12.12.2011

Von der Dynamik der Intelligenz

Essay von Stefanie Krekeler

Intelligenz hat biologische Grundlagen, ist aber ein kulturelles und dynamisches Phänomen.

In Deutschland scheint eine beträchtliche Zahl von Menschen der deprimierenden Idee zugeneigt zu sein, das Land sei wegen sinkender Intelligenz der Gesamtbevölkerung infolge zu vieler Kinder aus schlechtem Hause dem Untergang geweiht. Steht es wirklich so schlimm um uns? Was genau ist Intelligenz eigentlich? Die Entwicklungspsychologin Elsbeth Stern antwortete einst auf diese Frage in einem Zeit-Interview: „Genau weiß man das nicht. Aber man kann sie mit Intelligenztests sehr genau messen. Sie drückt aus, wie effizient das Gehirn arbeitet. Wie gut man logische Schlüsse ziehen kann. Und, sehr wichtig: wie gut man sich geistig auf neue Situationen einstellen kann.“

In der Fachwelt gibt es keine Einigkeit darüber, wie Intelligenz zu definieren sein könnte. Sie kann als alleinige Größe oder als Bündel zahlreicher Einzelfähigkeiten begriffen werden. Die verschiedenen Modelle führen auch zu Unterschieden in der Konstruktion von Intelligenztests. Es gibt kein Maß für die absolute Intelligenz eines Menschen. Mithilfe von Intelligenztests lassen sich aber Aussagen über Unterschiede innerhalb einer Gruppe treffen.

Wichtiger als sie zu messen ist es freilich, seine Intelligenz zu nutzen. Was der Einzelne mit seiner Intelligenz anfängt, ist höchst unterschiedlich. In Abhängigkeit von z.B. Alter und Beruf werden verschiedene Kompetenzen gefordert und entwickelt. Glücklich können sich all jene schätzen, deren geistige Fähigkeiten gefordert werden, weil sie einen Beruf haben, der ihnen Denken abverlangt und die Möglichkeit gibt, sich intellektuell weiterzuentwickeln. Die meisten von uns müssen bei der Arbeit keineswegs ans Limit gehen; der Beitrag der Quantenmechaniker zum Bruttosozialprodukt liegt nach wie vor unter dem der Gemüsehändler.

Zwar mag der Einzelne immer wieder an seine Grenzen stoßen und gelegentlich auch an die Grenzen seiner geistigen Fähigkeiten. Doch auch diese sind nicht festgeschrieben. Eine entsprechende Förderung vorausgesetzt, dürften keineswegs jedem alle Aufgaben, aber vielen sehr viele Aufgaben offenstehen. Wenn man Vorstand der Bundesbank werden will, sollte man nicht aus der Gruppe der zehn Prozent mit der niedrigsten Intelligenz kommen, aber man muss auch nicht zu den obersten zehn Prozent gehören.

Intelligenz muss, genauso wie andere Talente, als Potenzial begriffen werden, das der Entwicklung bedarf und sich mithilfe von Förderung, Interesse, Motivation und Disziplin entwickeln lässt. Intelligenz kann nicht für sich allein betrachtet werden. Sie hat biologische Grundlagen, ist aber ein kulturelles Phänomen, das sich im menschlichen Miteinander entfaltet. Sie ist ihrer Natur nach dynamisch. Wenn wir uns also Sorgen machen wollen, dann nicht wegen „schlechter Gene“, sondern wegen einer Kultur der Stagnation, die Untergangsfantasien gebiert, statt uns zu beflügeln.

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