03.06.2015

Homo-Ehe: Der Aufstieg einer neuen Orthodoxie

Kommentar von Brendan O’Neill

Nach einer Volksabstimmung ist die Homo-Ehe in Irland eingeführt worden. Auch in England ist sie seit kurzem Gesetz. Wer sich nicht sofort daran gewöhnen kann, wird mundtot gemacht. Es ist beängstigend, wie schnell die Homo-Ehe zum Dogma erhoben wurde, findet Brendan O’Neill

Bei einer Wahlbeteiligung von 60 Prozent stimmten in Irland zwei von drei Wähler für die Homo-Ehe. Noch vor 22 Jahren konnte man in Irland für homosexuelle Beziehungen ins Gefängnis kommen. Auf einmal ist eine große Mehrheit des Landes dafür, Homo-Ehen mit traditionellen Ehen gleichzustellen. In Deutschland fordern derweil 150 Prominente Kanzlerin Merkel auf, die Ehe auch für homosexuelle Paare zu öffnen. [1]

Niemand ist gerne ein Spielverderber. Doch während die Sektkorken knallen und Politiker und Medien überall in der westlichen Welt die Legalisierung der Homo-Ehe in Irland überschwänglich feiern, bleibt eine unbequeme Frage unbeantwortet: Wie konnte das alles so schnell gehen? Noch vor kurzem war die Homo-Ehe ein eher exzentrisches Anliegen weniger professioneller Aktivisten und Anwälte. Heute wird die Ablehnung der Homo-Ehe als exzentrisch – und noch dazu auf eine niederträchtige Art – angesehen. Wie kam es dazu, dass „Lasst Schwule heiraten!“ innerhalb von etwa fünf Jahren von einem ziemlich unkonventionellen zu einem äußerst konventionellen Kredo wurde? Die meisten modernen Kampagnen brauchen so lange, um erst mal ihren Kopfbogen zu entwerfen.

Es ist wenig überraschend, dass diese Frage nur selten gestellt wird. Denn wenn man es täte, könnte man darauf stoßen, dass unsere westlichen Gesellschaften doch nicht so tolerant oder so frei ist, wie es die Homo-Ehen-Aktivisten und ihre einflussreichen Unterstützer einem wahr machen wollen. Man könnte den wahren Grund herausfinden, warum die Homo-Ehe mit einer in der modernen Gesellschaftspolitik nie dagewesenen Geschwindigkeit weit oben auf der politischen Agenda landete. Man könnte feststellen, dass es wenig mit Bürgerrechten und mehr mit einem sanft daherkommenden Autoritarismus zu tun hat. Eine hauptsächlich durch die Medien entwickelte Eigendynamik hat die Homo-Ehe zu einer gesellschaftlichen Trennlinie par excellence gemacht. Die Befürworter gelten als „gut“ und die Gegner als „schlecht“ und engstirnig. Die bemerkenswert intoleranten Fürsprecher der Toleranz für gleichgeschlechtliche Partnerschaften zerfleischen ihre Gegner und machen sie idealerweise mundtot.

Verdächtig schneller Konsens

Den irischen Bürgerentscheid stilisiert man ebenso wie die für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in England zur jüngsten Etappe der Bürgerrechtsrevolution der 1960er- und 1970er-Jahre hoch. Zunächst klopfen sich Politiker selbst auf die Schulter („Ich bin unwahrscheinlich stolz, der erste Parteichef gewesen zu sein, der die gleichgeschlechtliche Ehe unterstützt hat“, sagte Vizepremierminister Nick Clegg), dann erklären sie die Homo-Ehe zur Sache der Freiheit und Toleranz. Laut Premierminister David Cameron beweist die Legalisierung der Homo-Ehe, dass sich Großbritanniens „stolze Tradition des Respekts, der Toleranz und der Gleichwertigkeit“ bester Gesundheit erfreut. Aber man hat nicht das Gefühl, dass das die Wahrheit ist. Nicht angesichts des Tenors des Homo-Ehe-Aktivismus der letzten Jahre, der oft hässlich und verurteilend ausfiel und der – mit den Worten eines amerikanischen Beobachters, der die Homo-Ehe befürwortet – einen „verblüffenden Mangel an Wohlwollen, Großmut und Toleranz“ aufweist.

„Irgendwie wurde die Homo-Ehe in weniger als einem Jahrzehnt zu geltendem Recht“


Das mit Abstand Bemerkenswerteste am Thema Homo-Ehe ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Medien und die politische und öffentliche Meinung über all in der westlichen Welt hinter das Anliegen stellten. In Großbritannien fand eine Umfrage vom Institut ICM-Research im März 2012 heraus, dass 45 Prozent der Briten die Legalisierung der Homo-Ehe befürworten; neun Monate später ergab eine weitere Umfrage desselben Instituts, das die gleiche Frage stellte, dass 62 Prozent sie befürworten; im Jahr 2013 stieg diese Zahl auf 68 Prozent. Das ist ein Anstieg von fast 25 Prozentpunkten innerhalb eines Jahres, was – gelinde gesagt – ungewöhnlich ist. Das gleiche geschah in Amerika, wo innerhalb von ein paar Jahren die öffentliche Befürwortung für die Homo-Ehe von 37 Prozent auf 60 Prozent stieg. Seit 2009 gab es einen jährlichen Anstieg von vier Prozentpunkten bei der Befürwortung von Homo-Ehe. Das ist für wichtige gesellschaftliche Themen, die Tradition, Glaube, Familie und Kultur berühren, einfach nicht normal. Der konservative Kommentator Christopher Caldwell hat recht, wenn er sagt: „So schnell wandelt sich die öffentliche Meinung in freien Gesellschaften nicht. Entweder verändert sich die Meinung nicht so schnell, wie es den Anschein hat, oder die Gesellschaft ist nicht so frei, wie sie scheint.“ [2]

Hier ein Beispiel, um den schnellen Wandel von der Ablehnung der Homo-Ehe bis zu deren Unterstützung in seinen historischen Kontext zu setzen: Im Jahr 1957 wurde im Vereinigten Königreich der Wolfenden-Bericht veröffentlicht, laut dem einige homosexuelle Geschlechtsakte entkriminalisiert werden sollten. Einvernehmlicher Sex zwischen zwei Männern im Privatbereich wurde tatsächlich jedoch erst 1967 entkriminalisiert und erst im Jahr 2000 wurde das Mündigkeitsalter für schwule Männer dem für heterosexuelle angepasst. Es dauerte also 40 Jahre, bis schwule Männer über 16 Jahren auch nur miteinander schlafen durften. Aber irgendwie wurde die „Homo-Ehe“ – die weit über das Private hinausreicht und die Institution der Ehe, der Familie und traditionelle Formen der Bindung betrifft – in weniger als einem Jahrzehnt von einem Einfall einiger Aktivisten zu geltendem Recht. Was ist da los?

Sowohl unter den Befürwortern als auch den Gegnern der Homo-Ehe haben viele die Geschwindigkeit, mit der diese Idee institutionalisiert wurde, hervorgehoben. Die Homo-Ehe wurde in weniger als einem Jahrzehnt vom „Witz zum Dogma“, sagt Christopher Caldwell vom neokonservativen US-Magazin Weekly Standard. Die „Geschwindigkeit und das Ausmaß“ dieser Kampagne sind „atemberaubend“ gewesen, gesteht ein Homo-Ehen-Befürworter ein. Ein Autor des britischen Nachrichtenmagazins The Week, der die Homo-Ehe befürwortet, staunt darüber, wie „die Homo-Ehe, kulturell gesehen, im Handumdrehen von einem Selbstwiderspruch zu einer gelebten Realität“ wurde. [3] Jonah Goldberg vom konservativen US-Magazin National Review sagt, „Historiker werden wahrscheinlich eines Tages verblüfft über diesen Zeitpunkt sein“, als die Homo-Ehe „augenblicklich“ zur fast unbestreitbaren Orthodoxie gemacht wurde.

„Die Homo-Ehe ist eines der wenigen Dinge, über die sich sonst ratlose Politiker und Aktivisten definieren können“


Wie ist das passiert? Ich glaube, dass sich beide Seiten irren. Die Behauptung der Befürworter, dass der schnelle Wandel eine Folge der mutigen Agitation liberaler Aktivisten und Politiker sei, erklärt nicht den eigenartigen Mangel an Demonstrationen für diese scheinbare Ergänzung des Bürgerrechts-Pantheons. Sie erklärt auch nicht, wie dieser Ausbruch eines angeblichen Liberalismus zu einer Zeit, wenn wahrer Liberalismus Mangelware ist, zustande kam. Was die Gegner angeht, die behaupten, dass eine aggressive Schwulenlobby die Ehe in ihrer bekannten Form zerstört und sich dabei wahrscheinlich noch ins Fäustchen lacht: Das grenzt an Verschwörungstheorien und erinnert an die unsinnige Behauptung der alten Rechten, Sozis würden mit ihrem „Marsch durch die Institutionen“ die westliche Kultur zerstören. Ich denke vielmehr, dass der sich ausweitende Konformismus in Punkto Homo-Ehe weder ein Ergebnis eines politischen Kampfes, noch düsterer Machenschaften schwuler Gruppen ist, sondern ein Zeugnis der schwachen Bindung moderner Gesellschaften an traditionelle Institutionen und langfristige Arrangements. Der spontane Konformismus zeugt auch von der Fähigkeit einer kleinen Elite, auf eine beängstigend kompromisslose Art die öffentliche Agenda in unserem post-politischen Zeitalter zu bestimmen.

Anpassungsdruck

Es wird ein außerordentlicher kultureller Druck ausgeübt, sich der Auffassung anzuschließen, dass die Homo-Ehe nicht nur eine gute Idee, sondern die gute Idee unserer Zeit ist. Dieser Druck bedeutet mittlerweile die Dämonisierung von abweichenden Meinungen. Jeder, der die Homo-Ehe kritisiert, wird sofort als homophob oder als Fanatiker abgeschrieben. Jene, die nicht vor dem Homo-Ehen-Altar aufs Knie fallen, riskieren die „Verbannung aus dem öffentlichen Leben“, wie Damon Linker in The Week schreibt. [4] Homo-Ehen-Verfechter scheinen entschlossen zu sein, „Gegenstimmen auszumerzen“, meint er, „indem sie ihre Gegner durch Beschimpfungen mobben, bis sie zustimmen.“ Viele, denen die Schwulenehe moralisch unbehaglich ist, verbergen nun wahrscheinlich ihre wahren Ansichten, weil sie befürchten, ausgeschlossen oder öffentlich als „homophob“ bezeichnet zu werden.

Der Anpassungsdruck wird zunehmend auch in Gesetzesform gegossen, vor allem in Amerika. Wie Jonah Goldberg in seinem Artikel „Feiert die Homo-Ehe, oder sonst…“ hinweist, kommt es immer häufiger vor, dass Privatunternehmen, die sich weigern, Aufträge für Hochzeiten schwuler Paare anzunehmen – hauptsächlich Floristen und Fotografen – eine Anzeige riskieren. Angeblich machen sie sich der „Volksverhetzung“ schuldig. Man ist fast verpflichtet, die Homo-Ehe zu feiern, schreibt Goldberg. Der Druck ist so intensiv, dass eine Verweigerung einer Straftat gleichkommt. Derweil geben wissenschaftliche Fachzeitschriften ihren Leser Ratschläge, wie sie soziale Netzwerke nutzen können, um folgende Botschaft zu verbreiten: Die Befürwortung der Homo-Ehe ist „korrekt, angemessen [und] normal“. Die Fachzeitschriften erinnern ihre Leser daran, dass jeder für „die Macht des Gruppendrucks anfällig“ ist. Ob durch kulturellen Druck, rechtlichen Druck oder Gruppendruck, man wird die Homo-Ehe zelebrieren.

Der intolerante, konfrontative Stil der Schwulenehe-Lobby – wie sie praktisch nach den restlichen paar Leuten, die Homo-Ehe ablehnen, fischt, um auch sie zur enthusiastischen Zustimmung zu drängen – verrät etwas über die wahre Natur dieses Anliegens: Es ist zu einem Barometer gesellschaftlichen Anstands geworden. Es ist eines der wenigen Dinge, die sonst ratlose Politiker und Aktivisten nutzen können, um sich in dieser moralisch konzeptionslosen Zeit zu definieren. Das führt, unabdingbar, zum demonstrativen Kräftemessen mit der anderen Seite – den Bösen. Dadurch wird die Homo-Ehe mit Damon Linkers Worten zum „Nullsummenspiel“, bei dem Aktivisten nicht nur Toleranz für ihre Ansichten, sondern auch deren „psychologische Akzeptanz und positive Befürwortung“ fordern. Je mehr Politiker und Medien ihre moralische Weltanschauung durch die Homo-Ehe definieren, desto mehr müssen sie die ausharrenden Gegner ausfindig machen und mit stetig zunehmender Intoleranz mit dem Finger auf sie zeigen, um sich moralisch von ihnen abzugrenzen. Das führt nicht zu einer wirklichen Akzeptanz der Schwulenehe, sondern zu einer Art Duldung, eines Sich-Fügens, wo Individuen unter Zwang, mit Sicherheit unter Druck, zustimmen.

„Der Traditionalismus wurde zur Abweichung von der Norm erklärt“


So wurde in einer atemberaubend kurzen Zeit nicht nur die Homo-Ehe normalisiert, sondern ihre Ablehnung, der Traditionalismus selbst, wurde zur Abweichung von der Norm erklärt. Man erkennt daran das Ausmaß der Korrosion der alten konservativen Werte der langfristigen Bindung und des Familienlebens. Die einstigen kirchlichen und anderweitigen Befürworter dieser Werte haben die moralische Front verlassen und sich zurückzogen, während die Ehe neu definiert wurde. („Die Bedingungen unserer Kapitulation“ lautete der passende Titel eines traurigen Kommentars von einem solchen Konservativen). Die spontane Orthodoxie der Homo-Ehe zeigt außerdem, dass neuere kulturelle Eliten, vor allem die Medienklasse, dem öffentlichen Leben neue Deutungsweisen aufzwingen sowie politische und gesellschaftliche Agenden bestimmen können. Die Medien spielten eine Schlüsselrolle im Kreuzzug für die gleichgeschlechtliche Ehe. Sie haben sie beworben, definiert und jene dämonisiert, die sie hinterfragen. Das klassische politische Leben hat in den letzten Jahren einen nie dagewesen Niedergang erlebt. Folglich wurden die Medien zu einem zunehmend wichtigen politischen Akteur. Ihre Sorgen und Vorurteile nehmen oft eine zentrale Position im öffentlichen Leben ein. Der unaufhaltsame Aufstieg der Homo-Ehe zeugt von der Ablösung einer älteren, konservativen Elite durch eine neue Elite – eine die, bemerkenswerterweise, weniger tolerant gegenüber abweichenden Meinungen ist und mehr nach einer psychologischen Bestätigung jeder ihrer Ideen, Launen und Kampagnen verlangt, als es ihre Vorgänger je taten.

Also sollten wir den Sekt vielleicht auf Eis legen. Denn die plötzliche Verwandlung der Homo-Ehe von einer bloßen Idee in die neue „gute Sache“ der politischen Eliten der westlichen Welt hat wenig mit einer Ausweitung der Toleranz zu tun, sondern ist Zeugnis des direkt gegenteiligen Phänomens: des Aufkommens neuer Formen der Intoleranz, die nichts weniger als moralischen Gehorsam und verpflichtende Begeisterung von jedem fordern.

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