10.06.2015

Homo-Ehe: Wollen wir wirklich staatlich anerkannte Homosexuelle?

Kommentar von Thilo Spahl

Die Öffnung der Ehe für Homosexuelle hat nichts mit Gleichberechtigung zu tun. Denn die Ehe ist heute nur noch ein beim Staat zu beantragender Status. Brauchen wir denn für alles eine gesetzliche Regelung, fragt Thilo Spahl? Auch für etwas, das den Staat nichts angeht?

Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich zur Schwulenehe geäußert: „Wenn wir diese Definition öffnen in eine auf Dauer angelegte Verantwortungspartnerschaft zweier erwachsener Menschen, sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen.“ [1]

Sie erntete dafür erwartungsgemäß allgemeine Empörung. Grünen-Chefin Simone Peter ist der Meinung, sie „würdigt Schwule und Lesben in verletzender Weise herab“. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sprach von einem „Schlag ins Gesicht Hunderttausender gleichgeschlechtlicher Partnerschaften“. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer forderte sie auf, „sich für ihre Entgleisung zu entschuldigen“. Die Anwältin Sissy Kraus identifizierte die Ministerin als Nazi, denn die Äußerung sei „nicht mehr nur homophob, sondern auch menschenverachtend und in ihrem Gehalt gleichzusetzen mit den ähnlich verachtenden Äußerungen 1933–1945“, und stellte Strafanzeige wegen Volksverhetzung. [2]

Es ist ein schlechtes Zeichen für das Klima im Land, wenn eine harmlose Äußerung wie die von Frau Kramp-Karrenbauer im politischen Raum für Empörung und bei besonders Empörungsbeflissenen gar zum Einreichen einer Strafanzeige führt. Unabhängig vom Thema können wir zunächst konstatieren, dass die Meinungsfreiheit und die öffentliche Diskussion kontroverser Themen schon bessere Zeiten erlebt haben.

„Wenn man Familiengründung nicht mehr auf Mann und Frau begrenzt, dann muss man sie ganz öffnen“

Die Hinweise der CDU-Ministerin sind es wert, offen diskutiert zu werden. Was ist das für eine „Ehe für alle“ („mariage pour tous“, wie sie in Frankreich genannt wird), die nur für gleich oder verschieden geschlechtliche nicht verwandte Paare offen sein soll? Warum nicht für alle, die einander eng verbunden sehen und die langfristig füreinander einstehen wollen? Warum nicht zwei Schwestern, warum nicht vier Damen und Herren?

Tatsächlich gibt es an der Äußerung Kramp-Karrenbauers etwas zu kritisieren. Sie hat die Form des Dammbrucharguments gewählt. Sie meint, die Ehe für Homosexuelle zu öffnen, was vielleicht noch akzeptabel wäre, würde die Türen für weitere, schlimmere Spielarten aufstoßen. Aber so sollte man es nicht sehen. Wir sollten nicht warnen und „Wehret den Anfängen!“ rufen. Die hier angedeuteten Varianten der Ehe für alle sind nichts anderes als eine konsequente Auslegung des Konzepts der Homo-Ehe und sollten mit der gleichen Ernsthaftigkeit in Erwägung gezogen werden.

Eine Reform der Ehe kann nicht darin bestehen, zu fordern, dass Schwule und Lesben, und nur Schwule und Lesben, überall in gleicher Weise erscheinen wie Familien: dass sie Hochzeiten feiern, in der Werbung für Familienautos auftreten und sich Kinder anschaffen. Das ist ein konsumistischer Ansatz, der Lebensweisen und die Anerkennung anderer als erwerbbares Produkt betrachtet, das eingefordert werden kann. So ergibt das wenig Sinn. Man kann nicht einfach sagen: Ehe bleibt Ehe, nur die Schwulen dürfen sie jetzt auch haben.

„Öffnung der Ehe oder nur gleiche Privilegien für Homosexuelle?“

Der schon weitgehend vollzogene Übergang von der traditionellen zur definitorischen Ehe bedeutet automatisch, dass die Definition frei verhandelbar ist. Wenn man Familiengründung nicht mehr auf Mann und Frau begrenzt, dann muss man sie in der Tat ganz öffnen. Es gibt keinen überzeugenden Grund, eine Paarbeziehung zu verlangen, also Gruppen auszuschließen, die mehr als zwei Personen umfassen.

Es gibt keinen Grund, Sexualität zu fordern, also die innige Verbindung zweier (nicht lesbischer) Schwestern abzulehnen, die vielleicht zusammen ein Kind adoptieren wollen. Und wie kämen wir dazu, die inzestuöse Ehe abzulehnen in Zeiten, in denen es solchen Eheleuten durchaus möglich wäre, das Risiko genetischer Belastung von Nachkommen dadurch auszuschließen, dass entweder auf Kinder verzichtet oder der Kinderwunsch durch Adoption erfüllt wird?

Der Hype um die Homo-Ehe zeigt vor allem eins: dass die Institution der Ehe an Bedeutung verloren hat. Die Eheurkunde wird vielfach nur noch als Zertifikat zur Erlangung des Anrechts auf Ehegattensplitting betrachtet. Die Ehe hat an Kraft verloren. Sie ist weniger eine Lebensform als ein beim Staat zu beantragender Status. Das mag man beklagen oder gutheißen. Es heißt aber, dass das, was viele als Kampf um Gleichberechtigung interpretieren, nur ein Statusgerangel ist.

„Gibt es wirklich so viele, die staatlich anerkannte Schwule sein wollen?“

Wir haben es nicht mit einer Ausweitung zu tun, sondern mit der Auflösung der Institution der Ehe. Man kann natürlich allen, die für sich das beanspruchen, was traditionell als Ehe bezeichnet wurde, sagen: Denkt Euch einen neuen Namen aus! Das Wort Ehe nehmen wir jetzt für etwas anderes. Vielleicht kommt er dann wirklich, der neue Name, und mit ihm eine Entstaatlichung und damit Revitalisierung der Ehe? Wer weiß?

Vielleicht fangen ja auch mal Schwule und Lesben an, sich gegen die fürsorgliche Bevormundung und den Verehelichungsdruck der Normalisierer zu wehren. Gibt es wirklich so viele, die staatlich anerkannte Schwule sein wollen? Geht nicht vielleicht sogar den meisten diese Verhätschelung und Eingemeindung langsam auf die Nerven, weil sie ihre sexuelle Ausrichtung als Privatsache betrachten und nicht Objekt der Empörungsfürsorge sein wollen?

Für alle, die auf der Suche nach dem nächsten Empörungskick sind, hier noch der Verweis auf Thomas Kapielski. Der fragte schon 2009, was wohl als Nächstes komme: „Vielleicht irgendwann einmal auch Mann und Auto? Herr im Himmel!“ [3]

jetzt nicht

Novo ist kostenlos. Unsere Arbeit kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Unterstützen Sie uns jetzt dauerhaft als Förderer oder mit einer Spende!