02.10.2017

Utopie für Pessimisten

Rezension von Daniel Ben-Ami

Ein neues Buch präsentiert das bedingungslose Grundeinkommen als utopische Vision. In Wahrheit hätte es die Verarmung der Bevölkerung zur Folge.

Das Buch „Utopie für Realisten“ von Rutger Bregman ist eine Übung in Sophisterei. Die dick aufgetragene revolutionäre Rhetorik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Anregungen des Autors zu einer Hyper-Austeritätspolitik führen würden, die selbst die dogmatischsten Marktliberalen erröten ließe.

Beginnen wir bei den übertriebenen Ansprüchen dieses Werkes. Rutger Bregman, ein 29-jähriger niederländischer Schriftsteller, betrachtet sein Buch als einen „Versuch, die Zukunft zu erschließen“. Er stellt seine Anregungen auf eine Stufe mit den historischen Kämpfen für Demokratie, für die Abschaffung der Sklaverei und für das Frauenwahlrecht. Fehlenden Ehrgeiz kann man ihm also nicht vorwerfen.

Positiv zu bewerten ist außerdem Bregmans Argument, dass es eine Alternative zu der Welt gibt, in der wir heute leben: „Vieles könnte anders sein. Die Welt, wie sie organisiert ist, ist nicht das Ergebnis einer unumstößlichen Evolution.“

„Nach Bregman ist der Sozialstaat zu einem ‚perversen Ungeheuer der Kontrolle und Demütigung‘ geworden.“

Bregmans wesentlicher Gedanke ist die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) für jedermann – bezahlt durch den Staat. „Freies Geld für alle“ pflegt er diese Idee zu nennen. In dieser Angelegenheit sieht sich der Autor in der Tradition einer eigentümlichen Kombination von Berühmtheiten – von Verfechtern der Demokratie (Thomas Paine, Martin Luther King) bis hin zu marktliberalen Ökonomen (Milton Friedman, Friedrich von Hayek) und in Ungnade gefallene Politiker (US-Präsident Richard Nixon). Nach Bregman würde ein BGE Ungleichheit, Armut und Kriminalität senken und das Wirtschaftswachstum steigern. Um seine Behauptungen zu untermauern, greift er auf empirische Studien zurück, die größtenteils von Ökonomen durchgeführt wurden.

Im zweiten Kapitel führt Bregman eine Studie an, in der dreizehn Obdachlose von einer Wohltätigkeitseinrichtung jeweils eine Summe von 3000 Pfund in bar erhielten, die sie nach eigenen Wünschen ausgeben konnten. Nach Bregmans Darstellung war das Experiment ein voller Erfolg. Eineinhalb Jahre nach dem Beginn des Experiments hatte sich das Leben der Männer erheblich verbessert. Überdies wurden mit dem Projekt große Geldsummen gespart, die für Sozialhilfe und Polizeiarbeit angefallen wären. Dieses Beispiel dient als Grundlage für Bregmans Argument, dass ein BGE herkömmliche Sozialausgaben ersetzen würde. Seiner Meinung nach ist der Sozialstaat zu einem „perversen Ungeheuer der Kontrolle und Demütigung“ geworden. In diesem Argument steckt viel Wahrheit; es untertreibt jedoch das Ausmaß, in dem die Wohlfahrtssysteme vieler Länder individuellen Ehrgeiz und gesellschaftliche Solidarität untergraben.

Das Buch stellt auch die Behauptung auf, dass Arbeitnehmer in der westlichen Welt im Jahr 2030 nur noch 15 Stunden die Woche arbeiten werden. Die Volkswirtschaften in solchen Ländern werden angeblich so reich sein, dass es keiner längeren Arbeitszeit mehr bedarf. Obwohl Bregman diesem Thema ein ganzes Kapitel widmet, stellt er keine klare Verbindung zum BGE her. Vermutlich will der Autor zeigen, dass das BGE den Übergang zu einer müßigeren Gesellschaft vorantreiben würde.

„Ein BGE hätte in Wahrheit eine brutale Herabsetzung unseres Lebensstandards zur Folge.“

Bregman hat in gewissen Kreisen großen Beifall für seine Argumente erhalten. Die britische Zeitung Guardian hat ihn als „niederländisches Wunderkind“ bezeichnet und zahlreiche bekannte Intellektuelle haben sein Buch empfohlen. Die Idee des BGE findet in vielen Ländern immer mehr Unterstützer. In der Schweiz wurde 2016 eine Volksabstimmung über die Einführung eines BGE durchgeführt. Allerdings stimmten nur 23 Prozent dafür. Auch in Kanada, Finnland, Indien, Kenia und in den Niederlanden wird mit dem BGE experimentiert. Wichtige Unterstützer des Konzepts kommen aus dem Silicon Valley. Der Tesla-Gründer Elon Musk hat sich dafür ausgesprochen, ebenso Sam Altman, Leiter der Gründerwerkstatt Y Combinator und Sponsor eines BGE-Pilotprogramms.

Abgesehen von dem schwülstigen Tonfall scheint auf den ersten Blick wenig gegen Bregman zu sprechen. Die Idee, dass Regierungen Milliardären Geld überweisen sollten, wirkt natürlich auf viele Menschen befremdlich, aber ansonsten scheinen die Argumente für das BGE durchaus einleuchtend. Bei genauerem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass ein BGE in Wahrheit eine brutale Herabsetzung unseres Lebensstandards zur Folge hätte. Bregman versucht zwar, diese Konsequenzen kleinzureden. Der aufmerksame Leser erkennt jedoch, dass sie für den Autor gern in Kauf genommen werden, wenn nicht gar der Haupt-Zweck des Vorhabens sind. In dieser Hinsicht gibt es deutliche Parallelen zu den sogenannten „Ökomodernisten“, die zwar eine progressive Sprache verwenden, aber in Wahrheit noch reaktionärer als die Mainstream-Grünen sind.

„Utopie für Realisten“ befürwortet das BGE vor allem deshalb, weil es die Menschen dazu ermutigt, weniger zu arbeiten. Die Verringerung der Arbeitsmotivation ist kein unbeabsichtigter Mangel, sondern die Kernessenz des Vorschlags: „Manche Menschen werden sich dafür entscheiden, weniger zu arbeiten, aber genau das ist der Zweck.“ Bregman will, dass die Leute weniger arbeiten, damit sie weniger verdienen und somit weniger kaufen können: „Weniger zu konsumieren beginnt damit, weniger zu arbeiten.“

„Eine dynamische Volkswirtschaft könnte die hohen Lebensstandards bei gleichzeitiger Reduzierung der Arbeitszeit beibehalten.“

„Utopie für Realisten“ strotzt vor altbekannten grünen Dogmen. Nach Bregman leben wir in einer Welt des „Überflusses“ und der „Konsumabhängigkeit“. Die Massen leiden angeblich an einem „falschen Bewusstsein“. Der Autor räumt zwar ein, dass unser Konsum kurzfristig noch etwas ansteigen könnte, behauptet aber, dass dies nicht ohne Folgen wie Umweltverschmutzung und Fettleibigkeit zu haben sei.

Natürlich wäre mehr Freizeit – auf freiwilliger Basis wohlgemerkt – erstrebenswert, solange der hohe Lebensstandard dadurch nicht verloren ginge. Voraussetzung dafür wäre allerdings eine produktivere Volkswirtschaft als die jetzige. Eine dynamische Volkswirtschaft könnte die hohen Lebensstandards bei gleichzeitiger Reduzierung der Arbeitszeit auf eine 15-Stunden-Woche beibehalten. Der Ökonom Phil Mullan bespricht diese Herausforderung in seinem aktuellen Buch „Creative Destruction“.

Allerdings thematisiert „Utopie für Realisten“ die anhaltende ökonomische Lethargie des Westens in keiner Weise. Stattdessen beruft sich Bregman gerne auf kleinere akademische Studien wie die mit den dreizehn Obdachlosen in London. Der Autor vermeidet jede Diskussion über die wirtschaftlichen Probleme des Westens. Im Gegenteil: die eindeutige, aber heruntergespielte Arbeitshypothese ist die, dass die Gesellschaft in ihrem Konsum stark beschränkt werden muss.

„Utopie für Realisten“ spricht sich gegen Austeritätspolitk aus, dabei wird hier ein Programm vorgestellt, das in der Praxis die Vorschläge der sparwütigsten konservativen Politiker übertreffen würde. Damit ist Bregman ist bloß ein weiterer grüner Pessimist, der als optimistischer Zukunftsdenker gefeiert wird.

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