24.10.2023

Antisemitismus durch Multikulturalismus

Von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: jusch via Pixabay (CC0)

Sympathien für den Hamas-Terror, den einige deutsche Muslime äußern, haben auch damit zu tun, dass der deutsche Staat und die multikulturell orientierten Eliten Parallelgesellschaften fördern.

Der schreckliche Angriff auf Israel am 7. Oktober veranlasste den öffentlich-rechtlichen NDR, Interviews in einem der überwiegend muslimischen Viertel Hamburgs zu führen. Die Reporter wollten herausfinden, was die Bewohner über die Gräueltaten der Hamas denken. Die Antworten, die sie erhielten, waren beunruhigend. Von denjenigen, die bereit waren zu antworten, schienen viele begeisterte Hamas-Anhänger zu sein.

„Ich bin Muslim. Die Hamas ist gut. Israel ist schlecht", antwortete ein junger Mann, während sein Kumpel zustimmend nickte. Eine junge Frau, die ein Kopftuch trug, sagte ohne jeden Anflug von Scham, dass sie sich gefreut habe, von dem brutalen Anschlag zu hören. Der ungläubige Interviewer, der anscheinend von einem Sprachproblem ausging, fragte noch einmal nach, worauf die Frau erklärte, sie habe die Gräueltaten vom Samstag mit ihrer Familie gefeiert. So sehr sich das Reporterteam auch bemühte, sie fanden niemanden, der bereit war, die Anschläge klar zu verurteilen.

Die Sendung war ein Schock und hat für einige Diskussionen gesorgt. Sie setzt auch die Regierung unter Druck. Jahrzehntelang war das moderne Deutschland stolz darauf, mit den Verbrechen der Vergangenheit abzurechnen, und schwor, den Antisemitismus nie wieder zu tolerieren. Doch schockierenderweise teilen einige Teile der deutschen Gesellschaft diese Selbstverpflichtung nicht und feiern nun offen die Ermordung von Juden.

Die Polizei nimmt die Äußerungen in diesen Interviews ernst. Der Staatsschutz im Landeskriminalamt habe ein Verfahren nach Paragraf 140 des Strafgesetzbuchs eingeleitet, hieß es wenige Tage nach Ausstrahlung der Sendung. Der Paragraf sieht Geld- oder sogar Haftstrafen von bis zu drei Jahren für die „Belohnung oder Billigung von Straftaten“ vor.

Die jüdische Gemeinde wird von den Hamburger Interviews leider nicht überrascht worden sein. Im vergangenen Jahr gab es 88 gewalttätige Übergriffe gegen Juden oder vermeintlich jüdische Menschen (2021 waren es 64). Bereits 2019 hatte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, Juden gewarnt, sich zu überlegen, wo und wann sie in der Öffentlichkeit eine Kippa tragen, nachdem die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Juden gestiegen war. In Wahrheit können sich Juden in Deutschland schon lange nicht mehr wirklich sicher fühlen.

„Die Reaktion der Regierung beschränkt sich hauptsächlich darauf, antisemitische Ansichten zu zensieren oder zu bestrafen. Aber das wird völlig unwirksam sein.“

Die Reaktion der Regierung beschränkt sich hauptsächlich darauf, antisemitische Ansichten zu zensieren oder zu bestrafen. Aber das wird völlig unwirksam sein. Tatsächlich sind die Meinungen der in Hamburg befragten Personen keine Ausnahme. Man könnte in praktisch jede deutsche Großstadt mit einem größeren, schlecht integrierten muslimischen Bevölkerungsanteil gehen und dort ähnliche Einstellungen gegenüber Juden und Israel finden.

Das ist die Konsequenz eines Versagens der deutschen Gesellschaft und des Staates. Migrantengruppen werden und wurden einfach nicht in die deutsche Mehrheitsgesellschaft integriert. Es ist sogar fast so, als ob sie dazu ermutigt werden, in Parallelgesellschaften zu leben. Das ist ein Trend, der lange zurückgeht. So schrieb z.B. der Politikwissenschaftler Franz Walter (SPD) in einem 2008 erschienen Buch, „Baustelle Deutschland“, dass Parallelgesellschaften positiv seien und ihren Mitgliedern den Wechsel in eine „kulturell radikal anders geprägte Ordnung“ zu erleichtern (S. 42).

Das scheint im Rückblick falsch und naiv, wenn wir z.B. auf die Sonnenallee im Berliner Bezirk Neukölln schauen. Die Straße hat, aufgrund der hohen Zahl der dort lebenden Migranten aus dem Nahen Osten den Spitznamen „Arabische Straße" erhalten. Auch hier herrschte am Samstag nach dem Anschlag der Hamas eine spürbar feierliche Stimmung. Eine Gruppe junger Männer, von denen einer eine palästinensische Flagge trug, wurde dabei fotografiert, wie sie Süßigkeiten an Passanten verteilten. Als Reporter von der Welt in dem Viertel Interviews filmen wollten, wurden sie bedroht und gezwungen, das Filmmaterial zu löschen.

In München rief ein Teilnehmer einer Pro-Palästina Demonstration dazu auf, alle Juden zu töten. Andere forderten die Vernichtung Israels. Auch hier ermittelt die Polizei. Und die Heftigkeit und Inbrunst einer Demonstration in Westdeutschland veranlasste einen Reporter der Tagesschau zu dem Schluss, dass „der lange Arm der Hamas“ bis nach Nordrhein-Westfalen reiche.

Die Gruppe, die hinter vielen dieser Proteste steht, ist die pro-palästinensische Organisation Samidoun. Ihre Symbole sind seit etwa 2020 in Neukölln überall zu sehen. Samidoun hat viel Unterstützung bei frustrierten jungen Muslimen, obwohl sie auch Verbindungen zur deutschen Linken hat. Olaf Scholz hat nun angekündigt, die Organisation verbieten zu wollen.

„Multikulti ist ein elitäres Glaubensbekenntnis, das die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen hervorgehoben hat, anstatt die Gemeinsamkeiten aller Bürger – ob Christen, Juden, Säkulare oder Muslime – zu betonen.“

Natürlich wäre es naiv, wenn die Regierung glaubt, mit Verboten das Problem des Antisemitismus lösen zu können. Wir wissen, dass, wenn eine Organisation verboten wird, sich schnell eine andere bildet. Solange die zugrunde liegende Ideologie und die Überzeugungen dieser Gruppen nicht wirksam bekämpft werden, werden sie weiter gedeihen.

An dem Punkt aber hat der deutsche Staat – und vor allem die multikulturell-gestimmten Eliten –  auf ganzer Linie versagt. Wenn über Antisemitismus gesprochen wird, geht es schon viel zu lange nur noch um die extreme Rechte. Eines von vielen Beispielen dafür ist eine offizielle Handreichung für Schulen im grün-regierten Baden-Württemberg. Unter der Überschrift „Welche Formen von Antisemitismus gibt es?" listet die Broschüre „christlichen Antisemitismus" und „rassistischen Antisemitismus" auf, während „muslimischer Antisemitismus" nicht vorkommt.

Natürlich wird es den Eliten nun nicht leichter fallen, zuzugeben, dass es in bestimmten muslimischen Gemeinschaften in Deutschland Antisemitismus gibt. Nicht zuletzt, weil es ihr Unterstützung für den Multikulturalismus in Frage stellt. Multikulti ist ein elitäres Glaubensbekenntnis, das die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen hervorgehoben hat, anstatt die Gemeinsamkeiten aller Bürger – ob Christen, Juden, Säkulare oder Muslime – zu betonen. Nun befürchten viele, dass eine solche Debatte über die gescheiterte multikulturelle Politik als Zugeständnis an die verhasste rechte AfD (Alternative für Deutschland) gewertet würde.

Tatsächlich wurde jahrelang jede Erwähnung, dass Antisemitismus in einigen muslimischen Gemeinschaften ein Problem ist, als islamfeindlich und als Verstoß gegen den Multikulturalismus abgetan. Diejenigen, die sich für den radikalen Islamismus in Deutschland interessiert und ihn erforscht haben, wie der arabisch-israelische Psychologe Ahmad Mansour, wurden oft als „umstritten" oder sogar als „Nazis" bezeichnet. Mansour sagt nun, er sei von den Ereignissen der letzten Wochen keineswegs überrascht.

„Unsere Politiker wissen nicht, wie sie ein Problem in den Griff bekommen sollen, das sie selbst mit verursacht haben.“

Jetzt scheint es selbst den überzeugten Multikulturalisten zu dämmern, dass große Fehler gemacht wurden. Als Reaktion darauf wird der Ruf nach Verboten und anderen Formen der Sprachregulierung immer lauter. Es gibt Bilder von der Polizei, die Menschen bei pro-palästinensischen Demonstrationen festnimmt (wie am Mittwochnachmittag in Neukölln), und in einigen Städten, darunter München, wurde ein generelles Verbot aller neuen pro-palästinensischen Proteste ausgesprochen.

Der Journalist Malcolm Ohanwe, der einst sogar für seine klare Haltung – auch gegen Israel–, aus der er keinen Hehl machte, gefeiert wurde, verlor seinen Vertrag mit zwei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Er hatte einen pro-palästinensischen Beitrag auf X gepostet. Ohanwe schrieb u.a.: „Wenn den Palästinensern systematisch die Zunge abgeschnitten wird, wie sollen sie sich dann mit Worten verteidigen?“ Die Rapperin Nura wurde von einer Late-Night-TV-Show ausgeladen, nachdem sie auf Instagram vor einem „Free Palestine"-Transparent posiert hatte.

Diese Beispiele von Cancel Culture sind ein Zeichen für die Hilflosigkeit der deutschen Politik. Unsere Politiker wissen nicht, wie sie ein Problem in den Griff bekommen sollen, das sie selbst mit verursacht haben. Es sollte klar sein, dass das Canceln von Menschen oder Protesten nicht hilft, den Antisemitismus zu bekämpfen. Das macht Leute wie Ohanwe und Nura nur zu Märtyrern der Meinungsfreiheit.

Was wir jetzt brauchen, ist die aktive Solidarität der deutschen Bevölkerung. Die große Pro-Israel-Demonstration, die von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde am Tag nach den Hamas-Anschlägen organisiert wurde, war ein guter Anfang. Aber es muss noch viel mehr getan werden. Und Cem Özdemir hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass diese Demos nicht nur von Juden, sondern von nichtjüdischen Deutschen organisiert werden sollten. Es ist an der Zeit, sich klar gegen Antisemitismus zu positionieren, wo immer wir ihn finden.

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