31.05.2018

Das sind doch alles Lobbyisten!

Von Johannes Richardt

Gerade bei Landwirtschafts- und Verbraucherthemen werden Stimmen, die vom grünen Zeitgeistkonsens abweichen, gerne mit „Lobbyvorwürfen“ überzogen. Dahinter steckt oft nicht mehr als eine trübe Schwarz-Weiß-Weltsicht.

Wer sich öffentlich in kontroverse Debatten einmischt, kennt es zur Genüge: Anstatt mit Sachargumenten wird man vom politischen Gegner mit auf die Person zielenden „ad hominem“-Attacken konfrontiert. Man müsse ja gekauft, unmoralisch oder geistig verwirrt sein, um Meinung x oder y zu vertreten. Ohne Zweifel hat sich diese Entwicklung in den letzten Jahren verschärft. Weil es in der politischen Arena an ernsthaften inhaltlich-programmatischen Alternativen fehlt, werden persönliche Befindlichkeiten, Lebensstil- und Konsumfragen oder Geschmacksurteile zunehmend politisiert. An die Stelle des harten und kontroversen Streits um die Sache tritt die persönliche Pöbelei, das Ressentiment oder die Vorverurteilung.

Gerade wer sich kritisch mit den identitätsstiftenden Lieblingsthemen des deutschen Bio-Bürgertums auseinandersetzt – von Ökolandwirtschaft über Erneuerbare bis zum nachhaltigen Konsum – wird besonders häufig mit dieser trüben Haltung konfrontiert. Hier nimmt sie vor allem die Gestalt des „Lobbyvorwurfs“ an. Wie, Du glaubst ernsthaft, Demeter-Dinkel schmecke nicht besser als konventionell hergestellter Dinkel? Du wagst es zu behaupten, die moderne Agrarindustrie sei eine verteidigenswerte zivilisatorische Errungenschaft? Dann musst Du ja von der Industrie gekauft sein!

Kürzlich wurde in der Zeitschrift Bilanz diesem modernen Mythos eine weitere kleine Episode hinzugefügt. Der Ex-Chefredakteur des Handelsblatts, Bernd Ziesemer, kritisiert in der aktuellen, nicht online abrufbaren Ausgabe die angeblichen PR-Praktiken des Bayer-Konzerns im Zusammenhang mit dem umstrittenen Herbizid Glyphosat. Erstaunlicherweise arbeitet er sich dabei in nicht unwesentlicher Länge auch an Novo ab.

Es lohnt sich nicht, hier zu sehr ins Detail zu gehen. Der stellenweise wirre und schlecht recherchierte Artikel (beispielsweise wird ein Autor, der vor fünf Jahren einen Text bei Novo veröffentlich hat, zu einem „regelmäßigen Autor“) ist gepflastert mit solch vertrauenserweckenden Phrasen wie „Eingeweihte behaupten“, „Behauptungen ihrer Kritiker zufolge...“, „Externe Kritiker wollen wissen...“. Der Autor und seine Quellen scheinen der Fantasie nachzuhängen, dass Novo aus finanziellem Interessen irgendwie mit Bayer unter einer Decke stecken würde, um die deutsche Öffentlichkeit irgendwie über dieses irgendwie schrecklich fiese Herbizid zu täuschen.

Salonfähiges Verschwörungsdenken

Diese Art der „Kritik“ ist der Novo-Redaktion so wohlvertraut, dass es an der Zeit ist, mal ein paar Zeilen dazu in die Welt zu setzen. Es ist die immergleiche Leier, dass Leute, die Meinungen vertreten, die einem selbst aus welchen Gründen auch immer nicht passen, von irgendwelchen finsteren Mächten – in diesem Fall eben Bayer – gesteuert sein müssen.

Veröffentlicht Novo Artikel, die etwa die Sinnhaftigkeit einer vegetarischen Ernährung anzweifeln, zieht für manche besonders hellsichtige Kommentatoren im Hintergrund die Fleischlobby die Fäden; weisen wir darauf hin, dass wissenschaftliche Beweise etwa für den Erfolg von „Low-Carb-Diäten“ fehlen, machen wir das nach Meinung der Kohlenhydratfeinde, weil Kellogs & Co. uns sponsern; üben wir Kritik an der Energiewende, steckt die fiese Kohle- oder Atomlobby dahinter; machen wir uns für eine liberale Einwanderungspolitik stark, sind wir Teil eines Kartells der links-grün versifften Lügenpresse; wenden wir uns gegen die zunehmend undifferenzierte „Israelkritik“ im Land, werden wir von einer zionistischen Lobby gesteuert. Und beim Thema Glyphosat werden wir dann als Schreibknechte der Chemiebranche deklariert usw. usf.

Das ist alles in der Sache ebenso billig wie es falsch ist. Wir tun, was wir tun, aus Überzeugung. Gleichzeitig schaden solcherlei kausale Verdrehungen dem demokratischen Diskurs. Sie befeuern ein gesellschaftliches Misstrauensklima und erschweren den rationalen Streit verschiedener Standpunkte.

„Glyphosat-Gegnern scheint die Vorstellungskraft zu fehlen, dass es Menschen gibt, die sich mit guten Gründen für das Herbizid stark machen“

Der britische Soziologe Frank Furedi hat vor ein paar Jahren in diesem Magazin thematisiert, wie sich in westlichen Gesellschaften, die sich weitestgehend von positiven, zukunftsorientierten Idealen abgewandt haben, ein kulturelles Narrativ ausbreiten konnte, das er Verschwörungsdenken nennt. Es ist zu unterscheiden von klassischen Verschwörungstheorien, wie sie von Paranoikern oder manchen marginalisierten Randgruppen bekannt sind. Verschwörungsdenken ist nicht wahn- oder krankhaft. Normale Menschen machen es sich zu eigen. Kennzeichnend dafür ist eine simplifizierende Schwarz-Weiß-Sicht auf die Welt, die hinter als negativ betrachteten Entwicklungen vor allem das Wirken oft nicht näher spezifizierbarer böser Kräfte vermutet. Furedi nennt das eine „Ideologie des Bösen“, bei der das „Unsichtbare wichtiger ist als das Sichtbare“. Nicht, was jemand sagt, zählt, sondern, welche im Dunklen liegenden Zwecke er angeblich damit verfolgt. Heutzutage ist dieses Denken gesellschaftlicher Mainstream. Seinen Nährboden findet es, laut Furedi, in einer Kultur des Misstrauens, in der den Mitmenschen, vor allem solchen mit anderen Ansichten oder Weltanschauungen, aber auch Institutionen, immer erst mal die schlechtesten Absichten unterstellt werden. Im oben genannten Beispiel wird Novo auf Grund seiner Pro-Glyphosat-Positionierung zu den „Bösen“ oder – wie es der Autor des oben genannten Artikels ausdrückt – zur „Krawalltruppe“.

Gerade die Debatte um Glyphosat zeigt exemplarisch, wie das, in diesem Fall grün angehauchte, Verschwörungsdenken funktioniert. Glyphosat-Gegnern scheint die Vorstellungskraft zu fehlen, dass es Menschen gibt, die sich mit guten Gründen für das Herbizid stark machen, nicht weil Sie von irgendwelchen finsteren Hintermännern gesteuert oder bezahlt werden oder irgendwelchen abstrusen Spinnereien anhängen, sondern weil sie Überzeugungen haben, für die sie sich in der demokratischen Arena einsetzen wollen – und in diesem Fall auch starke wissenschaftliche Fakten auf ihrer Seite wissen.

Glyphosat: Was sagt die Wissenschaft?

Bezeichnenderweise wird von Glyphosat-Gegnern, so auch im oben erwähnten Beitrag, meistens genau eine einzige Bewertung angeführt, nämlich die der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC), die das Herbizid als „wahrscheinlich krebserregend“ bezeichnet. Damit ist das Herbizid u.a. in Gesellschaft von Wurst oder heißem Tee. In der Regel nicht erwähnt wird hingegen, was Reuters Ende letzten Jahres aufgedeckt hat: IARC-Wissenschaftler haben Daten zurückgehalten, die auf die Unbedenklichkeit von Glyphosat verwiesen. Die Kollegen haben dafür einen renommierten Journalistenpreis gewonnen.

Sowohl das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) als auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Behörde für Chemikalien (ECHA) sowie entsprechende Behörden in vielen anderen Ländern (etwa Kanada, Japan, Australien und Neuseeland) sowie die Gemeinsame Expertengruppe zu Pestizidrückständen (JMPR) von Welternährungsorganisation (FAO) und Weltgesundheitsorganisation (WHO) können bei sachgemäßer Anwendung kein Krebsrisiko erkennen. Kurz: Die IARC ist weltweit die einzige solche Organisation, die Glyphosat als gesundheitlich bedenklich einstuft. Und genau genommen sagt noch nicht einmal die IARC, dass der Glyphosateinsatz ein Risiko darstellt. Um das zu verstehen, muss man sich über den Unterschied zwischen „Gefahr“ und „Risiko“ klarwerden.

Entgegen der wissenschaftlichen Faktenlage wird von Verbraucherschützern, Umweltverbänden, NGOs, Sozialdemokraten, Grünen und Öko-Instituten seit Jahren eine Kampagne nach dem Motto, wenn wissenschaftliche Ergebnisse nicht passen, werden sie entweder passend gemacht oder ignoriert, gefahren. Einige Beispiele gefällig? Mit infamen pseudowissenschaftlichen Studien wird Schwangeren Angst gemacht, Glyphosat könne die Muttermilch vergiften, tatsächlich müssten Säuglinge 1,6 Millionen Liter Muttermilch am Tag trinken, um vielleicht die Gesundheit zu gefährden, aber auch Bier wurde als durch Glyphosat „kontaminiert“ dargestellt, hier müsste ein erwachsener Mensch 1000 Liter am Tag trinken.

„Die Welt als simple Gut-und-Böse-Erzählung mag in Kindermärchen ihre Berechtigung haben. In erwachsenen Debatten sollten wir den Anspruch haben, klüger zu argumentieren.“

Kritiker dieser Verunsicherungskampagne werden regelmäßig als von der Industrie gekauft diskreditiert, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil man mit dieser Erzählung einer Sachdebatte aus dem Weg gehen kann. So werden diejenigen, die an einer faktenorientierten Debatte interessiert sind, zur „Krawalltruppe“. Die Frage hingegen, welches (auch finanzielle) Interesse diese Angstlobby daran hat, Menschen mit unwissenschaftlichen „Studien“ und simplifizierenden Märchen über die „böse Industrie“ und unsere technologische Zivilisation zu verunsichern, traut sich in der öffentlichen Debatte kaum jemand zu stellen.

Es ist gut und richtig, dass in Demokratien hart gestritten wird. Unterschiedliche Standpunkte müssen kontrovers ausgefochten werden, damit die Öffentlichkeit abwägen kann, welche Argumente sie letztlich mehr überzeugen. Auch persönliche Angriffe gehören zur politischen und publizistischen Auseinandersetzung. Wer damit nicht klarkommt, hat im öffentlichen Leben nichts zu suchen. Aber als ein Gemeinwesen mit aufgeklärtem Anspruch sollten wir uns dagegen verwehren, die Misstrauenskultur und das Verschwörungsdenken weiter salonfähig zu machen. Die Welt als simple Gut-und-Böse-Erzählung mag in Kindermärchen ihre Berechtigung haben. In erwachsenen Debatten sollten wir den Anspruch haben, klüger zu argumentieren.

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