06.11.2023

Zwielichtiges Institut blendete das Establishment

Von Kolja Zydatiss

Promis wie Armin Laschet und Sarah Wagenknecht traten bei einem Berliner Institut auf, das Verbindungen zu Sekten und Islamisten hat und dubiose Studiengänge anbietet. Cem Özdemir saß sogar im Beirat.

Im Rentnerbezirk Berlin-Reinickendorf, zwischen Bahngleisen und Autohäusern, steht der Hauptsitz des ICD. Es handelt sich um einen unscheinbaren weiß-blauen dreistöckigen Bau mit gläsernem Foyer, der von außen an die Zentrale eines kleineren Mittelständlers erinnert, oder vielleicht an einen gepflegten Sekundar- oder Berufsschulcampus, wie man ihn in Berlin selten findet, in Baden-Württemberg oder Bayern aber vielleicht etwas häufiger. ICD, das steht für „Institute for Cultural Diplomacy“ (Deutsch: Institut für Kulturdiplomatie). Glaubt man einer aktuellen Recherche der deutschen Vice-Redaktion, ist das ICD eine der seltsamsten und zugleich fragwürdigsten Organisationen Deutschlands. Wenn die schweren Vorwürfe stimmen, die Vice in einer zweiteiligen Artikelserie (hier und hier) gegen das Institut erhebt, haben wir es mit einer groß angelegten Trickserei zu tun. Eine Trickserei mit politischer Brisanz, weil es den Leitern des ICD offenbar gelungen ist, zahlreiche Spitzenpolitiker sowie eine staatliche deutsche Hochschule in ihren Bann zu ziehen, die den zwielichtigen Machenschaften eine gewisse Legitimität verliehen haben.

Mit was für einem Institut wir es überhaupt zu tun haben, ist nicht ganz klar, und damit fangen die Probleme schon an. Die Einrichtung in Berlin-Reinickendorf verbindet Elemente einer NGO, eines Konferenzveranstalters und einer privaten Hochschule in einer in Deutschland wohl einmaligen Weise. Das Geschäftsmodell sieht laut Vice so aus: Ein Heer von Praktikanten verschickt mehr oder weniger wahllos E-Mails an politische A-, B- und C-Promis oder ruft diese an, um sie für Auftritte auf einer endlosen Reihe von Konferenzen zum Thema „Kulturdiplomatie“ zu gewinnen, die das ICD zum Teil in Berlin, aber auch in verschiedenen anderen Städten rund um den Globus, organisiert. Daneben werden in Kooperation mit der staatlichen Hochschule Furtwangen in Baden-Württemberg zwei private Masterstudiengänge angeboten, deren Qualität, wenn die Informationen von Vice stimmen sollten, unterirdisch ist.

Laut Vice ist die Akkreditierung der besagten Studiengänge undurchsichtig und die Ausstellung von Studienbescheinigungen durch die landeseigene Hochschule an die externen ICD-Studenten möglicherweise rechtswidrig. Das ICD und die Hochschule Furtwangen kommunizierten außerdem nicht klar, ob man durch Teilnahme an den (laut Vice inhaltlich fast identischen) Studiengängen „Internationale Beziehungen und Kulturdiplomatie“ und „Internationale Wirtschaft, Business und Kulturdiplomatie“ einen Abschluss in Politikwissenschaften oder in BWL erwirbt. Enttäuschte aktuelle und ehemalige ICD-Studenten haben dem Medium von Lehrveranstaltungen berichtet, die aus wenig mehr als YouTube-Videos schauen und Wikipedia-Artikeln lesen bestehen.

„Zahlreiche Spitzenpolitiker sowie eine staatliche deutsche Hochschule haben den zwielichtigen Machenschaften eine gewisse Legitimität verliehen.“

Dabei seien sie und die jungen Praktikanten, die das ICD wie die Studenten mit blumigen Versprechungen aus aller Welt anlocke, in einem privaten Wohnheim untergebracht worden, das je nach Zeitpunkt als verdreckt und heruntergekommen oder als eine kaum bewohnbare Baustelle beschrieben wird. In einem Beschwerdebrief an die Institutsleitung schrieben Studenten 2017 laut Vice: „Für viele ist immer noch unklar, was ICD genau ist. Ist es eine NGO, eine Universität, ein Institut, ein Ort, um Steuern zu hinterziehen oder etwas noch Schlimmeres?“ Die Gebühren für ein Masterstudium betragen bis zu 12.000 Euro.

Führungstrio mit fragwürdigen Verbindungen

Das öffentliche Gesicht des ICD ist Mark Donfried. Der US-Amerikaner ist der Bruder von Karen Donfried, die von September 2021 bis März 2023 als hochrangigste Diplomatin der Biden-Administration in Europa fungierte. Obwohl sein höchster Abschluss nur ein Bachelor ist, ist Mark Donfried formell Leiter des ICD und verantwortet verschiedene Lehrveranstaltungen, in denen er, wie Studenten Vice berichteten, offenbar unstrukturiert über Dinge spricht, die ihm grade in den Sinn kommen. Donfried hat offenbar genau eine wissenschaftliche Veröffentlichung zum Thema Kulturdiplomatie vorzuweisen: Er ist Mitherausgeber des Sammelbandes „Searching for a Cultural Diplomacy“ (2010), den die wissenschaftlichen Rezensenten Nicholas J. Cull und Jitka Jurková unabhängig voneinander als mittelmäßig bewertet haben.

Eher im Hintergrund agieren laut Vice zwei weitere Amerikaner, das Ehepaar Riman und Rosie Vilnius, die so etwas wie die oligarchischen Bosse des ICD seien sollen. Gemeinsam führt das Trio Donfried, Vilnius und Vilnius seit fast 25 Jahren das kuriose Institut in der deutschen Hauptstadt. Das ICD gibt auf seiner Website ein weiteres Büro in  New York City an – im Empire State Building.

Offenbar steht Mark Donfried der für ihre Massenhochzeiten bekannten südkoreanischen Vereinigungskirche, besser bekannt als Moon-Sekte, nahe. Jedenfalls registrierte er laut Vice mehrere seiner Firmen an der Adresse einer Tarnorganisation der neuchristlichen Sekte in London, richtete eine Konferenz in deren Räumlichkeiten aus und sprach bei einer Gedenkfeier zum Todestag des Gründers Sun Myung Moon sowie auf weiteren Veranstaltungen der „Moonies“. Eine Tarnorganisation der Vereinigungskirche wirbt bei ICD-Veranstaltungen. Eine Mitgliedschaft in der Sekte dementierte Donfried auf Anfrage von Vice.

„Christlich-fundamentalistische oder islamische Sekten, Holocaustleugner und Figuren des politischen Mainstreams – wie passt das alles zusammen?“

Laut Vice hat das ICD inzwischen offenbar seine zuvor engen Beziehungen zu zwei weiteren fragwürdigen Organisationen gekappt. Das Institut habe der Redaktion schriftlich mitgeteilt, dass es seine Kooperation mit der südkoreanischen neuchristlichen Bewegung Shincheonji, die viele Experten ebenfalls für eine Sekte halten, wegen der Kontroversen um diese Organisation beendet habe. Ähnlich ging das Institut nach eigener Aussage auch im Falle des sektenartigen Netzwerks um den Türken Adnan Oktar vor. Der TV-Prediger, Publizist und Holocaustleugner und dessen enge Vertraute durften bis 2017 regelmäßig bei ICD-Konferenzen auftreten. Oktar wurde 2018 in der Türkei verhaftet und später wegen Freiheitsberaubung, sexuellen Missbrauchs, Körperverletzung und Gründung und Leitung einer kriminellen Vereinigung zu 8658 Jahren Haft verurteilt.

Globaler Kitsch zieht politische Prominenz an

Trotz dieser Verbindungen ist es dem ICD gelungen, quer durchs politische Spektrum zahlreiche Schwergewichte für seine Unterfangen zu gewinnen. Das Institut konnte sich zum Beispiel zeitweise mit den Namen des heutigen Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir (Grüne) schmücken, der von 2009 bis 2010 im Beirat des ICD saß. Özdemirs Büro teilte Vice mit, der Politiker sei von diesem Posten zurückgetreten, als er durch eine Gewerkschaft von zweifelhaften Arbeitsbedingungen am Institut erfuhr. Im ICD-Beirat saßen zeitweise auch die ehemalige Bundestagspräsidentin und Familienministerin Rita Süssmuth (CDU) sowie der frühere FDP-Generalsekretär und Minister für Entwicklungszusammenarbeit Dirk Niebel.

Mit Petr Bystron trat auch ein relativ bekannter AfD-Politiker als Redner auf einer ICD-Konferenz auf. Im Februar 2023 gab es eine Veranstaltung in Berlin unter anderem mit der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht (damals noch Teil von Die Linke), dem früheren Ministerpräsidenten von NRW und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) und dem ehemaligen französischen Premierminister François Fillon. Im September 2023 traten auf einer ICD-Konferenz im mazedonischen Skopje unter anderem der frühere Ministerpräsident von NRW und Kanzlerkandidat Armin Laschet sowie der langjährige Europaabgeordnete Elmar Brok (beide CDU) auf.

„Ein Schlüssel zum Erfolg des ICD wohl darin, dass es sich auf seichte Völkerverständigungs-Botschaften spezialisiert hat.“

Christlich-fundamentalistische oder islamische Sekten, Holocaustleugner und Figuren des politischen Mainstreams – wie passt das alles zusammen? Das Institut macht sich offensichtlich den Hang vieler Politiker zur eitlen Selbstdarstellung und Pöstchenjagd zunutze. Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg des ICD wohl darin, dass es sich auf seichte Völkerverständigungs-Botschaften spezialisiert hat. Damit liegt die Berliner Institution ganz auf der Linie des globalistischen, technokratischen Zeitgeistes. In der Hymne des ICD, getextet und komponiert von einem Darnell Stephen Summers (ja, das Mini-Institut hat eine eigene Hymne), wird auf Englisch unter anderem beschworen:

„Dies ist unser Planet,
unsere kostbare und blaue Heimat.
Leite und beschütze ihre Zukunft,
mit jeder neuen Morgendämmerung.

Wir brauchen Liebe und Verständnis,
um einen neuen Tag zu schaffen.
Halte uns eine helfende Hand hin,
und wir werden sicher unseren Weg finden.“

Die Vorträge auf den Konferenzen tragen Titel wie „Moderne Diplomatie in einer Welt der kulturellen Vielfalt“, „Die Verantwortung der Bürger in einer globalen Gemeinschaft“ oder „Förderung einer Kultur der Toleranz und des Friedens durch Hochschulbildung und generative KI“. Das klingt, als seien sie selbst von einer KI für modische Floskeln generiert worden. Eine Konferenzteilnehmerin erzählte Vice von ihrem Eindruck, dass es sich um Blabla-Veranstaltungen handele: „Ich bin nach der Konferenz nach Hause geflogen und habe mich gefragt, was Kulturdiplomatie eigentlich ist.“ Kontroverse Auseinandersetzungen werden dem Medium zufolge auf den ICD-Konferenzen vermieden. In Form regelmäßiger so genannter „Länderpräsentationen“ bietet das ICD auch kleptokratischen Scheindemokratien wie Simbabwe oder Malaysia eine Bühne, auf der sie sich möglichst vorteilhaft darstellen können.

Fast scheint es so, als hätte sich in Berlin so etwas wie eine privatwirtschaftliche Uno im Miniaturformat etabliert, mit ähnlichen Problemen. Dem ICD sollte man Im Kleinen wohl genauso misstrauen wie der Uno im Großen, wo z.B. gerade der Iran den Vorsitz eines Menschenrechtsforums übernommen hat und die Generalversammlung kürzlich ihre x-te einseitig gegen Israel gerichtete Resolution verabschiedet hat.

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