04.03.2011

Die Politik des Geheimplans

Essay von Frank Furedi

Verschwörungstheorien zu verbreiten, bleibt der Zeitvertreib marginalisierter Gruppen. Aber verschwörerisches Denken, der Gedanke, dass irgendwem irgendwo die Schuld für jedes Unglück zu geben ist, ist salonfähig geworden.

Der Begriff „Verschwörungstheorie“ ist zu einem festen Teil des Alltags geworden. Als ich im Juni 2010 begann, diesen Artikel zu schreiben, tauchten „Verschwörungstheorien dieses Wochenende überall in Südflorida auf“, mit denen erklärt werden sollte, warum ein bestimmter Baseballspieler aus einem Spiel ausgeschlossen wurde. (1) Ein Kommentar über eine weitere US-amerikanische Lieblingssportart, Basketball, stellte fest, dass „nichts eine gute Verschwörungstheorie schlägt, vor allem, wenn sie zwei der größten Namen des Basketballs beinhaltet“, bevor über die verdächtigen Motive einer „Gruppe chinesischer Investoren“ berichtet wurde, die kürzlich „eine Minderheitsbeteiligung an den Cleveland Cavaliers gekauft haben“. (2)

Der Ausdruck „Verschwörungstheorie“ wird heute auf viele verschiedene Weisen gebraucht. Jeder, der eine bestimmte Version der Ereignisse bezweifelt, kann als Verschwörungstheoretiker abgestempelt werden. Manchmal wird der Begriff recht unbekümmert verwendet, um die Meinung eines Andersdenkenden abzutun. Für andere liefern Verschwörungstheorien den Beweis dafür, dass angeblich alles nicht so ist, wie es scheint; dabei ist die Übernahme und Akzeptanz von bestimmten Verschwörungstheorien eine Art, Vorstellungen von Arglist, übelwollendem Verhalten und moralisch zweifelhaftem Handeln mitzuteilen.

Eine geradezu epidemische Verbreitung von Gesprächen über Verschwörungstheorien spiegelt sich in der Welt der Verlage wider. Unzählige Bücher sind zu diesem Thema veröffentlicht worden, viele davon sind der Aufdeckung vermeintlicher Verschwörungen hinter den Kulissen gewidmet, die die Öffentlichkeit betrügen und unser Verhalten manipulieren. Solche Bücher befinden sich ohne Weiteres in Einklang mit der zeitgenössischen Populärkultur, in der Hollywoodfilme und Fernsehshows uns mit einer Mischkost aus Enthüllungen über vermeintliche Vertuschungen und Geheimplänen zwangsernähren.

Wenn der Verschwörungsgedanke zum Mainstream wird, dann kann sich die Bedeutung des V-Wortes wandeln und viel von seiner konzeptuellen Nützlichkeit verlieren. Das ist schade, weil die derzeitige Gesellschaft ein vollständiges und richtiges Verständnis der konspirativen Perspektive auf das heutige öffentliche Leben benötigt und verstehen muss, warum sie so einen großen Reiz hat. Tatsächlich gibt es derzeit immer mehr Bücher, die versuchen, die Etablierung des verschwörerischen Denkens im 21. Jahrhundert zu erklären. Voodoo Histories: How Conspiracy Theory Has Shaped Modern History von David Aaronovitch besitzt einen nützlichen journalistischen Zugang zu der Art und Weise, mit der sich das Verschwörungsdenken in den letzten Jahren durchgesetzt hat. Verschwörungstheorien werden oft mit bizarren rechten Kulten in Zusammenhang gebracht, dennoch sind sie heute, wie Voodoo Histories darlegt, nicht auf eine bestimmte Seite der ideologischen Kluft beschränkt. Linke Verschwörungstheorien über trotzkistische Verschwörer oder neokonservative Intrigen konkurrieren nun mit Hetzen über weltweite jüdische Verschwörungen von rechts außen.

Bedauerlicherweise fehlt einem Großteil der derzeitigen Literatur, die das Verschwörungsdenken zu erklären versucht, das kritische Moment. Sie schafft es nicht, die spezifischen Eigenschaften der Verschwörungstheorie zu erhellen. Zu oft wird jegliches Infragestellen der offiziellen Version von Ereignissen als eine Variante des verschwörungstheoretischen Denkens interpretiert. Dieser Gedanke wird von Mark Fenster in seinem einflussreichen Buch Conspiracy Theories: Secrecy and Power mit Nachdruck verfolgt. Fenster argumentiert, dass Verschwörungstheorien auf der korrekten Annahme beruhen, dass „wir nicht den gleichen Zugang zu Macht und Kapital haben“; eine Vermutung, die dann eine Suche nach Beweisen für versteckte Korruption und Machtmissbrauch in Gang setzt. Somit wird der Verschwörungsansatz „nicht nur von den engagiertesten Verschwörungstheoretikern geteilt“, sagt Fenster, „politische Romanautoren und investigative Reporter versuchen auch, eine Welt ungleicher Macht zu erklären und zu schildern“.3 Von diesem Standpunkt aus ist die Verschwörungstheorie einfach nur eine andere Variante der täglichen Sensations-Enthüllungsberichte über die Machenschaften der herrschenden Klasse und somit eine offizielle Täuschung. Das ist falsch.

Auch der Gedanke, dass Verschwörungstheorien unumgängliche „Wahrheit“ vermitteln, nur in verdrehter Form, wird von den neuen Analysten des Verschwörungsdenkens häufig geäußert – ohne wiederum zu klären, was an Verschwörungstheorien anders ist. Und oft gehen Kritiker der Verschwörungstheorie sehr selektiv an ihren Gegenstand heran. Wie Aaronovitch bemerkt, ist Fenster weitaus verständiger bei Verschwörungstheorien, die George W. Bush gelten, als er es bei Verschwörungstheorien ist, die gegen Bill Clinton gerichtet sind. Fenster sagt, Anschuldigungen gegenüber Bush sind „mehr in Logik und Fakten verankert als die gegenüber Clinton“. Das ist eine andere Art zu sagen: Sie haben „Verschwörungstheorien“, aber wir haben legitime Vorwürfe.

Die Tatsache, dass manche Autoren nun den Unterschied zwischen Verschwörungstheorien und legitimen Enthüllungsberichten über manipulatives Verhalten aushöhlen, ist Zeugnis der Verwirrung, die das Thema umgibt. Aaronovitch definiert eine Verschwörungstheorie als „Zuschreibung vorsätzlichen Handelns zu etwas, das eher zufällig oder unbeabsichtigt ist“. Er glaubt, dass eine „Verschwörungstheorie die unnötige Vermutung von Verschwörung darstellt, während andere Erklärungen wahrscheinlicher sind“. Diese Definition greift einen wichtigen Aspekt des Verschwörungsdenkens auf. Aber sie ist viel zu allgemein, um den spezifischen Eigenschaften der Verschwörungstheorie gerecht zu werden.

Tatsächlich handelt es sich heute um eine verbreitete und um eine Schlüsselreaktion auf nahezu jeden unerwarteten Vorfall oder Akt des Unglücks, wenn einem zufälligen Ereignis Handlungscharakter zugeschrieben wird. Doch die Tatsache, dass immer mehr von uns unsere Nachbarn oder Arbeitgeber für jedes Missgeschick beschuldigen, unter dem wir zu leiden haben, oder die Beamtenschaft für Fluten und andere Taten der Natur verantwortlich machen, sollte nicht als eine mildere Version des Systems von Verschwörungsideen angesehen werden, demzufolge die Juden für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs verantwortlich waren.

Eine Möglichkeit, die Verwirrung um das Thema zu bewältigen, besteht darin, eine konzeptionelle Trennung zwischen Verschwörungstheorien, Verschwörungsdenken und Verschwörungskultur vorzunehmen. Dies wäre sinnvoll, weil der gegenwärtige Gebrauch des Begriffs „Verschwörungstheorie“ problematisch geworden ist; ihm fehlt die Klarheit, und er lenkt häufig von dem echten Problem ab. Dieses echte Problem besteht weniger in konkreten Verschwörungstheorien als im Verschwörungsdenken und in der weit verbreiteten Verschwörungskultur.

Wie in der Vergangenheit, so gibt es auch heute unzählige echte Verschwörungen und Komplotte. Einige von ihnen kommen nie recht in Gang, andere können ihre Ziele nie wirklich verwirklichen, während manche zu echten Sabotageakten und Attentaten führen. Manchmal zeichnen Regierungen das Schreckgespenst eines subversiven Plots an die Wand, um rigoros gegen ihre Gegner vorzugehen. Tatsächlich existierende Verschwörungen und die gelegentliche Produktion verschwörerischer Geschichten durch Beamte sollten nicht als die Grundlage von oder die Voraussetzung für Verschwörungstheorien angesehen werden. Anders als Geschichten über Komplotte, Prinzessin Diana oder Marilyn Monroe zu ermorden, ist eine Verschwörungstheorie eine Theorie, weil sie schlichtweg nicht behauptet, Erklärungen für einen einzelnen Vorfall zu liefern, sondern für viel mehr als das. Die meisten dieser verschwörerischen Fantasien stellen keine Theorie dar. Eine Verschwörungstheorie ist etwas völlig anderes und verschiedenes, und sie sollte als solche erkannt werden.

Eine Verschwörungstheorie liefert eine Sicht auf die Welt, die sowohl den Hintergrund von Ereignissen erklären als auch, viel wichtiger, eine Warnung für die Zukunft liefern kann. Ihr Interesse gilt nicht nur Machenschaften hinter den Kulissen und Komplotten gegen Gruppen und Einzelpersonen; stattdessen bietet sie eine umfassende Perspektive, die vorgibt, die echten Tätigkeiten der Welt, in der wir leben, aufzudecken. Das Hauptthema der Verschwörungstheorie ist der verabscheuungswürdige Akt der moralischen Zerstörung, angeblich ausgeführt von einer geheimen Verbindung mächtiger Menschen. Um Aufschluss über die Bedeutung einer Verschwörung zu geben, verwenden die Verschwörungstheoretiker die Ideologie des Bösen. Diese Ideologie bietet eine Sicht auf die Welt, in der unerwartete Ereignisse und Unglücksfälle als Produkt böswilliger Kräfte präsentiert werden. Indem ein umfassender Ansatz der Bedrohungen geliefert wird, denen sich eine Gemeinschaft gegenübersieht, sucht diese Ideologie des Bösen danach, der sonst unverständlichen Welt eine Bedeutung zu verleihen. In der Geschichte hat das Konzept des Bösen dabei geholfen zu erklären, warum schlimme Dinge passieren; es hat eine Antwort auf das Bedürfnis der Gesellschaft geliefert, die Ursachen von Unglücken zu verstehen, und es hat Orientierungshilfe dabei gegeben zu entscheiden, wer die Verantwortung für solche Unglücke auf sich nehmen sollte.

Die Dämonologie des 14., 15. und 16. Jahrhunderts ist ein wichtiges frühes Beispiel der Verschwörungstheorie. Während des frühen 14. Jahrhunderts sind furchterregende Gerüchte über eine bevorstehende Verschwörung in Europa umgegangen; in manchen Berichten wurden hierfür die Juden, in anderen die Moslems beschuldigt; manche Dämonologen wiesen die Schuld Leprakranken und Hexen zu. Infolge der Katastrophe, die Europa mit dem „schwarzen Tod“ (1347 bis 1349) erlebt hat, waren Ängste vor einer bevorstehenden Verschwörung mit Hexen, Juden und „Brunnenvergiftern“ verbunden. An diesem Punkt bekam die katholische Kirche Interesse an den Aktivitäten von Zauberern und satanischen Kulten.

Im späten 14. Jahrhundert begann die katholische Inquisition, ursprünglich eingerichtet, um häretische Praktiken auszurotten, Hexerei als eine weitere wichtige Form der Häresie zu betrachten. Sie konstruierte eine Verbindung zwischen Hexerei und Häresie, die allmählich zu einer fundamentalen Reorientiertung in der Doktrin der Kirche führte. Durch den Beitrag von professionellen Dämonologen entstand schließlich eine Ideologie des Bösen, die einem satanischen Komplott die Schuld an der Zerstörung der Welt gab. Dies war eine frühe Form der Verschwörungstheorie, die erfolgreich die Fantasie des vormodernen Europas prägte.

Seit Ende des 18. Jahrhunderts haben Verschwörungstheorien im Westen eine zunehmend säkulare Form angenommen. Der wachsende Einfluss säkularen und wissenschaftlichen Denkens hat die Vorstellung von mächtigen dämonischen Kräften untergraben. Verschwörungstheoretiker haben dennoch nicht aufgehört, wegen beängstigender Komplotte, die von bösartigen Verschwörern ausgeheckt werden, Alarm zu schlagen. So wurde etwa in den 1890er-Jahren die Veröffentlichung der Protokolle der Weisen von Zion benutzt, um eine neue Welle von Hexenjägern zu aktivieren, dieses Mal gegen die Juden. In dieser Form der Panikmache wurden die Vorstellungen von Bösem und von Gefahr jedoch in einer nichtreligiösen, säkularen Weise kommuniziert. Wie Aaronovitch ausführt, hat die moderne Verschwörung wichtige Teile der Zwischenkriegseliten auf beiden Seiten des Atlantiks erfolgreich beeinflusst.

Noch heute florieren Verschwörungstheorien, die darauf bestehen, dass die Welt von einer geheimen Vereinigung regiert werde. Der Gedanke, dass die neue Weltordnung von einer Clique geführt wird, ist in den USA am einflussreichsten. Aber diese gegenwärtigen Verschwörungstheorien tendieren dazu, nur einen kleinen Einfluss auf die Gesellschaft zu haben. Der Großteil der Diskussion über Verschwörungstheorien dreht sich im Kern um Verschwörungsdenken. Hierbei geht es darum, die Probleme und Unglücke, denen Einzelne gegenüberstehen, irgendeinem absichtlichen böswilligen Verhalten zuzuschreiben. Besonders für unerwartete und unvoraussehbare Vorfälle wird oft unverantwortlichem und folglich unmoralischem Verhalten die Schuld gegeben. Solches Denken wird von einem Gefühl der Machtlosigkeit und von der Wahrnehmung untermauert, dass versteckte Kräfte verantwortlich für das Dilemma der Menschen sind. Mit dem Verschwörungsdenken wird versucht, ansonsten unverständlichen Ereignissen Bedeutung zu geben – und anders als Verschwörungstheorien, die nun auf die orientierungslosesten Teile der Gesellschaft beschränkt sind, ist Verschwörungsdenken zum Mainstream geworden. Interessenorganisationen, politische Aktivisten und die Medien werden von dem Gedanken angezogen, dass hinter jeder Überschrift ein Geheimplan stehe. Der Gedanke des Geheimplans hat die Diskussionen um den Krieg im Irak, die Zerstörung des World Trade Centers, die Katastrophe durch Hurrikan Katrina in New Orleans und den Ausbruch der Schweinegrippe beeinflusst.

In früheren Zeiten haben solche Haltungen vor allem das Denken von rechten populistischen Bewegungen angeregt, die hinter großen Weltereignissen immer die Hand von jüdischen oder freimaurerischen oder kommunistischen Bewegungen gesehen haben. Heute ist Verschwörungsdenken salonfähig geworden; viele seiner lautstärksten Unterstützer können in radikalen Protestbewegungen oder in der kulturellen Linken gefunden werden. Als Hillary Clinton vor ein paar Jahren vor einer „breiten rechten Verschwörung“ gegen ihren präsidialen Ehemann warnte, wurde deutlich, dass die Politik des Geheimplans Teil des täglichen öffentlichen Lebens geworden ist. Heute ist die antikapitalistische und globalisierungsgegnerische Bewegung so mit Verschwörungsdenken verwoben, wie es ihre Gegner in der extremen Rechten sind.

Verschwörungsdenken verleiht unheimlichen Vorfällen Bedeutung; es bietet ein Gefühl von Zusammenhang und Einheit für ansonsten unvereinbare und unzusammenhängende Ereignisse. Die Normalisierung dieser Art des Denkens ist eine der beunruhigendsten Entwicklungen im öffentlichen Leben des 21. Jahrhunderts. Tatsächlich scheint es oft so, als wenn westliche Gesellschaften sich rückentwickelt und eine mittelalterliche Perspektive auf Katastrophen angenommen hätten. Im tiefen Mittelalter betrachteten die Menschen Unfälle, Katastrophen und andere Akte des Unglücks als Werk versteckter Kräfte; Unfälle sind nicht einfach passiert, sondern wurden vielmehr absichtlich von göttlichen oder von böswilligen Kräften verursacht.

Heute gibt diese primitive Perspektive Aufschluss darüber, in welcher Weise viele Menschen ihren persönlichen Misserfolgen, Gesundheitsproblemen und dem Zerfall ihrer Gemeinschaften Sinn verleihen. Und seit Verschwörungsdenken den Glauben begünstigt, dass das Unsichtbare wichtiger ist als das Sichtbare, wird es zunehmend schwieriger, diesem Denken den Nimbus zu nehmen. Wie Aaronovitch zeigt, halten sogar Menschen, die die Fantasien anderer Leute über Verschwörungen anzweifeln, an ihrer eigenen Version der Geheimpläne fest.

Verschwörungsdenken wird von einer mächtigen kulturellen Narrative ermutigt, die Menschen nicht als die Autoren ihres Schicksals, sondern als Objekte manipulativer geheimnisvoller Kräfte darstellt. Das Leben wird durch das Prisma eines Hollywood-Blockbusters interpretiert, in dem mächtige böse und versteckte Gestalten alle Strippen ziehen. Das Blühen dieser Fantasie rührt von der Unfähigkeit der Mainstream-Gesellschaft her, sich einen Reim auf aktuelle Ereignisse zu machen. Nahezu jeder Aspekt des öffentlichen Lebens wird heute angezweifelt, und es gibt wenig Einigkeit darüber, was die Gründe unseres gegenwärtigen Dilemmas sind. Diese Krise der Kausalität stellt die offizielle Version von Ereignissen kontinuierlich infrage. Natürlich muss die offizielle Version von Ereignissen oft hintergefragt werden, aber nicht durch das Klammern an einer simplizistischen verschwörerischen Weltsicht, die kleinen Cliquen von bösen Menschen die Schuld für das gibt, was in der Welt passiert.

Diese Verschwörungskultur kommuniziert den Gedanken, dass nichts aus Zufall geschieht: Irgendjemand ist immer verantwortlich. Fantasien über internationale Terroristennetzwerke, Pädophilenringe, gemeinschaftliche Verschwörungen, um Menschen über eine drohende Umweltkatastrophe zu täuschen, und neokonservative Intrigen konkurrieren miteinander um öffentliche Aufmerksamkeit. Nahezu jede Missetat erscheint als das Resultat eines sorgfältig ausgearbeiteten Komplotts. Die Verschwörungskultur hilft, Verdacht und Misstrauen gegenüber dem öffentlichen Leben anzuheizen. Sie ersetzt eine kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft durch eine destruktive Suche nach dem Geheimplan. Sie lenkt von jeder Klärung echter Differenzen ab und hilft dabei, das öffentliche Leben in einen kontinuierlichen Kreuzzug zur Aufdeckung der Täter böswilliger Handlungen zu verwandeln. Die Medien stabilisieren diese Haltung, sie stiften die Öffentlichkeit an, nach den versteckten Motiven zu suchen. Diese Normalisierung von Verdacht und Misstrauen ist die Schlüsselerrungenschaft der modernen Verschwörungskultur.

Der Aufstieg des Verschwörungsdenkens drückt den Verlust von Kausalität und Bedeutung in der jetzigen Welt aus. Die Geschichte zeigt, dass nichts beängstigender ist, als wenn einer Gemeinschaft ein Bedeutungssystem fehlt, durch das sie die Probleme versteht. Unter solchen Umständen fühlen Menschen sich machtlos und verwirrt und zu einer simplizistischen Version von Ereignissen hingezogen, in der alles schwarz oder weiß und gut oder böse ist. Was an der jetzigen Ära wirklich beunruhigend erscheint, ist, dass es nicht nur die Ängstlichen und Besitzlosen sind, die diese kulturelle Narrative internalisiert haben, sondern auch bedeutende Teile der Mainstream-Gesellschaft. Wer braucht ausgefeilte Verschwörungstheorien, wenn die heutige Kultur die Menschen kontinuierlich dazu anstachelt, unsichtbare Kräfte zu fürchten? Was nötig ist, ist nicht so sehr das Entzaubern dieser Fantasien, sondern die Ausarbeitung positiver, zukunftsorientierter Ideale, die den Menschen dabei helfen, die Dinge zu verstehen und die Regie über ihr Leben zu übernehmen. Es ist zu einfach, das simplizistische Gefasel marginalisierter Sekten zu verdammen; es ist bedeutend schwieriger, die Mainstream-Vorurteile über Geheimpläne anzuzweifeln und unsere eigene Schwäche, durch Schuldzuweisung Sinn erhalten zu wollen, zu überwinden.

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