01.01.2009

Brief aus Berlin: Anybody got a match?

Analyse von Klaus Bittermann

Die Verdienste der Zigarette um die Emanzipation der Frau.

Als uns Lauren Bacall in „To have and have not“ (1944) in die hohe Kunst der Verführung einweihte und, lasziv am Hotelzimmertürrahmen lehnend, mit der Zigarette in der Hand betont gelangweilt nach Feuer fragte, da starrte Humphrey Bogart ungläubig auf die junge Frau wie auf eine plötzliche Marienerscheinung, bis er sich endlich besann und Lauren Bacall eine Schachtel Streichhölzer zuwarf, gerade noch rechtzeitig, bevor das Schweigen ins Peinliche umkippte. „Anybody got a match?“ ist ja nicht nur eine einfache Frage, es ist die Frage aller Fragen, wenn man glaubt, mit dem anderen könnte sich ein reizvolles Techtelmechtel ergeben. Der Zuschauer merkt sofort, dass hinter der Frage mehr steckt, nämlich die Aufforderung, ein bisschen mit dem Feuer zu spielen. Um die Frage auch wirklich auf keinen Fall misszuverstehen, braucht man Lauren Bacall nur in die Augen zu sehen, in denen die langen Wimpern auf Halbmast gesetzt sind und die erotische Spannung nur so flirrt. Dieser schöne, ja erhabene Moment wurde erst durch die Zigarette möglich. Und das soll jetzt alles umsonst gewesen sein?

Noch vor Ende des Krieges, Anfang der 40er-Jahre tauchte die Zigarette in Hollywood nicht nur als Attribut hektisch qualmender harter Männer, sondern auch in den Händen und den Mündern der Frauen auf und hatte dort verheerende Auswirkungen. Die Zigarette wurde durch viele Filme aus der Film-noir-Ära für Millionen junger Frauen zum Symbol der Freiheit und des selbstbewussten Auftretens. Die Zigarette bedeutete Unabhängigkeit, sie schmeckte nach Glück und gab einem ein großartiges Gefühl. Und sie schmeckte nach Aufbegehren, weil man etwas Verruchtes tat. Man kann zwar nicht behaupten, dass Hollywood mal revolutionäre Ideen vertreten hätte, denn letztlich blieb man immer den traditionellen Werten verhaftet, aber indem Howard Hawks Lauren Bacall auf der Breitleinwand und damit in der Öffentlichkeit sich eine Zigarette anstecken ließ, zündelte er an der Ordnung der Welt. Hollywood hatte mit dem Zeigen eines alltäglichen und eigentlich lächerlichen Vorgangs, wenngleich dieser Vorgang sehr romantisch und mit raffinierter Beleuchtung in Szene gesetzt wurde, mehr für die Emanzipation der Frau getan als die gesamte Frauenbewegung.

Nach dem Ersten Weltkrieg begann sich langsam auch die gesellschaftliche Haltung zur rauchenden Frau zu ändern, und daran hatte das Kino nicht unwesentlich Anteil. 1918 gelang Pola Negri in „Carmen“ von Ernst Lubitsch der internationale Durchbruch. Mit einer Zigarette im Mund. Das war ein Anfang. Mehr aber auch nicht, denn die Moralvorstellungen in Amerika waren nicht so leicht zu unterwandern. Auf den Standfotos von Milton Browne wurde die „göttliche“ Greta Garbo für den Film „Anna Christie“ 1930 rauchend und trinkend gezeigt, aber eine Verbreitung der Bilder in den USA wurde nicht zugelassen. Die Fotos wurden ausschließlich für den Vertrieb im Ausland hergestellt. Tatsächlich wurde von dem Film sogar eine deutsche Version produziert, in der Greta Garbo als Kettenraucherin zu sehen ist. Die Zigarette war immer noch höchstens ein Attribut der Außenseiter, der Vamps, der Femme fatale, der Betrügerin, der Undurchschaubaren, der Zwielichtigen.

1932 war es Marlene Dietrich in „Shanghai Express“ vorbehalten, der Zigarette einen schönen Auftritt zu verschaffen, als sie in hinreißendem Fummel einen Mann in dessen Zugabteil aufsucht und ihn hüstelnd um eine Zigarette bittet. Und der etwas steife Typ sagt nicht etwa, wie man das heute tun würde, sie solle sich das Rauchen abgewöhnen, sondern: „Du scheinst nervös zu sein“, das sähe er an ihrer zitternden Hand, worauf sie ihm hinter einer weißen Wolke zuraunt, sie würde nur zittern, weil er sie beim Feuergeben berührt habe. Aber statt innerlich zu jubilieren, versiebt es der Trottel natürlich, weil ihm die Anspielung nicht reicht und weil er sie zu einem Gutmenschen ummodeln möchte, sie dadurch aber nur vertreibt. Und dann legt Josef von Sternberg sein ganzes Können in eine lange Einstellung und taucht die Dietrich in ein Licht, wie nur Hollywood das kann, und zeigt sie rauchend, wie 1932 wahrscheinlich noch nie jemand geraucht hat, während ihr trauriger und sehnsuchtsvoll schöner Blick, der leicht von unten eingefangen wird, melancholisch eine schmerzliche Erinnerung streift.

Damit war jedoch noch nicht der Durchbruch geschafft. Selbst in der „Spur des Falken“ (1941), mit dem Hollywoods schwarze Serie begann und in dem Humphrey Bogart sich seine Zigaretten noch selber drehte, rauchte die Mörderin Mary Astor so dezent, dass man schon sehr genau hinsehen musste, um den Rauch von ihrer Hand aufsteigen zu sehen. Die Zigarette war mehr Stigma als Symbol der Freiheit und Unabhängigkeit. Obwohl in „Casablanca“ (1943) viel gequalmt wird, blieb das Rauchen reine Männersache. Ingrid Bergman wurde mit aller filmischen Raffinesse in Szene gesetzt. Sie sieht toll aus, ihr Haar sitzt perfekt, ihr schmachtender Blick entlockt dem Publikum heute noch tiefe Seufzer, aber sie raucht nicht. Sie ist eben auch keine Verlorene und Verdorbene, zu der eine Zigarette gepasst hätte. Besser beziehungsweise unbedingt passte hingegen die Zigarette zu Rita Hayworth in dem Film noir „Gilda“ von 1944. Das ist der Film, in dem sie sich zum Lied „Put the Blame on Mame“ einen Handschuh vom Arm streift und leichthin sagt: „Ich bekomme einfach keinen Reißverschluss zu. Das bedeutet doch etwas.“ Diese selbstbewusste Frau mit dem losen Mundwerk muss einfach rauchen, die Zigarette verleiht ihr den verdorbenen Touch, der sie in dieser Rolle glänzen lässt.

Die Hassliebe zwischen Rita Hayworth und Glenn Ford ist das Leitmotiv und der Motor der Geschichte, und diese Hassliebe wird über die Zigarette ausgetragen. Als Rita Hayworth in einer Szene Glenn Ford um Feuer bittet – wo sollte sie bei der eng anliegenden Abendgarderobe auch ein Feuerzeug unterbringen? –, weil sie in der emotional aufgeheizten Atmosphäre dringend eine Zigarette benötigt, lässt er auf der Höhe seines Gürtels und zwei Meter von ihr entfernt die Flamme aufspringen, sodass Rita Hayworth sich zu ihm hinbegeben und bücken muss. Aber erst als sie aufsieht, realisiert sie das Demütigende der Situation, während sie vorher nur wollte, dass das verdammte Ding endlich brennt. Und mit der Sicherheit, die die Zigarette ihr zurückgibt, kann sie wieder auf Vergeltung sinnen und mit dem nächsten Flirt beginnen, der Glenn Ford bis zur Raserei eifersüchtig macht. Eine der großartigsten Symbiosen ist die Zigarette mit Marlene Dietrich eingegangen. Zu keiner anderen Frau schien die Zigarette so selbstverständlich zu gehören. Ihre Art zu rauchen war verführerisch, melancholisch oder selbstbewusst wie in „Foreign Affair“ (1948), als sie in einer bis zum Boden reichenden glitzernden Garderobe auf der Bühne steht und mit rauchiger Stimme die Männer um den Verstand bringt.

In ihrer Rolle als Erika von Schlütow verspricht sie Glamour und Glanz, auch Tragik und Tränen, aber wenn sie „Black Market“ singend an ihrem „Captain“ vorbeischwebt und ihm die Zigarette aus der Hand entwendet, dann ist alles vergessen. Sie ist die Frau, von der man sich drei Kugeln in den Bauch schießen lassen würde, ohne dass es einem etwas ausmacht. Man würde noch eine Zigarette rauchen. Eine letzte. Und welche Frau träumt nicht davon, dass ihr die Männer so zu Füßen liegen wie der Dietrich? Rauchende Männer, versteht sich, denn wie Jeanne Moreau schon sagte: „Männer, die sich das Rauchen abgewöhnt haben, sind mir unheimlich.“ Nein, die Leinwandikonen, die eine Zigarette so elegant mit einem schlanken, meterlangen Mundstück in der Hand hielten wie Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“, hatten einen großen Einfluss auf die Frauen, die genauso verrückte Sachen machen wollten wie die Hepburn und die ihr Leben selbst bestimmen und sich weder von Familie noch von Männern gängeln lassen wollten. Und dafür muss man der Zigarette dankbar sein, denn bei diesem Prozess spielte sie eine wichtige Rolle, vielleicht sogar die Hauptrolle.

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