01.03.2016

Vom Siegeszug der Verschwörungsesoterik

Essay von Kolja Zydatiss

Ein Mischmasch aus Verschwörungstheorien und New-Age-Gedankengut verbreitet sich nicht nur in obskuren Internetbewegungen. Auch im gesellschaftlichen Mainstream wird ein solches Denken beliebter. Damit lassen sich gesellschaftliche Probleme nicht lösen.

Was haben die sumerische Gottheit Anu, Josef Stalin und ein Sandkorn gemeinsam? Zu allen Drei hat das „interdimensionale Portal“ Sunette Spies bereits Kontakt aufgenommen. In hunderten Internetvideos offenbart das verwirrte südafrikanische Web-Medium die Gedankengänge von Toten, mythischen Wesen und leblosen Objekten. Produziert werden die Clips von der Equal Life Foundation 1, die zum sogenannten Desteni-Kult 2 gehört. Dessen Anhänger streben einen „höheren Bewusstseinszustand“ an, weil sie meinen, nur so der Gedankenkontrolle interdimensionaler, reptilienartiger Wesen entgehen zu können, die die Menschheit zu einem Leben in Armut und Ungleichheit verdammen.

Soweit, so schräg. Aber auch das sogenannte Thrive-Movement 3 (engl. thrive = gedeihen, florieren, Erfolg haben) um den Millionenerben Foster Gamble und den Scientologen Neal Rogin rückt die Machenschaften dunkler Mächte in den Fokus. Gesundheit, Freiheit und Wohlstand werden uns hier von einer ominösen „globalen Finanzelite“ vorenthalten. Wieder lautet die Lösung des Problems: „Bewusstseinsveränderung“. Der bei YouTube einsehbare programmatische Film Thrive, der von Impfkritik bis freier Energie keine Spinner-Theorie auslässt, wurde mit dem Poster einer Frau beworben, die ihre Augenbinde entfernt. Mit esoterischen Modewörtern wird ein „Paradigmenwechsel“ beschworen, der zum Aufblühen der Menschheit führen soll. 4

Manchem Leser dürfte ein ebenfalls aus YouTube-Filmen hervorgegangenes kulturelles Phänomen bekannter sein: das sogenannte Zeitgeist-Movement. Über 400.000 Anhänger soll diese „Bewegung“ weltweit haben. Hunderte Millionen Menschen haben sich im Netz die drei abendfüllenden, auf Dokumentation getrimmten Zeitgeist-Machwerke angeschaut. 5 Wie Dan-Brown-Romane galoppieren die Filme durch die Weltgeschichte. Wir erfahren, wie eine kleine Elite seit den Anfängen der menschlichen Zivilisation die Geschicke der Welt lenkt. Nur der Übergang zu einer computergesteuerten „ressourcenbasierten Wirtschaft“ und natürlich ein „spirituelles Erwachen“ können unser Schicksal (als mit Mikrochips versehene Sklaven einer neuen „Weltregierung“) noch abwenden. 6

„Verschwörungsdenken ist inzwischen auch in verunsicherten Mittelschichten salonfähig geworden“

Alle drei „Bewegungen“ verbreiten Verschwörungstheorien. Die Definition dieses Begriffs ist nicht ganz einfach, denn selbstverständlich gibt es unzählige echte Verschwörungen und Komplotte, mit denen sich zum Beispiel der investigative Journalismus auseinandersetzt. Für den britischen Soziologen Frank Furedi unterscheiden sich Verschwörungstheorien von solcherlei legitimen Untersuchungen durch ihren umfassenden Versuch der Weltdeutung. Alles hängt demnach mit allem zusammen. Grundlegend für Verschwörungstheorien ist eine „Ideologie des Bösen“, die unerwartete Ereignisse und Unglücke als Produkt des Wirkens böswilliger Mächte präsentiert, die hinter den Kulissen des Sichtbaren die Fäden ziehen. 7

Wenn sich solches Denken, wie in den Eingangsbeispielen, mit New-Age-Gedankengut und Esoterik mischt, kann man in Anlehnung an die Sozialwissenschaftler David Voas und Charlotte Ward von „Conspirituality“ sprechen. Der Begriff beschreibt die Verschmelzung von verschwörungstheoretischem Denken („conspiracy“) und New-Age-Spiritualität („spirituality“). Die verschwörungstheoretische Beschäftigung mit dem Einfluss einer geheimen Elite wird mit der Ansicht verbunden, dass der Menschheit ein bedeutender Bewusstseinswandel (New Age) bevorsteht. Nur durch Handeln im Einklang mit diesem Paradigmenwechsel können sich die Menschen der Kontrolle der geheimen Herrscher entziehen. 8

Conspirituality

Solcherlei krude Theorien werden in der Regel nur von sehr kleinen Minderheiten tatsächlich geglaubt. Allerdings kann man beobachten, wie verschwörungstheoretisches Denken – auch und gerade in seiner esoterischen Spielart – mehr und mehr von den Rändern der Gesellschaft in den Mainstream einsickert. Frank Furedi spricht in diesem Zusammenhang von „Verschwörungsdenken“ – einer abgeschwächten Form der Verschwörungstheorie, wenn man so will –, das inzwischen auch in den verunsicherten Mittelschichten salonfähig geworden ist. 9 Es handelt sich weniger um eine umfassende Theorie zur Weltdeutung als vielmehr um die diffuse Vorstellung, dass hinter spezifischen Problemen und Unglücken Einzelner verborgene böswillige Absichten stecken müssten.

Der Einfluss esoterisch angehauchten Verschwörungsdenkens auf die Gesamtgesellschaft ist kaum zu übersehen. Zum einen gibt es direkte personelle Überschneidungen zwischen dem Conspirituality-Milieu und Institutionen im gesellschaftlichen Mainstream. Der Umweltaktivistin und Pseudowissenschaftlerin Vandana Shiva wird zum Beispiel sowohl in Thrive als auch auf dem Evangelischen Kirchentag eine Plattform geboten. Der „Sozialingenieur“ Jacque Fresco, Gallionsfigur der Zeitgeist-Bewegung, wurde im Jahr 2012 vom Österreichischen Rundfunk sehr wohlwollend porträtiert. 10

Aber „Verschwörungsesoterik-Lite“ wirkt auch in andere Bereiche der Gesellschaft hinein. So ist zum Beispiel die Occupy-Bewegung, zu deren Fanclub neben linksliberalen Massenmedien wie taz und Guardian auch der amtierende US-Präsident gehört 11, vom negativen Einfluss des sogenannten „einen Prozents“ besessen. Bezeichnend sind die Erfahrungen eines amerikanischen Journalisten. Neben der Arbeitslosigkeit prangerten die Demonstranten, auf die er traf, vor allem „rücksichtsloses“ Wirtschaftswachstum an. 12 Die Arbeitslosigkeit ist für gewöhnlich die Folge wirtschaftlicher Stagnation – also von zu wenig Wirtschaftswachstum. Das scheint im Weltbild der Occupier, demzufolge das Gedeihen der Menschheit durch die Gier einer winzigen Gruppe sabotiert wird, keine große Rolle zu spielen. Ihre Sichtweise unterscheidet sich kaum von jener „Ideologie des Bösen“, die die krudesten Verschwörungstheoretiker verbreiten.

Bezeichnend ist auch die Affinität der Demonstranten zu Guy-Fawkes-Masken, also der Bekleidung, die der Held „V“ im Film V wie Vendetta trägt, der gegen einen totalitären Staat kämpft. Sie glauben offenbar, sie würden es auch hier im Westen mit faschistischen Mächten zu tun haben. Auch die Lösungsansätze der Occupier erinnern an Conspirituality. Statt mit der Erarbeitung konkreter politischer Forderungen beschäftigten sich die Demonstranten mit Aktivitäten wie „politischem Yoga“ 13. Sie scheinen vom „spirituellen Erwachen“ der Zeitgeist-Anhänger inspiriert. Die Beziehung zwischen den beiden Bewegungen ist insgesamt etwas unklar. So bekundeten Occupy-Größen wie Wolfram Siener ihre Sympathie für Zeitgeist. 14 Andererseits distanzierten sich die Organisatoren von Occupy Frankfurt von der Gruppierung. 15

„Die Sichtweise der Occupy-Bewegung unterscheidet sich kaum von jener der krudesten Verschwörungstheoretiker“

Auch das staatliche Bildungssystem kann Spuren von Verschwörungsesoterik enthalten. An meinem Gymnasium wurde zum Beispiel die Adbusters-Bewegung wohlwollend im Kunstunterricht beleuchtet. In einer Sprache, die teils an die Scientology-Sekte erinnert, warnt das gleichnamige Magazin vor der „mentalen Umweltverschmutzung“ der Werbung, von der die konsumbesessenen Massen „deprogrammiert“ werden sollen. Auf der ersten Webseite der Zeitschrift prangte das unter Verschwörungstheoretikern beliebte Motiv einer Pyramide mit allsehendem Auge. Ihre Lobeshymnen auf den italienischen Rechtspopulisten Beppe Grillo, der regelmäßig Verschwörungstheorien über Impfungen und Chemtrails verbreitet, überraschen daher kaum. 16

Im links-grünen Bürgertum angekommen

Es ist erstaunlich, wie viele Anliegen diverser Conspirituality-Bewegungen auch zum guten Ton im links-grünen Bürgertum gehören. Besonders deutlich wird dies im Bereich der Ökologie. So strebt die Equal Life/Desteni-Sekte die Wiederherstellung eines „natürlichen Gleichgewichts“ an. 17 Thrive warnt vor Genfood 18 und Fracking 19. Zeitgeist bezeichnet sich als „Nachhaltigkeitsbewegung“. 20 Wie viele Mainstream-Umweltschützer warnt Zeitgeist-Anführer Peter Joseph Merola vor der Überbevölkerung der Erde. 21 Auch die verschwörungstheoretische Fixierung auf die vermeintliche Macht finsterer Finanzeliten unterscheidet sich nur graduell von weitverbreiteten Klagen über „gierige Banker“. Natürlich haben Verschwörungstheoretiker diese Anliegen nicht erfunden. Ihr Versuch, verbreitete Ansichten mit noch kruderen Thesen zu verknüpfen, gelingt jedoch vor allem, da ersteren bereits eine gewisse Verschwörungslogik (im Fall Genfood z.B. Vergiftungsfantasien) innewohnt.

„Die Obsession mit konspirativen Gruppen trägt nicht zum Verständnis realer gesellschaftlicher Probleme bei“

Sind wir jetzt also alle Verschwörungsesoteriker? Selbstverständlich glauben taz-Redakteure nicht an eine geheime Weltregierung. Auch telefoniert der amerikanische Präsident nicht mit sumerischen Gottheiten (den britischen Ex-Premier Tony Blair zieht es allerdings zu „Rebirthing“-Zeremonien in mexikanische Pyramiden 22). Dennoch sollte uns die zunehmende soziale Akzeptanz verschwörungsesoterischer Denkmuster zu denken geben. Die Obsession mit konspirativen Gruppen, die vermeintlich entmachtet werden müssen, damit die Welt aufblühen kann, trägt nicht zum Verständnis realer gesellschaftlicher Probleme bei. Es geht mehr darum, Sündenböcke zu finden, anstatt Missstände vernünftig zu analysieren und nach Lösungen zu suchen.

Die Epidemie des Verschwörungsdenkens, das überall finstere Machenschaften wittert, wird die ohnehin in unserer Gesellschaft allgegenwärtigen irrationalen Ängste nur verstärken und so tendenziell der Politikmüdigkeit der Menschen weiter Auftrieb geben. Das verschwörungsesoterische Gedankengut birgt dabei besondere Probleme. Selbst „milde“ Conspirituality à la Occupy verkennt durch ihren Fokus auf „Bewusstseinsveränderung“, dass es nicht des Wunschdenkens, sondern aktiv handelnder Menschen bedarf, um gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern. Letztlich werden die Aktivisten so von der Notwendigkeit entlastet, konkrete politische Standpunkte zu entwickeln. Alle, die ernsthaft an einer Verbesserung der Gesellschaft interessiert sind, sollten der Verschwörungsesoterik daher mit rationalen Argumenten entgegentreten

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