21.07.2015

Computerspiele: Jagd auf virtuelle Nazis

Von Alexander Jäger

Nazi-Symbole in Computerspielen fallen in Deutschland der Zensur zum Opfer, obwohl sie nicht anders verwandt werden als in üblichen Spielfilmen. Diese und weitere Ungereimtheiten im ‚spielerischen‘ Umgang mit der NS-Vergangenheit nimmt Alexander Jäger unter die Lupe

Zunächst sei diesem Artikel vorausgeschickt, dass das Dritte Reich die bisher größte Entgleisung der Menschheitsgeschichte darstellt – die Nazis waren beispiellose Verbrecher. Punkt. Dennoch scheint von dieser braunen Brut auf Kulturschaffende weltweit eine gewisse düstere Faszination auszugehen. Sowohl aus der Hoch- als auch aus der Populärkultur sind Hitler und seine Helfer inzwischen jedenfalls nicht mehr wegzudenken, die jeweiligen Werke reichen von ambitionierter historischer Auseinandersetzung bis zu vorsätzlich provokanten Trash- und Exploitation-Machwerken (denn mit gezielten Attacken auf den „guten Geschmack“ lässt sich bekanntlich Geld verdienen). Außerdem bieten sich die Nazis aufgrund ihrer unerträglichen Herrenmenschenmentalität einfach als die idealen Bösewichte in Film, Literatur und Computerspiel an [1].

In Deutschland ruft vor allem letzteres allerdings recht schnell die „nicht stattfindende“ Zensur auf den Plan. Gemäß §86a StGB ist die Verbreitung oder öffentliche Verwendung der Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nämlich explizit verboten. Mit Hinblick auf Darstellungen in Kulturerzeugnissen fällt jedoch letztlich eine etwas inkonsequente und widersprüchliche Auslegung dieses Gesetzes ins Auge.

So stellt es beispielsweise rechtlich kein Problem dar, dass man zu jeder Tages- und Nachtzeit beim Zapping auf mindestens einem Fernsehkanal auf Dokumentationen über den Zweiten Weltkrieg stößt, in denen logischerweise schon aus Gründen der Authentizität Propagandamaterial einschließlich der dazugehörenden Symbole gezeigt wird. Auch bei Spielfilmen – die Indiana-Jones-Reihe oder Spion zwischen zwei Fronten geizen nicht mit Hitlergrüßen, Fahnen und dergleichen, laufen aber teilweise bereits im Nachmittagsprogramm – sieht man für gewöhnlich von strafrechtlicher Verfolgung ab. Lediglich dem Kulturgut Computerspiel gesteht man die Verwendung dieses speziellen historischen Hintergrundes nicht zu, so dass die betreffenden Spiele ausschließlich zensiert veröffentlicht werden dürfen­ – die Originalfassungen hingegen werden als Propagandamaterial eingestuft und bundesweit beschlagnahmt [2].

„Die einschlägigen Spiele orientieren sich größtenteils an der aus Spielfilmen bekannten Geschichtsdarstellung“

Nun sei nicht verschwiegen, dass bereits in grauer Computervorzeit auf dem Amiga, dem C64 und anderen Rechnern tatsächlich als Spiel getarntes handfestes Propagandamaterial zirkulierte (diverse „Anti-Neger“-, „Anti-Türken“- usw. -„Tests“ oder – besonders niederträchtig – eine Art Wirtschaftssimulation mit dem Titel KZ-Manager). Den zahlreichen echten, d.h. von professionellen Entwicklerteams entworfenen Spielen eine propagandistische Funktion zu unterstellen, greift aber insgesamt doch zu hoch, zumal mir keine Produktion bekannt wäre, in der den Nazis nicht die Rolle des ultimativen Bösen zugewiesen wird.

Vielmehr sind die einschlägigen Spiele größtenteils an der aus Spielfilmen bekannten Geschichtsdarstellung orientiert, wobei an dieser Stelle im Wesentlichen zwischen zwei Tendenzen unterschieden werden muss: zum einen (und aus ideologischer Sicht am vermeintlich unbedenklichsten, s.u.) die auf historische Authentizität bedachte „realistische“ Darstellung. Als prominenteste Beispiele seien hier die frühen Teile von Call of Duty oder die Commandos-Reihe angeführt, doch kommen auch im Zweiten Weltkrieg angesiedelte Flugsimulatoren usw. im Interesse der Authentizität nicht ohne einschlägige Symbole aus. Der Zweite Weltkrieg wird als historischer Fakt vermittelt, in den animierten Filmsequenzen zwischen den jeweiligen Missionen greift man hierzu sogar auf originale Bildquellen zurück, um letztlich die alliierten Veteranen dieses Krieges zu würdigen, indem man ihre Opfer und Entbehrungen für moderne Gamer in Form von teilweise grandios designten und spannend inszenierten Levels zumindest ansatzweise nachvollziehbar macht [3].

Die zweite – und auf dem Heimcomputer ältere – Darstellungsmethode könnte man die „respektlose“ nennen. In Spielen wie der immerhin seit 1981 gleichermaßen beliebten wie berüchtigten Wolfenstein-Reihe kommen die Nazis bestenfalls noch als Karikaturen daher, der deutsche Faschismus wird mit einer Art barbarischem Todeskult gleichgesetzt, der zur Verwirklichung des „Übermenschen“ Wissenschaft und Okkultismus gleichermaßen einsetzt. [4]

Vordergründig kann diese reichlich krude Mischung in ihrer völligen Ausblendung der tatsächlichen historischen Tatsachen durchaus als Angriff auf das subjektive Geschmacksempfinden aufgefasst werden, denn immerhin war das Dritte Reich ja eine Epoche, die unvergleichliches Leid über die Menschen gebracht hat und für beispiellose Gräuel verantwortlich zeichnete. Insofern ist es nachvollziehbar, dass diese Reduktion der Nazis auf ihre Trash-Aspekte und die naive Sichtweise auf den historischen Widerstand für Empörung sorgen.

„Hitler und Goebbels hätten mit dem Film Der Untergang keine großen Probleme gehabt“

In diesem Zusammenhang sei aber auf einen allzu häufigen Fehler bei der historischen Aufarbeitung der Hitlerzeit hingewiesen: Folgt man der vorherrschenden Meinung, dass man sich dem Thema nur äußerst behutsam annähern darf, führt dies unweigerlich dazu, dass man sich historisch absichert. In seriösen Filmen wie Der Untergang ist daher noch das kleinste Requisit geschichtlich verbürgt, in jeder Einstellung bezieht man sich auf historisches Quellenmaterial, um ein absolut korrektes Bild der Vergangenheit zu bieten. Nur tappt man so in eine Authentizitätsfalle – denn nahezu alle überlieferten Bild-, Ton- und Filmdokumente unterlagen der Kontrolle von Goebbels Propagandaministerium [5].

Das führt zur absurden Situation, dass sich die engagierten Filmemacher heute letztlich eben gerade nicht auf authentische Zeitbilder stützen, sondern auf Bilder, die die Nazis genau so zeigen, wie sie gesehen werden wollten. Dies macht den Untergang oder Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat zwar noch nicht zu reinen Propagandafilmen, unterschwellig transportieren sie über die Darstellung aber genau die Ideologie, die sie kritisieren wollen, weil sie der faschistischen Selbstinszenierung folgen. Wenn Der Untergang schließlich den Zusammenbruch von 1945 gewissermaßen zur Götterdämmerung stilisiert, muss man konstatieren, dass Hitler und Goebbels vermutlich gar keine allzu großen Probleme mit dem Film gehabt hätten, denn titanisches Scheitern war in der nationalsozialistischen Ideologie nicht zwingend negativ besetzt.

So gesehen sind gerade die ruppig-respektlosen Werke (beispielsweise Inglorious Basterds als Kinofilm oder bei den Computerspielen eben die Wolfenstein-Reihe) in ihrer Übertreibung die konsequenteren Abrechnungen mit dem Nationalsozialismus. Die Darstellung der Täter von einst als pathologisch-sadistische sexuelle Wüstlinge mag auf philosophischen Missverständnissen beruhen [6], Hitler als Schießbudenfigur noch so grotesk wirken – eines ist jedoch sicher: So wollten die selbsternannten Herrenmenschen nicht gesehen werden!

Der letzte Punkt neben der Ungleichbehandlung verschiedener Kunstformen und der „Authentizitätsfalle“ soll zum Schluss ebenfalls noch berührt werden: Die deutsche Vergangenheit ist beschämend. Trotz und gerade deswegen ist die Erinnerung daran so wichtig. Die Zensur einschlägiger Symbole hingegen ist der Versuch, so zu tun, als ob es die Nazis nicht gegeben hätte. In der deutschen Fassung der diversen Wolfenstein-Titel distanziert man sich schon dadurch von der Vergangenheit, dass aus den Nazis eine obskure Sekte mit dem Namen „Die Wölfe“ gemacht wird, in anderen Spielen hingegen sind schlicht „die Deutschen“ die Schurken, was dann wieder den Beigeschmack hat, dass wir uns seitdem nicht gebessert hätten.

„Wenn man Hitler und seine Helfer wegballert, wird das nicht zur Wiederauferstehung des Dritten Reichs führen“

Wünschenswert wäre darum, dass wir unserer Vergangenheit ins Gesicht sehen, und zwar nicht nur auf die von uns gewünschte „historisch“-seriöse Art mit ihren bereits erwähnten Tücken, sondern auch mit der Bereitschaft, wohlverdiente Häme einzustecken. Von einem erwachsenen Videospielkonsumenten sollte man erwarten können, dass er die satirischen Seitenhiebe von Wolfenstein ebenso wie den Realismus in Spielen wie Call of Duty verkraftet. Zumal es ja genügend andersgeartete Computerspiele gibt und niemand gezwungen wird, dergleichen zu spielen.

Die Sorge um eine propagandistische Wirkung dieser Spiele wirkt nicht zuletzt deswegen ein wenig vorgeschoben, weil wirkliche Kriegspropaganda wie beispielsweise das von der US-Armee entwickelte und kostenlos vertriebene America’s Army oder gar diverse von Hamas und Hisbollah veröffentlichte Shooter (beispielsweise Special Force) hierzulande noch nicht einmal auf dem Index landen, obwohl letztere mitunter offen antisemitisch sind. Die Befreiung armer iranischer Atomwissenschaftler aus dem bösen Tel Aviv (Special Operation 85: Hostage Rescue) ist scheinbar ideologisch weniger problematisch, obwohl die Macher hier offen und mit Vorsatz Feindbilder schüren.

Wenn man Hitler und seine Helfer wegballert, wird das jedenfalls nicht zur Wiederauferstehung des Dritten Reichs führen. Umgekehrt wird die Abänderung der Hakenkreuzfahne in einem Computerspiel keinerlei Auswirkungen auf die politische Gesinnung überzeugter Rassisten und Nationalisten haben. Vielmehr bleibt durch den betont seriösen Umgang in Kombination mit Tabuisierung das Dritte Reich auf seinem furchteinflößend-erhabenen Sockel stehen. Wohingegen die „Geschmacklosigkeiten“ dem Rezipienten wenigstens noch das Gefühl geben, dass das braune Gesindel im Grabe rotiert.

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