07.02.2023

Deutschland relativiert den Holocaust

Von Daniel Ben-Ami

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Foto: RichardLey via Pixabay / CC0

Im Bundestag widmete man sich am Holocaust-Gedenktag „queeren Opfern“. Transaktivisten verfälschen mit Rückendeckung der Bundesregierung die Bedeutung des Nazi-Unrechts.

Auf den ersten Blick haben die Debatten über Antisemitismus und über Trans-Menschen wenig gemeinsam, außer dass sie beide starke Emotionen hervorrufen. Doch in Deutschland, das sich rühmt, seine Nazi-Vergangenheit aufgearbeitet zu haben, kommen beide auf die denkbar schlechteste Weise zusammen.

Der diesjährige Holocaust-Gedenktag in Deutschland stand zum ersten Mal im Zeichen der „queeren Opfer". Das war das Thema der Gedenkstunde im Bundestag am 27. Januar. Natürlich trifft es zu, dass die Nazis Homosexuelle und Transvestiten brutal verfolgten. Und es ist nur richtig und angemessen, an ihr Leid zu erinnern.

Das Problem ist, wie die Journalistin Judith Basad in einem Artikel im Pleiteticker, einer Online-Publikation, feststellt, dass die Definition der Opfer des Holocausts gedehnt wird. Unter dem Begriff „queere Opfer" werden, wie sie es nennt, „Lifestyle“-Kategorien wie „nicht-binär", „genderfluid" und „agender" zusammengefasst. Und das, obwohl niemand in der Nazizeit solche Bezeichnungen gekannt hätte. Sie sind im Wesentlichen Erfindungen weit jüngeren Datums.

Dieser ahistorische Ansatz wurde in einer Pressemitteilung von Sven Lehmann deutlich, einem Bundestagsabgeordneten der Grünen und Inhaber eines kürzlich geschaffenen Amtes, das informell als „Queer-Beauftragter" bekannt ist (offiziell Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt). „Jahrzehntelang wurde der grausamen Verfolgung und den furchtbaren Erlebnissen von LSBTIQ* während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft mit vollkommener Gleichgültigkeit begegnet, oftmals sogar mit ausdrücklicher Billigung“, behauptet er dort. In der zunehmend obskuren Terminologie dieser Debatten steht die Abkürzung LSBTIQ*für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, intersexuell und „questioning“ (hinterfragend).

„Solche Vorgänge würdigen die wirklichen Opfer des Holocaust, darunter Juden, aber auch andere wie Homosexuelle, Sinti und Roma, herab.“

Lehmann unterstützt damit im Kern, dass Aktivisten die Geschichte umschreiben, um Kategorien von zweifelhaftem Wahrheitsgehalt als Opfer des Holocausts einzubeziehen. Gruppen, die vor ein paar Jahren noch niemandem als solche bekannt gewesen wären, werden irgendwie in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurückprojiziert.

Solche Vorgänge würdigen die wirklichen Opfer des Holocaust, darunter Juden, aber auch andere wie Homosexuelle, Sinti und Roma, herab. Dies entspricht dem Vorgehen bei der Relativierung des Holocausts. Anders ausgedrückt: Die Bedeutung des Holocaust wird verwässert, um eine breite Palette anderer Kategorien einzubeziehen.

Dies läuft parallel zu der Tendenz, andere Konflikte wie die brutalen Bürgerkriege in Bosnien und Ruanda in den 1990er Jahren als neue Holocausts zu betrachten. Das waren natürlich schreckliche Konflikte. Sie hatten jedoch einen völlig anderen Charakter als die systematische Ermordung der Juden und anderer Minderheiten durch die Nazis während des Zweiten Weltkriegs.

Die Relativierung ist keine offene Holocaustleugnung, sondern etwas Subtileres und daher Gefährlicheres. Sie beraubt das wohl größte Verbrechen des 20. Jahrhunderts seines unverwechselbaren Charakters. Es wird zu einem von vielen schlimmen Dingen, die im Laufe der Jahre geschehen sind.

„Obwohl die Deutschen immer noch Abscheu vor ihrer Geschichte empfinden, zeigen sich neue Arten, Antisemitismus zu verharmlosen oder sogar zu rehabilitieren.“

Wenn das Spektrum der Opfer des Holocausts erweitert wird, gilt das ebenso für das Spektrum der Täter. Wie Judith Basad hervorhebt, haben zum Beispiel manche Trans-Aktivisten keine Skrupel, „Terfs" (eine abwertende Bezeichnung für Frauen, die an die Realität des biologischen Geschlechts glauben) mit Nazi-Mördern gleichzusetzen. Terfs wollten, heißt es z.B. in einem Tweet, die Endlösung. Wenn man mit gesundem Menschenverstand davon ausgeht, dass Menschen mit Penissen Männer sind, ist man dieser Logik zufolge moralisch mit einem Holocaust-Täter gleichzusetzen.

Dies geschieht natürlich auch in anderen Ländern. In Deutschland aber hat dieser Vorwurf nun, zumindest implizit, amtliche Rückendeckung. In jedem Fall hat das zur Folge, dass die echte Erfahrung des Nationalsozialismus in ihrer Bedeutung erneut geschmälert wird.

Diese Entwicklung folgt auf den Skandal um die documenta im vergangenen Jahr. Die Veranstaltung, die von der deutschen Regierung großzügig finanziert wurde, enthielt einige unverhohlen antisemitische Bilder. In diesem Fall wurden sie unter dem Vorwand gezeigt, Künstlern aus dem „globalen Süden" eine Stimme in ihrer Kritik an Israel zu geben. Trotz der damaligen Kritik bezeichnete der neue Geschäftsführer der Kunstschau, Andreas Hoffmann, die documenta fifteen in einem Interview für die Neue Osnabrücker Zeitung als einen starken Impulsgeber.

Wer Deutschland für die Aufarbeitung seiner Nazi-Vergangenheit lobt, sollte genauer hinsehen, was dort geschieht. Obwohl die Deutschen immer noch Abscheu vor ihrer Geschichte empfinden, zeigen sich neue Arten, Antisemitismus zu verharmlosen oder sogar zu rehabilitieren.

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