15.06.2017

Kulturkampf um junge Wähler

Kommentar von Frank Furedi

Titelbild

Foto: Ed Everett via Flickr / CC BY 2.0

Medien und Promis schüren in Großbritannien einen bedenklichen Generationenkonflikt. „Weltoffene“ junge Leute sollen sich vermeintlich rückwärtsgewandten älteren Wählern entgegensetzen.

Im Zuge der britischen Unterhauswahl wurden wir Zeugen einer bemerkenswerten Politisierung der Generationenbeziehungen. Politische Ideologie, Klasseninteressen und andere Faktoren, die traditionellerweise das Wählerverhalten bestimmen, wichen einer Auseinandersetzung zwischen Alten und Jungen. Zweifelsohne gab es viele Gründe für die unerwartete Schlappe der Konservativen, aber die Ablehnung junger Wähler scheint einer der wichtigsten gewesen zu sein. Unter 18- bis 24-Jährigen war die Wahlbeteiligung ungewöhnlich hoch. Eine Altersgruppe, bei der die Labour-Partei im Vergleich zur restlichen Bevölkerung einen 51-prozentigen Vorsprung hat. „Die wichtigste politische Trennlinie in Großbritannien ist das Alter“, schreibt das Magazin The Economist.

Kommentatoren liefern verschiedene Erklärungsansätze für die Politisierung der Demografie. Manche vermuten, die Unterstützung der Labour-Partei durch junge Leute habe ökonomische Beweggründe. Sie glauben, dass Jeremy Corbyns Versprechen, die Studiengebühren abzuschaffen und Austeritätsmaßnahmen rückgängig zu machen, jüngere Wähler auf seine Seite gezogen habe.

„Politische Ideologie, Klasseninteressen und andere Faktoren, die traditionellerweise das Wählerverhalten bestimmen, wichen einer Auseinandersetzung zwischen Alten und Jungen.“

Andere argumentieren, dass die vielen jungen Stimmen für Corbyn eine Vergeltung für den Brexit gewesen seien. Georg Osborne, ehemaliger Finanzminister der Torys und prominentes Gesicht der Remain-Kampagne, sprach von einer „Rache der Jungen“. Er sagte: „In Universitätsstädten und ähnlichen Orten kommen die Jungen hervor, wählen und machen die Tory-Abgeordneten fertig.“

Für Kommentatoren, die der Labour-Partei nahestehen, insbesondere dem radikalen Flügel „Momentum“, ist das sogenannte „Youthquake“ (zu Deutsch: Jugendbeben) ein Aufstand der Entrechteten und Marginalisierten, die nun endlich laut werden. Aus ihrer Sicht leitet die Mobilisierung junger Wähler eine neue Phase radikaler Politik ein.

Es ist wahrscheinlich, dass all diese Faktoren auf ihre Weise zum „Erfolg“ der Labour-Partei beitrugen. Dennoch lässt sich das abweichende Wahlverhalten der jüngeren Generation nicht einfach auf wirtschaftliche und politische Beweggründe reduzieren. Ja, bei Themen wie dem Brexit gibt es tiefgreifende Unterschiede zwischen den Generationen. Aber der Streit zwischen Alten und Jungen kann nur verstanden werden, wenn man berücksichtigt, welchen Einfluss die Populärkultur und vermeintlich „kosmopolitische“ Werte auf letztere haben.

„Die Medien riefen junge Menschen dazu auf, das Land zu retten.“

Manche Kommentatoren behaupten, dass Musiker, Promis und andere Größen aus der Welt der Popkultur mit ihrem Engagement die Aussichten der Labour-Partei verbessert hätten. Sie verweisen auf Kampagnen wie #Grime4Corbyn, bei denen sich Rapper wie JME für den Labour-Kandidaten starkmachten. „Haben wir Musikern die hohe Wahlbeteiligung unter jungen Leuten zu verdanken?“, fragte ein BBC-Reporter. Die Antwort auf diese Frage lautet: „Vermutlich nicht“. Die Musiker, die sich für Corbyn einsetzten, sind lediglich Teil eines größeren Aufgebots, bestehend aus Personen der Pop- und Promikultur sowie der Medien. Es gab großangelegte Kampagnen, um 18-Jährige dazu zu bewegen, sich als Wähler registrieren zu lassen. Die Medien riefen junge Menschen dazu auf, das Land zu retten. Der Appell an die Jugend wurde besonders über die sozialen Medien verbreitet. Man gab sich wenig Mühe, eine bestimmte Ideologie zu bewerben. Es wurden nur gelegentlich Themen aufgegriffen, die als klassisch linksgerichtet oder radikal gelten könnten. Selbst das Versprechen kostenfreier universitärer Bildung und die anderen Anti-Austeritätsmaßnahmen schienen mehr von einer Opferrhetorik als von einem radikalen Umverteilungsgedanken geprägt.

Der wichtigste Aspekt der aktuellen Politisierung von Generationenbeziehungen ist die Betonung von kulturellen Konflikten. Die Unterstützer der Tories wurden im Wahlkampf als kulturell Unterlegene dargestellt, als engstirnige Eiferer mit überholten Vorurteilen. Wie schon im Vorfeld des Brexit-Referendums riefen linksliberale Kommentatoren wie Owen Jones junge Leute dazu auf, vor der Unterhauswahl ihre Großeltern anzurufen. Es sollte verhindert werden, dass diese rückwärtsgewandten, ignoranten Menschen „falsch“ wählen und Großbritannien ins Verderben stürzen.

Kulturelle Konflikte schaffen eine moralische Distanz zwischen den Menschen. Das befördert intolerante, illiberale Verhaltensweisen. Kurz vor der Wahl haben einige Anti-Tory-Aktivisten konservative Zeitungen verbrannt und anschließend in den sozialen Medien damit geprahlt. Ohne eine Spur von historischem Bewusstsein bezeichneten sie ihre Gegner als „Faschisten“, während sie Drucksachen anzündeten.

„Die Unterstützer der Tories wurden im Wahlkampf als kulturell Unterlegene dargestellt.“

Die Überzeugung, dass es in Ordnung ist, Zeitungen zu verbrennen, ist lediglich ein besonders extremer Ausdruck der Ablehnung liberaler Werte. Solche Aktionen werden durch einen allgemeinen Zeitgeist legitimiert, der junge Menschen ermutigt, ihre vermeintlich überlegenen Anschauungen anderen, vor allem den Alten, aufzuzwingen.

Alle großen Parteien sind für diese Entwicklung mitverantwortlich. Die Labour-Partei und die Liberaldemokraten machten aus dem Umgarnen junger Wähler eine regelrechte Kunstform. Die Tories haben nichts dagegen unternommen. Die jüngste Wahl verdeutlicht, dass sie die Fähigkeit verloren haben, mit jungen Wählern zu interagieren oder die jüngere Generation zu begeistern. Das liegt größtenteils daran, dass die Jungen mittlerweile komplett unter dem Einfluss kultureller Kräfte stehen, die den Tories feindlich gesonnen sind.

Ein Artikel einer jungen Corbyn-Anhängerin illustriert den Trend,kulturelle Überlegenheit als politisches Instrument einzusetzen: „Jede junge Person, die ich traf und die für Labour stimmte und kämpfte, tat dies vor allem, weil sie das Gefühl leid war, auf einer Insel bigotter Greise festzusitzen“, schreibt sie. „Sie wollten das Land davor bewahren, weiterhin vom kleinkarierten Abwasser der [konservativen Boulevardzeitung] Daily Mail überflutet zu werden.“ Wenn andere Menschen beiläufig als „bigott“ bezeichnet werden, Zeitungen verbrannt und als „Abwasser“ bezeichnet werden, dann wissen wir, dass sich gerade besorgniserregende Einstellungen etablieren. Die Bekämpfung der kulturellen Bewegung, die versucht, die Anspruchs- und Opferhaltung junger Menschen zu kultivieren, ist eines der wichtigsten Anliegen unserer Zeit. Ein guter Ausgangspunkt wäre es, junge Menschen zum Streben nach Unabhängigkeit und Freiheit zu ermutigen.

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