21.06.2013

Wie Elektrizität, Entwicklung und Fernsehen die Fruchtbarkeit reduzieren

Analyse von Martin Lewis

Das abnehmende Bevölkerungswachstum der Entwicklungsländer wird kaum beachtet – wohl wegen des Widerspruchs zu unseren Erwartungen. Etablierte Indikatoren reichen nicht als Erklärung. Wie der Historiker Martin Lewis zeigt, ist auch das Fernsehen ein wichtiger Faktor.

Die Wachstumsraten der Bevölkerung der meisten Entwicklungsländer außerhalb des tropischen Afrika sind signifikant zurückgegangen. Indien ist ein Beispiel dafür, wie wirtschaftliche und soziale Entwicklungen zu einem Geburtenrückgang geführt haben - die Fertilitätsrate ist geringer geworden und hat sich wieder der Reproduktionsrate angenähert. Ungeachtet dessen ist es in der öffentlichen Wahrnehmung und sogar bei Experten eine beliebte und durch fehlgeleitete Wahrnehmungen genährte Überzeugung, dass die globale Bevölkerung außer Kontrolle gerate und unhaltbare Lasten für Ressourcen und Umwelt auftürme.

Indiens sinkende Geburtenrate – nur noch geringfügig höher als die der Vereinigten Staaten – ist Teil eines globalen Trends hin zu geringerem Bevölkerungswachstum. Doch die Medien und große Teile der gebildeten Schichten haben diese wichtige Entwicklung völlig verpasst. Stattdessen halten sie fest an falschen Vorstellungen über das unaufhaltsame Wachstum der Weltbevölkerung und befeuern damit die panische Rhetorik über alles, von Umweltzerstörung und Einwanderung bis zur Nahrungs- und Ressourcenknappheit.

Den Ergebnissen einer aktuellen Übung nach waren die meisten meiner Studenten der Ansicht, Indiens absolute Geburtenrate (Total Fertility Rate, TFR) sei doppelt so hoch wie die der Vereinigten Staaten. Viele meiner Kollegen glaubten das gleiche. Tatsächlich liegt sie jedoch nur bei 2,5 – also kaum über der geschätzten US-Rate von 2,1 im Jahr 2011 und damit im Wesentlichen kaum über der Reproduktionsrate. (Laut einer neueren Studie liegt die US- Fruchtbarkeit bei 1,93.) Global betrachtet fallen Indien und die Vereinigten Staaten dennoch in die gleiche Kategorie der allgemeinen Fruchtbarkeit, wie aus der folgenden Karte ersichtlich wird.


„Heute sind die hohen Geburtenraten zunehmend auf das tropische Afrika beschränkt.

Heute sind die hohen Geburtenraten zunehmend auf das tropische Afrika beschränkt. Die Geburtenraten in den meisten der sogenannten Drittweltländer sind rapide gefallen, einige befinden sich bereits deutlich unter der Reproduktionsrate: Chile (1,85), Brasilien (1,81) und Thailand (1,56) haben heute niedrigere Geburtenraten als Frankreich (2,0), Norwegen (1,95) und Schweden (1,98).

Selbstverständlich sind die leicht erhöhten Fruchtbarkeiten in einigen dicht besiedelten Ländern Asiens und Lateinamerikas wie den Philippinen (3,1) und Guatemala (3,92) nach wie vor ein Problem.



Aber wie das Diagramm zeigt, ist auch auf den Philippinen ein stetiger Rückgang der TFR zu beobachten. Das gleiche gilt für Afghanistan, das fruchtbarste Land außerhalb Afrikas, zumindest für die letzten 15 Jahre. Wie ebenfalls zu sehen ist, waren die Rückgänge der TFR in afrikanischen Ländern wie Niger und Tansania viel bescheidener. Man muss allerdings anerkennen, dass eine Abnahme der Fruchtbarkeit nicht unbedingt permanent sein muss. Wie die New York Times vor Kurzem berichtete, hat das Zurückfahren der staatlich geförderten Familienplanung in Ägypten die Geburtenrate dort bereits wieder angehoben, was die jetzt schon vorhandenen demographischen Probleme des Landes weiter verstärkt.


Die Medien ignorieren den aktuellen Trend

Ich finde es außergewöhnlich, dass der massive globale Rückgang der menschlichen Fruchtbarkeit von den Medien so wenig beachtet wurde und sogar der Aufmerksamkeit hochgebildeter Amerikaner entging. Die veraltete Vorstellung, Mexiko habe eine vernichtend hohe Geburtenrate, beeinflusst weiterhin viele Diskussionen über eine Reform der Einwanderungspolitik in den USA, obwohl Mexikos TFR (2,32 im Jahr 2010) nur geringfügig über der der Vereinigten Staaten liegt.

Es scheint fast so, als hätten wir gemeinsam beschlossen, diese bedeutsame Transformation menschlichen Verhaltens zu ignorieren. Wissenschaftler und Journalisten gleichermaßen warnen weiter davor, die globale Bevölkerungsentwicklung gerate außer Kontrolle. Ein kürzlich in der Zeitschrift LiveScience erschienener Artikel etwa zitiert den Koautor eines wissenschaftlichen Berichts vom April 2013, demzufolge „die ärmsten Länder in einer Abwärtsspirale gefangen“ seien, „die Ressourcen verbrauche“, was „zu einer Bevölkerungsexplosion führen“ werde. Der Artikel argumentiert weiter, dass „eine Weltbevölkerung, die im Jahr 2050 auf neun Milliarden angewachsen sein wird, die Sorgen vieler Wissenschaftler und anderer verstärkt, dass unkontrolliertes Bevölkerungswachstum und steigender Verbrauch von natürlichen Ressourcen in der Zukunft zu schwerwiegenden Problemen führen wird.“

„Es scheint fast so, als hätten wir beschlossen, diese bedeutsame Transformation zu ignorieren."

Obwohl der LiveScience-Artikel feststellt, dass sich der ursprüngliche Bericht auf das Afrika südlich der Sahara konzentriert, erwähnt er nicht, dass die hohe Zunahme der Geburtenrate tatsächlich auf diesen Teil der Welt beschränkt ist, oder die Fertilitätsraten in fast allen Ländern in Afrika beständig sinken, wenn auch langsam. Viele afrikanische Staaten sind darüber hinaus noch dünn besiedelt und bieten Platz für deutlich größere Populationen. Die Zentralafrikanische Republik zum Beispiel hat eine Bevölkerung von weniger als 4,5 Millionen auf einer Fläche, die fast der Größe Frankreichs entspricht.


Die Fruchtbarkeit in Indien

Ein lehrreiches Beispiel für die Untersuchung des Rückgangs der Fruchtbarkeit ist Indien. Der Biologe Paul Ehrlich – ebenfalls Koautor des oben zitierten wissenschaftlichen Artikels – begann 1968 an der Stanford Universität die Arbeit an seinem berüchtigten Werk „Die Bevölkerungsbombe“, dessen Umschlag mit der Abbildung eines wimmelnden Neu-Delhi kommende Katastrophen beschwor. Er warnte, die Überbevölkerung werde schon bald massive Hungersnöte über Kontinente hinweg auslösen und sprach sich deshalb für Zwangsmaßnahmen aus: die „Sterilisierung aller indischen Männer mit drei oder mehr Kindern.“

Teilweise als Reaktion auf solche dramatischen Prophezeiungen und Ratschläge startete Indien in den 1970er Jahren eine Kampagne, die auf Zwangssterilisation abzielte. Dieses weltweit heftig kritisierte Programm wurde schnell wieder zurückgenommen – mit kaum spürbaren Auswirkungen auf Indiens TFR, deren beständiger Abwärtstrend sich weiter fortsetzte.

„Wäre da nicht das Hindi-sprachige Kernland, würde Indiens Bevölkerung sich bereits stabilisieren."



Es wäre allerdings verfehlt, Indien als einheitliches Ganzes zu betrachten. Wie auf der Karte ersichtlich, bewegt sich die Fruchtbarkeit in gut der Hälfte Indiens tatsächlich unterhalb der Reproduktionsrate. Wäre da nicht das Hindi-sprachige Kernland, würde Indiens Bevölkerung sich bereits stabilisieren, ja sogar einen Rückgang verzeichnen. Alle Staaten des südlichen Indien haben eine TFR von unter 1,9. Einige Staaten im Norden und Nordosten haben ähnlich niedrige Geburtenraten, einschließlich West-Bengalen, bekannt für seine überfüllte Metropole Kalkutta (Kolkata).

Indiens geographische Ungleichheiten bei der Geburtenrate, verbunden mit der bewundernswerten Fähigkeit des Landes, sozioökonomische Daten zu sammeln, ermöglichen es uns, die existierenden Vorstellungen über den Rückgang der Fruchtbarkeit sorgfältig zu prüfen. Das geschieht im Folgenden durch Kartografie, und zwar durch den Vergleich der Karte der Fertilitätsraten für Indien mit den Karten zu anderen sozialen und wirtschaftlichen Indikatoren. Dort, wo starke räumliche Korrelationen auftreten, können zugrundeliegende Ursachen angegeben werden. Eine solche Technik ist zugegebenermaßen suggestiv statt schlussfolgernd und institutionelle Variablen wie Familienplanung werden dabei nicht berücksichtigt. Dennoch ergeben sich einige faszinierende Implikationen.


Der weibliche Bildungsstand

Viele Wissenschaftler verknüpfen Rückgänge in der Geburtenrate mit dem weiblichen Bildungsstand. Ihrer Ansicht nach bevorzugen gebildete Frauen meist kleinere Familien, so dass sie ihre eigenen Interessen besser verfolgen und mehr Ressourcen und Zeit in jedes einzelne Kind investieren können. Wie sich herausstellt, weist die Karte des weiblichen Bildungsstandes in Indien auffallende Ähnlichkeiten mit der Karte der Fruchtbarkeit auf. In Staaten mit gebildeten Frauen, wie Kerala und Goa, sind die Familien kleiner als in denjenigen mit einem weit verbreiteten weiblichen Analphabetismus, wie Bihar und Uttar Pradesh.

„Der Zusammenhang ist von begrenzter Aussagekraft."

Trotz der starken Korrelation ist dieser Zusammenhang von begrenzter Aussagekraft, da Kerala und Goa bei jedem sozialen Indikator vorn liegen, ebenso wie Bihar und Uttar Pradesh in diesen Bereichen auf den letzten Plätzen landen. Außerdem sind verschiedene Ausnahmen evident. So verbindet sich etwa in Andhra Pradesh sowie in Jammu und Kaschmir eine niedrige Alphabetisierung von Frauen mit niedrigen Geburtenraten, während das Muster in Meghalaya und Nagaland umgekehrt ist. Die Bildung von Frauen hat also zweifellos signifikante Auswirkungen auf die Reduzierung der Fruchtbarkeit, ist aber keineswegs der einzige bestimmende Faktor.

Wirtschaftliche Entwicklung und Urbanisierung

Das allgemeine Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung, wiedergegeben durch das Pro-Kopf- BIP, kann Indiens Fortpflanzungsverhalten ebenfalls nicht vollständig erklären. Erneut zeigt der Vergleich von Karten mancherorts Kongruenzen, aber Abweichungen in anderen Gebieten. Staaten mit niedriger Fruchtbarkeit wie Andhra Pradesh und Westbengalen sind nach indischen Vorstellungen keine wohlhabenden Staaten. Das westindische Gujarat steht wirtschaftlich deutlich besser dar, aber dennoch ist die Geburtenrate hier nach wie vor höher und liegt leicht über der Reproduktionsrate.


„Die Antwort liegt nicht in der Verstädterung allein.

Urbanisierung korreliert oft mit eingeschränkter Fruchtbarkeit, und daher ist eine Verbindung zwischen dem schnellen Wachstum der Städte Indiens mit der sinkenden Geburtenrate durchaus wahrscheinlich. Insgesamt ist Indien jedoch vorwiegend ländlich geprägt, so dass die Antwort nicht allein in der Verstädterung liegen kann. Wohlgemerkt weisen auch Staaten mit niedriger Fruchtbarkeit wie Kerala und vor allem Himachal Pradesh nur geringe Urbanisierungsraten auf, während die Situation in Mizoram genau entgegengesetzt ist.


Gesellschaftliche Entwicklung und Modernisierung

Das allgemeine Niveau der gesellschaftlichen Entwicklung ermöglicht einen weiteren interessanten Vergleich. Die etwas veraltete Karte des Human Development Index (HDI) aus der Wikipedia weicht erneut von der Fruchtbarkeitskarte ab, vor allem in Bezug auf Andhra Pradesh und Odisha ( Orissa ) mit niedrigem und auf Nagaland und Manipur mit hohem HDI. Auch die Abbildung der Lebenserwartung, ein wichtiger sozialer Indikator, zeigt erneut sowohl Gemeinsamkeiten als auch Anomalien. Staaten mit hoher Lebenserwartung haben tendenziell niedrigere Geburtenraten (erneut Kerala), während diejenigen mit geringer Lebenserwartung (vor allem Madhya Pradesh) zu hohen Geburtenraten neigen. Doch obwohl Odisha in Bezug auf die Langlebigkeit sogar hinter Bihar und Uttar Pradesh zurückbleibt, liegt seine TFR (2,2) in der Nähe der Reproduktionsrate; damit ist sie sogar niedriger als die von Gujarat.



„Es gibt interessante Ausnahmen vom allgemeinen Muster.

Auch die technologische Modernisierung ist eine Untersuchung wert. Hier wollen wir die Elektrifizierung als Beispiel nehmen. Das Ausmaß des Stromverbrauchs variiert im ganzen Land enorm. Alle südlichen und weit nördlichen Teile Indiens sind heute fast vollständig elektrifiziert, während im verarmten Bihar weniger als 20 Prozent der Haushalte über elektrisches Licht verfügen. Insgesamt bleibt das allgemeine Muster hier wie auf den anderen Karten bestehen, mit interessanten Ausnahmen. Nagaland und Chhattisgarh zum Beispiel haben eine relativ hohe Elektrifizierung, und zeichnen sich doch durch erhöhte Geburtenraten aus.

Fruchtbarkeit und Fernsehen

Manche Experten haben den Standpunkt vertreten, die jüngsten Rückgänge der Fruchtbarkeit in Indien und anderswo in der Dritten Welt seien vor allem mit einer technologischen Innovation verbunden: dem Fernsehen. Die TV-Hypothese ist auf diesem Gebiet gut bekannt, und wird etwa in dem oben bereits erwähnten LiveScience-Artikel über die afrikanische Bevölkerungsexplosion diskutiert. Wie Robert Jensen und Emily Oster jedoch mit Bezug auf Indien überzeugend darlegen, wirkt dieser magische Einfluss des Fernsehens vor allem durch die verbesserte soziale Stellung der Frauen. Wie sie in ihrer Zusammenfassung darstellen:

„Diese Arbeit untersucht die Wirkung der Einführung des Kabelfernsehens auf den Status von Frauen im ländlichen Indien. Mithilfe eines Drei-Jahres-Paneldatensatzes auf individueller Ebene zeigen wir, dass die Einführung des Kabelfernsehens nicht nur mit einer signifikanten Abnahme der gemeldeten Akzeptabilität häuslicher Gewalt gegen Frauen und einer abnehmenden Bevorzugung von Söhnen assoziiert ist, sondern auch mit einer Erhöhung der Autonomie von Frauen und einem Rückgang der Fruchtbarkeit. Wir finden auch Hinweise darauf, dass Kabelfernsehen die Zahl der Schulanmeldungen jüngerer Kinder anhebt, was möglicherweise durch die größere Beteiligung von Frauen an der Entscheidungsfindung im Haushalt verstärkt wird. Unserer Ansicht nach werden die Ergebnisse nicht durch bereits bestehende Differentialtrends verstärkt.“



Wie sich zeigt, weist die Karte des Fernseherbesitzes in Indien eine besonders enge Ähnlichkeit mit der Fruchtbarkeitskarte auf. Zwei Staaten mit anomal niedriger Fruchtbarkeit und mit niedrigem weiblichen Bildungsniveau, Andhra Pradesh sowie Jammu und Kaschmir, punkten relativ hoch bei der Versorgung mit Fernsehern, ebenso wie West Bengalen, das auch bei mehreren anderen wichtigen sozioökonomischen Indikatoren hinterherhinkt.

„Die Karte des Fernsehbesitzes weist eine besonders enge Ähnlichkeit mit der Fruchtbarkeitsrate auf."

Die Korrelation ist bei weitem nicht perfekt: Mizoram steht höher auf dem TV-Chart als seine Fruchtbarkeitszahlen vermuten lassen würden, während Odisha und Assam weiter unten stehen. Odisha und Assam erweisen sich als etwas weniger außergewöhnlich, wenn man sie unter einem verwandten, aber breiteren und genderbetonten Aspekt betrachtet, nämlich dem der „weiblichen Exposition gegenüber Medien“. Diese Zahlen, die eine Fernseherkomponente enthalten, scheinen die insgesamt beste Korrelation mit dem räumlichen Muster der indischen Fruchtbarkeit zu bieten.


Warum der Einfluss ignoriert wird

Ich vermute, der rapide Abfall der Geburtenraten in Ländern wie Indien und Brasilien und deren Assoziation mit Fernsehgeräten wurde von den amerikanischen Mainstream-Medien zum Teil deshalb ignoriert, weil das den festgefügten Erwartungen so eklatant widerspricht. Dass Fernsehen dabei hilft, die demografische Entwicklung zu stabilisieren, wäre wohl für diejenigen, die in den 1960er Jahren vor der tickenden Bombe der Weltbevölkerung warnten, ein echter Schock.

Ein Großteil derselben Kritiker hielt das Fernsehen nicht nur für entfremdend, verdummend und indoktrinierend, sondern meinte auch, mit der Verbreitung des Konsumdenkens würde es die Umweltzerstörung beschleunigen. So wurde das 1978 erschienene Buch Schafft das Fernsehen ab. Eine Streitschrift gegen das Leben aus zweiter Hand des Autors Jerry Mander von großen Teilen der grünen Bewegung begrüßt und wird auf zivilisationskritischen Blogs wie Primitivist noch immer wohlwollend zitiert. Laut Mander fehle dem Fernsehen nicht nur das demokratische Potential, es fungiere auch als Verstärker autokratischer Kontrolle.

„Kritiker hielten das Fernsehen für entfremdend, verdummend und indoktrinierend."

Mander sitzt derzeit im Vorstand des in San Francisco ansässigen International Forum on Globalization – gemeinsam mit Vandana Shiva, Indiens prominentester Umweltaktivistin. Shiva, bekannt für ihre Kampagnen gegen gentechnisch veränderte Pflanzen, hat gegenüber den meisten Aspekten der Moderne eine ablehnende Haltung und fordert die Rückkehr zum ökologischen Landbau und zu einer traditionellen Lebensweise überhaupt – natürlich ohne Patriarchat und Unterdrückung durch Klassen oder Kasten. Anfang des Jahres machte sie mit folgendem an einen prominenten Umweltschützer und Befürworter grüner Gentechnik adressierten Tweet von sich reden, in dem es hieß: „Wenn Mark Lynas sagt, Landwirte sollten genetisch veränderte Organismen anpflanzen dürfen, die Biobetriebe kontaminieren können, dann könnte er genauso gut sagen, Vergewaltiger sollten die Freiheit haben sollten, zu vergewaltigen.“

Konträr zu Shivas Standpunkt bezweifeln die meisten Experten jedoch, Indien könne sich durch vormoderne Landwirtschaft ernähren. Der Blogger Bernie Mooney, der sich selbst als Progressive Contrarian bezeichnet, ist der Ansicht, Shiva sei letztlich „eine elitäre, fortschrittsfeindliche Bedrohung“, deren Programm, wenn es umgesetzt würde, nicht nur „den Armen in der Welt nicht helfen, sondern sie am Existenzminimum halten und vor allem an ihren Standort fesseln würde.“ Mooneys Einschätzung ist zwar recht hart, aber tatsächlich hätte eine Rückkehr zu traditionellen Lebensformen wahrscheinlich eine hohe Fruchtbarkeit zur Folge, die wiederum zu einem wirklich untragbarem Bevölkerungswachstum führen würde.

Die Rollenbilder der Telenovelas

Man kann sich nur schwer der Folgerung entziehen, der von fast allen Umweltschützern als notwendig erachtete Übergang zu niedrigen Geburtenraten setze vor allem im soziokulturellen Bereich eine erhebliche Modernisierung voraus. Das Fernsehen senkt die Fruchtbarkeit, denn viele Sendungen zeigen bürgerliche Modell-Familien, die den Übergang von der Tradition zur Moderne nicht zuletzt dadurch erfolgreich bewältigen, dass sie nur wenige Kinder zu ernähren haben. In einer Studie über sinkende Geburtenraten und Fernsehen in Brasilien weisen Eliana La Ferrara, Alberto Chong und Suzanne Duryea vor allem auf die Rolle von Seifenopern (Telenovelas) hin:

„Wir betrachten die Fruchtbarkeit in Brasilien, wo in den Seifenopern Familien dargestellt werden, die viel kleiner sind als in der Realität. Dabei legen wir die jeweiligen Zeitpunkte zugrunde, an denen Rede Globo (das praktisch alle Novelas des Landes produzierende TV-Netzwerk) in den verschiedenen Regionen zu senden begonnen hat. Aus den Daten des Zensus für den Zeitraum 1970-1991 geht hervor, dass die Frauen in den vom Globo-Signal abgedeckten Gebieten deutlich niedrigere Fruchtbarkeiten aufweisen. Dieser Effekt ist am stärksten bei Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status und Frauen in den mittleren und späten Phasen ihres Fruchtbarkeitszyklus. (...) Schließlich zeigen wir, dass es vor allem die Novelas zu sein scheinen (und nicht das Fernsehen an sich), die die Entscheidungen der Betroffenen beeinflussen.“


Wenn es stimmt, dass Seifenopern eine entscheidende Rolle beim spektakulären Rückgang von Brasiliens Fruchtbarkeit gespielt haben – die dortige TFR sank von 6,25 im Jahr 1960 auf 1,81 im Jahr 2011 – dann hat das politische Implikationen von großer Tragweite. Aber es erfordert eine grundlegende Veränderung der Art und Weise, wie wir über Technologie, Bevölkerung und Umwelt denken und reden, um diesen Punkt anzustoßen. Laut Ted Nordhaus und Michael Shellenberger gehen hartgesottene Umweltschützer in der Regel jedoch lieber so vor: „Sie packen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine ökologische Katastrophe in eine tragische Erzählung, die die Sehnsucht nach der Natur heraufbeschwört, während sie noch schlimmere Katastrophen prophezeien, es sei denn, die menschliche Gesellschaft tut Buße für ihre Sünden gegen die Natur und setzt sich für die Rückkehr zu einer harmonischen Beziehung mit der natürlichen Welt ein.“ Die hier präsentierten Daten bestätigen, dass es Zeit ist für eine neue Umwelt-Rhetorik.

„Wenn Seifenopern eine entscheidende Rolle beim Rückgang der Fruchtbarkeit spielen, dann hat das politische Implikationen von großer Tragweite.

Kehren wir zu unserer ersten Karte zurück: Die Fertilitätsraten im tropischen Afrika bleiben hartnäckig hoch. Die vorliegende Analyse legt als optimale Möglichkeit zu deren Senkung ein Drei-Säulen-Modell nahe: weibliche Bildung, breit angelegte wirtschaftliche und soziale Entwicklung, und großflächige Elektrifizierung, gefolgt von der Verbreitung von Fernsehprogrammen mit vielen Seifenopern. Derzeit wächst Afrikas TV-Markt rasant, aber der Großteil der Programme ist stark sportfokussiert. Man kann nur hoffen, dass Nollywood (Nigeria Hollywood) und andere afrikanische Unterhaltungsunternehmen künftig genau diejenigen frauenfokussierten und lokal ansprechenden Telenovelas bringen, die andernorts so stark mit dem Rückgang der Geburtenraten verknüpft sind.

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