von „Harry Potter“ verstanden fühlte, und somit Rowling positiv gegenüberstand – während sie der „homophoben“ und „transphoben“ Rowling heutzutage nur noch mit Unverständnis und Enttäuschung begegnen kann.

„Wir alle, als Genießer künstlerischer Erzeugnisse, haben die Pflicht, uns gegen diese Politisierung der Kunst zu wenden.“

„Die Welt [von HL] ist leblos“, die „Figurenmodelle und Gesichtsanimationen sind zwar vorhanden, aber irgendwie abwesend,“ und „die Charaktere sind zwar animiert, aber sie wirken nicht lebendig,“ schreibt Grey. Sie behauptet, dass nur jemand, der Schaden (an Transmenschen) anrichten möchte, „Hogwarts Legacy“ würde kaufen wollen. Sie kann ihren Lesern also „nicht guten Gewissens empfehlen“, das Spiel zu erwerben.1

Sie erklärt, „es heißt, es sei Hogwarts, aber es fühlt sich nicht wie Hogwarts an.“ Denn es besteht für Grey „ein direkter Zusammenhang zwischen der Offenheit, mit der Rowling mit ihrer Bigotterie umgeht, und der Flachheit und Herzlosigkeit“ des Spiels. In dieser Rezension wird daher unfairerweise das ideologisch ausgelöste Dahinscheiden einer einstigen Liebe zu Rowlings Opus auf „Hogwarts Legacy“ selbst projiziert. Greys Rezension ist also eher ‚Das Bildnis der Jaina Grey‘ als eine ordentliche Einschätzung eines künstlerischen Produkts.

Möge sich der Erfolg von „Hogwarts Legacy“ fortsetzen, und nicht durch den Boykott aufgehalten werden. Besorgniserregend bleibt, dass künstlerische Freiheit heutzutage nicht von allen wertgeschätzt wird. Wir alle, als Genießer künstlerischer Erzeugnisse, haben die Pflicht, uns gegen diese Politisierung der Kunst zu wenden. Damit nicht Videospiele, die es hätte geben können, aufgrund von Zensur nie das Licht eines Monitors erblicken. Ansonsten könnten heute noch verpönte Verbrennungen von Rowlings Büchern eines Tages plötzlich normal erscheinen.

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