24.05.2017

Ein Hoch auf die Demokratie

Rezension von Sabine Beppler-Spahl

Titelbild

Foto: Rama via WikiCommons (CC BY-SA 2.0 FR / bearbeitet)

Das neue Buch des britischen Journalisten Mick Hume bezieht gegen die elitären Gegner der Volksherschafft Stellung.

„Was wollen Sie von mir altem Mann?“ soll Franz von Papen, der Steigbügelhalter Hitlers, gefragt haben, als ihn die Amerikaner 1945 verhaften wollten. Der Sozialdemokrat Kurt Schumacher, der den Großteil der Nazi-Zeit im KZ verbracht hatte, sagte in seiner berühmten Rede vom Mai 1945, dass das Volk den Kopf des Mannes hätte verlangen sollen. 1

Für den überzeugten Demokraten Schumacher trugen „Schwerindustrie, Rüstungskapital, Militarismus und all die Feudalen, die nachher sich wieder vom Nazismus zu distanzieren versuchten, [...] als Geburtshelfer der Naziherrschaft die volle Verantwortung für alles, was geschehen ist“. 2 Was würde er wohl jenen sagen, die die Machtübernahme Hitlers als Warnung vor der Demokratie anführen? Gerade in Deutschland hört man häufig, die ungefilterte Demokratie sei eine gefährliche Sache. Der Tyrannei der Mehrheit müsse ein ausgeklügeltes System an Kontrollen gegenüberstehen. Als jüngste Beweise gelten der Brexit und die Wahl Donald Trumps.

„Gerade in Deutschland hört man häufig, die ungefilterte Demokratie sei eine gefährliche Sache.“

Beide Abstimmungen hätten die Demokratie ins Rampenlicht gerückt, schreibt auch der britische Journalist Mick Hume in seiner scharfen und klar argumentierten Streitschrift „Revolting! How the Establishment is Undermining Democracy – and what they’re afraid of” (zu Deutsch: „Revolte! Wie das Establishment die Demokratie aushöhlt – und wovor es Angst hat“).Die größte Bedrohung sei jedoch nicht Trump („ein engstirniger Kandidat“), sondern diejenigen, die – frei nach Orwell – glaubten, manche Wähler seien gleicher als andere.

Die Überzeugung, dass die normalen Menschen zu dumm sind, um mit der Wahl einer Regierung betraut zu werden, ist laut Hume in linken und elitären Kreisen tief verwurzelt. Darin sieht er die Neuauflage eines uralten Vorurteils. Mit der Erfindung der Demokratie im alten Griechenland sei auch die Angst vor der Macht der Mehrheit entstanden. So habe schon Platon die Regierungsgeschäfte einer Philosophenkaste überlassen wollen. Wahre Demokratie (ein Wort, das sich aus dem griechischen „Demos“ = Volk und „kratein“ = herrschen zusammensetzt) habe es in der menschlichen Geschichte kaum gegeben. Heute bekenne sich jeder formell zu Demokratie. Deswegen sei es notwendig, den Kampf für die Volksherrschaft wieder zu einer Priorität zu machen und diejenigen zu benennen, die ihn behinderten.

Entgegen dem gängigen Bild ist der Brexit nach Auffassung Humes kein Ausdruck von Nationalismus oder Fremdenfeindlichkeit. Diesen Vorwurf widerlegt der Autor mit zahlreichen Meinungsumfragen, Wahlauswertungen und Hinweisen auf die zum Teil brutale EU-Grenzpolitik. Es sei ein Mythos, dass die Brexit-Gegner für die Immigration und die Brexit-Befürworter gegen die Immigration gewesen seien. Den Wählern sei es darum gegangen, die Kontrolle über die Geschicke des Landes wiederzuerlangen. Daher auch der Slogan „Taking back control!“. Die technokratische EU hat laut Hume die ungeklärten Konflikte der Demokratie wieder zum Vorschein gebracht.

„In manchen Staaten wie Griechenland oder Italien fanden regelrechte weiche Staatsstreiche statt.“

Die EU ist für den Autor etwas anderes als das positive Ideal eines vereinten Europas. Wirkliche Einheit setze voraus, dass die Souveränität der Staaten respektiert werde, und die Menschen das Recht hätten, selber zu entscheiden. Die EU schirme gewählte Politiker vor dem Druck der Wählerschaft ab. Dies mache es möglich, Entscheidungen als alternativlos oder unumkehrbar darzustellen. Dafür steht das Diktum von Jean Claude Juncker, der auf dem Höhepunkt der Währungskrise sagte, die Regierungschefs wüssten alle, was zu tun sei, aber sie wüssten nicht, wie sie danach wiedergewählt werden sollten. Um der lästigen Notwendigkeit zu entrinnen, Mehrheiten gewinnen zu müssen, wurde die Bevölkerung immer wieder übergangen oder ignoriert.

In manchen Staaten wie Griechenland (Troika) oder Italien (Mario Montis Technokratenregierung von 2011) fanden regelrechte weiche Staatsstreiche statt. Das negative Argument, die Bevölkerung sei ohne die helfende Hand der Technokraten noch schlechter dran, sei nicht gut genug, um die Demokratie zu opfern, so Hume. Bei der Abstimmung über den Lissabon Vertrag sagte der irische Kritiker Fintan O’Toole: „Es geht nicht darum, ob wir finanzielle Opfer bringen sollten oder nicht. Das tun wir die ganze Zeit für unsere Familien. Die Frage ist, wer über das Schicksal der Menschen in Irland entscheiden darf“. 3 Ähnlich wie die Berliner Mauer stelle auch die EU ein demokratisches Hindernis dar, das es zu überwinden gelte. Wenn die Anti-EU- Bewegung heute von Rechten dominiert werde, läge dies an der elitären Haltung der Linken, die den Glauben an die Demokratie verloren habe. Der bekannte linke Labour Politiker Tony Benn sagte 1991: „Manche glauben, dass wir niemals soziale Gerechtigkeit von der britischen Regierung bekommen, dafür aber von Jacques Delors. Sie glauben, ein König sei besser als ein schlechtes Parlament.“ 4 Den englisch-amerikanischen Revolutionär und Aufklärer Thomas Paine zitierend fragt Hume, warum man für die Reform einer Institution kämpfen sollte, die – ähnlich wie die Monarchie – von Anfang an falsch war und auch durch Nachbesserungen nicht gut werden könne.

Diejenigen, die an Fortschritt glaubten, kämpften laut Hume stets für mehr Demokratie und Meinungsfreiheit, weil sie damit die Welt verändern wollten. Auch heute gehe es darum, in welcher Art von Gesellschaft wir leben wollen. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung sei offen. Ist der Geist der Demokratie erst aus der Flasche, gebe es keine Garantie, dass er Befehlen folge. Eine öffentliche Debatte über die Todesstrafe oder die Einwanderung könne in jede Richtung gehen. Wenn nicht, gebe es keinen Grund, die Debatte zu führen. Man könne sich nicht aussuchen, welchen Teil der offenen Debatte man zulassen wolle, und welchen nicht.

„Diejenigen, die an Fortschritt glaubten, kämpften stets für mehr Demokratie, weil sie damit die Welt verändern wollten.“

Die Geschichte zeige aber, dass alle Freiheiten – von der Emanzipation bis hin zur Abschaffung der Sklaverei – Teil eines breiteren Kampfes für Demokratie waren. Die Herrschaft der Mehrheit ist die beste Hoffnung für die Durchsetzung von Minderheitsrechten. Demokratie heißt für Hume, die harten Auseinandersetzungen zu gewinnen und Menschen als souveräne Bürger zu erkennen, die über ihr Leben und die Zukunft der Gesellschaft frei entscheiden. Der Kampf um Demokratie müsse auch die alten Trennlinien der Politik überwinden.

Die Umwälzungen in Großbritannien und den USA sieht Hume als eine Gelegenheit, den Geist der Volksherrschaft neu zu beleben, wenn auch der Brexit ein sehr viel positiverer Ausdruck des Wunsches nach Selbstbestimmung war als die Wahl Donald Trumps. Auf lesenswerte und zum Teil sehr witzige Art und Weise greift der britische Autor die zentralen Argumente des Streits der letzten Monate auf. Jedem, dem die Demokratie wichtig ist –  unabhängig davon, wie er zur EU, Donald Trump oder dem Brexit steht –  sei das Buch empfohlen.

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