15.09.2014

Minister Müllers Politik-Outsourcing

Kommentar von Alexander Horn

Der deutsche Entwicklungsminister ermahnt international agierende Konzerne zur Einhaltung „sozialer und ökologischer Mindeststandards“ und erntet damit großen Zuspruch. Damit stiehlt er sich aus seiner Verantwortung. Solche Aufgaben obliegen der Politik.

Bei seiner Rede auf einer Veranstaltung der Berliner Industrie- und Handelskammer hat sich Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) als sozial und ökologisch bewusster Konsument zu erkennen gegeben. Sein Besuch in Nigeria hat ihn offenbar dazu bewogen, Shell-Tankstellen zu boykottieren. Dieses Verhalten legte er auch den Anwesenden, etwa 200 Wirtschaftsvertretern, nahe: „Wenn Sie in das Nigerdelta gehen und dort den Standard der Ölförderung sehen“, so der Minister, „würde keiner von Ihnen an der Tankstelle, die dort fördert, tanken.“ [1]. Auch an den Praktiken der Textilindustrie ließ er kein gutes Haar. Das neue Vier-Sterne-Weltmeistertrikot der Fußball-Nationalmannschaft koste hierzulande 84 Euro, Näherinnen in Bangladesch bekämen aber nur 5 Cent pro Stunde. Da komme ein Lohn heraus, „der nicht zum Leben reicht, geschweige denn für die Familie.“ Auch dies offenbar ein Boykottaufruf – in diesem Fall gegen Adidas gerichtet, denn der Sportartikelhersteller vermarktet die Trikots.

Müllers Boykottaufrufe sind auf gute Resonanz gestoßen. Die Stimmung gegenüber Unternehmen, die weithin als profitorientierte Monster gelten, inzwischen ziemlich aufgeladenen. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) pflichtete dem Minister bei und setzte gegenüber der F.A.Z. noch eins drauf. Dass der Minister die „Unternehmen in die Pflicht nimmt“, sei völlig richtig. Nun solle Müller „klar sagen, welche Unternehmen es zu boykottieren gilt.“ Auch ohne Roths Schützenhilfe werden die auf der IHK-Veranstaltung anwesenden Unternehmer und insbesondere Adidas die Warnung des Ministers verstanden haben. Viele werden sich noch an den vor fast zwei Jahrzehnten gescheiterten Versuch des nun auch von Müller boykottierten Ölkonzerns erinnern, die ausgediente Ölplattform Brent Spar im Meer zu versenken. Shell sah sich damals massiver öffentlicher Kritik mitsamt Boykottaufrufen ausgesetzt, was auch mit später als falsch widerlegten Behauptungen der Umweltschutzorganisation Greenpeace zusammenhing. Dies führte zu einen gehörigen Imageschaden und wirtschaftlichen Einbußen. Shell wie auch anderen Unternehmen zogen aus diesen Ereignissen die Lehre, „soziale und ökologische Belange“ zukünftig in unternehmerische Entscheidungen miteinzubeziehen und so „gesellschaftliche Verantwortung“  zu übernehmen, die über die reinen Profitinteressen hinausgeht.

„Seit Greenpeaces Brent-Spar-PR-Aktion sind CSR und Nachhaltigkeit en vouge“

Seitdem sind Corporate Social Responsibility (CSR) und Nachhaltigkeit en vogue. Demnach leisten Unternehmen ihren gesellschaftlichen Beitrag, indem sie neben den Gewinnen, die sie für die Eigentümer erwirtschaften, ökologische und soziale Wohltaten erbringen. Durch diese „guten Taten“ versuchen sich die Unternehmen auch gegenüber öffentlicher Kritik abzusichern. Wie der Boykottaufruf nun eindrucksvoll zeigt, stellt die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch ein Unternehmen keineswegs eine Garantie dar, nicht von Seiten kritisiert zu werden, denen die Bemühungen des Unternehmens nicht weit genug gehen. Stattdessen lädt CSR zur Unternehmensschelte geradezu ein. Unternehmen, die ökologische und soziale Verantwortung für sich in Anspruch nehmen, müssen sich daran auch messen lassen. Den Maßstab aber definieren nicht selten die Kritiker der Unternehmen. Müller inszeniert nun genau dieses Druckmittel, um die an dem von seinem Ministerium lancierten „Runden Tisch Textil“ sitzenden Unternehmen, zu denen auch Adidas gehört, gefügig zu machen. Gelingt es Müller, die Unternehmen zu den von ihm angestrebten „ökologischen und sozialen Mindeststandards“ zu verpflichten, könnte ihm dies öffentliche Anerkennung bescheren. Noch dazu würde das Ministerium nicht als Entscheidungsträger, sondern als Moderator in Erscheinung treten, so dass eventuelle negative Nebenwirkungen nicht auf die Regierung zurückfallen dürften.

„Die Durchsetzung ‚ökologischer und sozialer Mindeststandards‘ ist in einer Demokratie Aufgabe der Politik – nicht der Unternehmen.“

Das trickreiche und wohl auch recht populäre Vorgehen des Bundesentwicklungsministers, der bei der Durchsetzung politischer Ziele offensichtlich auf die Macht der Konsumenten und CSR setzt, führt seine eigene Rolle als Vertreter einer demokratisch gewählten Regierung jedoch ad absurdum. Die Umsetzung „ökologischer und sozialer Mindeststandards“ betrachtet Müller offenbar als Aufgabe der Unternehmen. In einer Demokratie gilt dies aber als Aufgabe der Politik.

Insofern Müller überhaupt eine politische Aufgabe sieht, scheint er diese als Manager oder Moderator eines Runden Tisches zu erkennen. Wichtige ordnungspolitische Entscheidungen, die eine Aufgabe der demokratisch gewählten Volksvertreter darstellen, werden somit der politischen Diskussion und Entscheidung entzogen und in die Unternehmen verlagert. Unternehmer oder Unternehmensvertreter sind aber zweifellos nicht demokratisch gewählt und unterliegen keiner Wählerentscheidung. Indem diese nun aber zu Entscheidungsträgern über geeignete ökologische und soziale Mindeststandards in fremden Ländern gemacht werden, wird das demokratische Prinzip entwertet – denn letztlich wären bei den von Minister Müller angeprangerten Missstände in der Öl- und Textilproduktion primär nicht deutsche Politiker gefragt, sondern die Öffentlichkeit und Politik in den betroffenen Staaten Nigeria und Bangladesch.

Der Minister hätte besser den Mut, seine ordnungspolitischen Vorstellungen zu äußern. Dann könnte er formulieren, wie genau die von ihm als „inakzeptabel“ bezeichneten Zustände zu verändern wären und eine politische Diskussion auslösen. Hinterher könnte er auch für die von ihm zu treffenden Entscheidungen im Positiven wie im Negativen geradestehen. Diese Entscheidungen aber an die Unternehmen zu delegieren zu wollen, läuft darauf hinaus, diesen eine Rolle im demokratischen Prozess zuzuschreiben, die sie als nicht gewählte Institutionen faktisch nicht haben. Warum sollten Unternehmen definieren, welche sozialen und ökologischen Standards gesellschaftlich akzeptabel sein sollen?

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