19.07.2023

Das Imperium der verletzten Gefühle

Von Brendan O’Neill

Titelbild

Foto: hashem via Pixabay (CC0)

Islamische Länder erregen sich, weil in Schweden ein Koran verbrannt wurde. Sie wollen den Westen zwingen, die „Gefühle" der Muslime zu respektieren. Das ist therapeutischer Imperialismus.

Wo bleibt die Solidarität mit Schweden? Die ausländischen Botschaften unseres demokratischen Verbündeten werden angegriffen. Die Mauern der schwedischen Botschaft in Bagdad wurden Ende letzten Monats von Hunderten von wütenden Demonstranten durchbrochen. Andere muslimische Länder richteten scharfe Zurechtweisungen an die Adresse der Schweden. Marokko lud den schwedischen Vertreter zu einer Standpauke vor. Jordanien rügte den schwedischen Botschafter wegen des so genannten „rassistischen" Verhaltens Schwedens. Der Iran erklärte, er werde keinen Botschafter nach Schweden entsenden. Und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan prangerte Schwedens „Arroganz" an und sagte, diese niederträchtige Nation fördere „Islamophobie" unter dem Deckmantel der „Gedankenfreiheit" (die Meinungsfreiheit in seinem eigenen Land zu zerstören, scheint ihm nicht zu genügen, jetzt will er sie auch in Schweden untergraben).

Was hat Schweden getan, um sich solche Beleidigungen zu verdienen? Es hat jemandem die Erlaubnis erteilt, ein Exemplar des Korans zu entweihen. Salwan Momika, ein irakischer Einwanderer in Schweden, wollte nach eigenen Angaben seine wenig schmeichelhafte Meinung über das heilige Buch des Islam zum Ausdruck bringen, indem er es zerreißt und anzündet. Zum islamischen Opferfest, versammelten sich er selbst und eine weitere Person vor der Zentralmoschee in Stockholm und taten genau das. Es herrscht einige Verwirrung darüber, was genau sie tun durften. Sie durften den Koran beschimpfen, ihn aber nicht in Brand stecken, so die Polizei. Deshalb wurde gegen Herrn Momika ein Ermittlungsverfahren wegen Aufstachelung zum Hass eingeleitet. Der schwedische Ministerpräsident erklärte jedoch, die Verbrennung des Korans sei „legal" gewesen, wenn auch „nicht angemessen".

Viel deutlicher ist die Wut in der muslimischen Welt. Zahlreiche Länder haben Schweden als „islamfeindlich" angeprangert. Auffallend ist, dass sie die identitätspolitische Sprache nutzen und dem Land „Beleidigung" und „Islamophobie" vorwerfen. Schweden sei „rassistisch" und „unverantwortlich", so die Regierung des Irak. Es habe grünes Licht für eine „Manifestation der Islamophobie" gegeben, hieß es aus Jordanien. Es habe „die Gefühle" von „Muslimen auf der ganzen Welt" verletzt, sagte Kuwait und klang dabei wie ein woker Studentenvertreter, der jeden kontroversen Redner auslädt, der jemals eine „verletzende" Bemerkung über den Islam gemacht hat. Das ägyptische Außenministerium ließ jedoch die wahre Agenda dieser intoleranten Regime durchblicken: Es verdammte Schweden für seine „Verbrechen der Blasphemie".

Da zeigte sich der Vorwurf gegenüber Schweden im Klartext: Es ist ein sündiges Land, das den Islam und seine Lehren nicht ausreichend respektiert. Und es verdient offenbar eine Strafe für seine „Verbrechen". Nun hat die Türkei, die bereits den Antrag Schwedens auf Beitritt zur Nato wegen früherer Koranverbrennungen vereitelt hatte, Schweden ein Ultimatum gestellt. „Wenn Sie die religiösen Überzeugungen der Türkischen Republik oder der Muslime nicht respektieren, werden Sie von uns keine Unterstützung für die Nato erhalten", sagte Erdogan. Kurz gesagt, um in den Nato-Klub aufgenommen zu werden, muss Schweden zuerst vor dem Islam niederknien und seinen Einwohnern verbieten, sich jemals abfällig über diese Religion zu äußern.

„Es ist ein Imperium der verletzten Gefühle, in dem die traditionell schwächeren Nationen die Sprache des Schmerzes, die Kultur des Kummers einsetzen, um einem Mitglied des westlichen Clubs ihre Weltsicht aufzuzwingen.“

Dies ist eine unerträgliche Forderung an eine souveräne Nation. Der Angriff der muslimischen Welt auf Schweden und insbesondere Erdogans grober Akt der religiösen Erpressung ist eine Art umgekehrtes Imperium. Es ist ein Imperium der verletzten Gefühle, in dem die traditionell schwächeren Nationen die Sprache des Schmerzes, die Kultur des Kummers einsetzen, um einem Mitglied des westlichen Clubs ihre Weltsicht aufzuzwingen. Für diejenigen unter uns, die an die nationale Unabhängigkeit glauben, ist es genauso unerträglich, dass eine Allianz emotional labiler islamistischer Länder einer freien Nation wie Schweden Vorschriften macht wie damals, als die westlichen Nationen versuchten, den Rest der Welt durch Kolonialismus und Christentum zu „zivilisieren".

Also noch einmal: Wo bleibt die Solidarität? Schweden ist in die Mangel genommen worden. Es ist weltweit als hasserfüllt diffamiert worden. Man hat dem Land gesagt, dass es in der globalen Ordnung nicht vorankommen wird, solange es die Redefreiheit seiner Bürger und Einwohner nicht einschränkt. Man kann entweder Redefreiheit oder den Respekt der internationalen Gemeinschaft haben, aber nicht beides – das ist es, was die kleinlichen Tyrannen der Türkei und darüber hinaus aussagen. Diejenigen unter uns, die für Freiheit sind, sollten darauf bestehen, dass Schweden keinerlei Vergeltung dafür erfährt, dass es einem seiner Einwohner die Freiheit gewährt, den Koran zu schlecht zu machen.

Wir können natürlich darüber streiten, ob es „angemessen" ist, den Koran zu verbrennen. Aber wir können uns sicherlich darauf einigen, dass das Recht, ihn zu verbrennen, eine Frage der freien Meinungsäußerung ist. Als Fan der amerikanischen Republik mag ich es nicht besonders, wenn Leute die Stars and Stripes in Brand stecken. Doch wie die ACLU findet, ist die Freiheit der Flaggenschändung von zentraler Bedeutung für das „Grundrecht eines Volkes, Zustimmung oder Ablehnung [zu seinem] Staat auszudrücken". Ebenso ist die Freiheit der Koranschändung, die Freiheit der Blasphemie selbst, von zentraler Bedeutung für das Recht der Menschen, ihre Ablehnung des Islam zum Ausdruck zu bringen. Man fragt sich, wo die Linke in dieser Diskussion steht. Unterstützt sie nicht das Recht eines Einwanderers, seine tiefsten Überzeugungen zu äußern, selbst wenn dies eine Verachtung des Korans beinhaltet? Ich schon. Ich bin der Meinung, dass Einwanderer in Schweden und in ganz Europa die gleiche Freiheit der Meinungsäußerung genießen sollten wie diejenigen von uns, die hier geboren wurden.

„Niemand hat das Recht, Schweden vorzuschreiben, welche Formen der Meinungsäußerung das Land zulassen darf und welche es verbieten muss.“

Natürlich hat Schweden selbst dazu beigetragen, in diese Situation zu geraten. Durch die Institutionalisierung der zutiefst illiberalen Vorstellung, dass Kritik am Islam eine Art religiöser Intoleranz sein soll, haben sich nämlich Länder in ganz Europa dem Angriff dieses Imperiums der verletzten Gefühle ausgeliefert. Oft nutzen muslimische Länder die Verlogenheit und die fehlende Freiheit des Westens selbst aus, um ihre Forderung voranzutreiben, „Blasphemie" gegen den Islam unter Strafe zu stellen. Von der dänischen Karikaturen-Kontroverse 2005 über das Blutbad bei Charlie Hebdo 2015 bis hin zu den verschiedenen Koranverbrennungen in Schweden im vergangenen Jahr – oft sind es westliche Linke, die sich zuerst über „Beleidigungen" gegen den Islam aufregen, bevor islamistische Länder wenig später nachlegen und sagen: „Ja, das ist wirklich gottlos. Weg damit!“ Das ist der Grund, warum so viele muslimische Führer die woke Sprache der „Islamophobie" und der „verletzten Gefühle" verwendet haben, um die Schweden zurechtzuweisen – sie nutzen beim Versuch, den Westen weiter zu zermürben, dessen eigenen Ideologien aus. Ihr Imperium der verletzten Gefühle gewinnt seine Macht aus unserer eigenen feigen Angst davor, die Gefühle bestimmter Menschen zu verletzen.

Schweden war eine Zeit lang einer der schlimmsten Übeltäter an dieser Front. Es hat nur äußerst zögerlich die sozialen Probleme erörtert, die durch eine Ideologie des Multikulturalismus entstanden sind. Diese ermutige ethnische und religiöse Gruppen dazu, ihr eigenes, „gleichwertiges" Ding zu machen, anstatt sie möglichst in die schwedische Gesellschaft zu integrieren. Die schwedischen Eliten und andere weigerten sich, die Auswirkungen eines solchen von oben verordneten Relativismus auf diese einst weithin bewunderte sozial Demokratie ehrlich zu benennen. Selbst als Bandenkriminalität, überwiegend muslimische Unruhen und nie dagewesene Formen der Gewalt in Schweden zu einem großen Problem wurden – allein im Jahr 2020 gab es 200 Explosionen und 360 Schießereien –, hieß es von europäischen Beobachtern: „In Schweden ist alles in Ordnung". Das war eine Lüge. Die damalige schwedische Premierministerin Magdalena Andersson versuchte im letzten Jahr, die feige Blockade zu durchbrechen, als sie sagte, dass wir jetzt „Parallelgesellschaften in Schweden" haben und dass die Integration „zu schlecht ist, während wir gleichzeitig ein sehr hohes Maß an Einwanderung erleben". Ob ihr Eingreifen zu unzureichend war und zu spät kam, wird sich zeigen.

Und doch muss Schweden gerade jetzt gegen die Verleumdungen und Drohungen anderer Nationen verteidigt werden. Die Türkei, Jordanien, Ägypten – niemand hat das Recht, Schweden vorzuschreiben, welche Formen der Meinungsäußerung das Land zulassen darf und welche es verbieten muss. Keine Nation sollte sich in die Freiheitsrechte einer anderen einmischen. Nieder mit allen Imperien, einschließlich des neuen therapeutischen Kalifats, das sich das Recht einbildet, uns alle, wo immer wir leben, zwingen zu können, den Islam zu lieben.

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