01.07.2008

Passivrauchen als statistisches Konstrukt

Essay von Günter Ropohl

Die Gefahrstoffbelastung, der Nichtraucher durch Umgebungsrauch ausgesetzt sein könnten, ist zwar toxikologisch zu vernachlässigen, dies tut aber ihrer politischen Bedeutung keinen Abbruch.

Seit einem Jahr greifen auch in Deutschland die Rauchverbote um sich. Sie werden damit begründet, die nicht rauchenden Menschen müssten vor den Gefahren des Tabakrauchs geschützt werden. So heißen die entsprechenden Gesetze denn auch schönfärberisch „Nichtraucherschutzgesetze“, obwohl sie tatsächlich auf weitreichende Verbote für den rauchenden Teil der Bevölkerung hinauslaufen. Seit 30 Jahren wird, zunächst in den USA und später dann auch in Europa, die Behauptung verbreitet, Tabakrauchen würde die Umgebungsluft derart verunreinigen, dass Nichtraucher durch „Passivrauchen“ Schaden an ihrer Gesundheit nehmen und womöglich gar vorzeitig sterben würden. Diese Unterstellung hat sich weltweit als herrschende Lehre durchsetzen können, und abweichende Minderheitsmeinungen werden von der dominierenden Mehrheit heftig angefeindet und unterdrückt. Die deutschen Gesetzgeber von Bund und Ländern berufen sich bei ihren Verboten durchgängig auf ein Papier aus dem „WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle“ beim Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Dieses Papier behauptet, am „Passivrauchen“ stürben jedes Jahr 3301 (!) Menschen – eine Aussage, die weithin als „wissenschaftliche Wahrheit“ aufgefasst wird. Weil hier die Wissenschaft der Politik die Rechtfertigung liefert, die Freiheitsrechte von Millionen rauchender Menschen drastisch zu beschneiden, ist es angebracht, die Seriosität dieser „wissenschaftlichen Wahrheit“ kritisch zu prüfen.

Grundprobleme der Medizin

Die medizinische Wissenschaft will Erkrankungen mit eindeutigen Ursachen erklären, um prophylaktisch und therapeutisch gegen solche Ursachen anzugehen und damit die Erkrankungen zu vermeiden oder zu heilen. Diese ätiologische Perspektive ist das medizinwissenschaftliche Ideal: Immer wenn eine bestimmte Ursache auftritt, folgt daraus notwendig eine bestimmte Erkrankung. Doch schon für die Infektionskrankheiten muss die ursprüngliche Annahme ergänzt werden, weil von zwei Personen, die derselben Erregerkontamination ausgesetzt sind, u.U. nur die eine erkrankt, während die andere mit ihrem Immunsystem die Infektion erfolgreich abwehrt. Korrigiert heißt dann die Hypothese: Immer wenn eine externe Ursache auftritt und eine interne Bedingung vorliegt, folgt daraus die Erkrankung. Aber auch diese Erklärung ist vielen Erkrankungen nicht angemessen. Für den Lungenkrebs kommen zwei Dutzend, für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sogar mehr als 200 mögliche Ursachen in Betracht. Die ätiologische Hypothese nimmt dann die folgende Form an: Immer wenn eine oder mehrere externe Ursachen auftreten und eine oder mehrere interne Bedingungen vorliegen, folgt daraus die betreffende Erkrankung. In dieser multifaktoriellen Formulierung ist diese Hypothese nun zwar logisch korrekt, doch in substanzieller Hinsicht stellt sie den Medizinwissenschaftler vor kaum überwindbare Anwendungsprobleme. Das zeigt sich in der sogenannten „evidenzbasierten Medizin“. So ist die medizinische Ursachenforschung weit von jenen Exaktheitsstandards entfernt, die sonst in den Naturwissenschaften üblich sind. Vielfach ist es unmöglich, eine Erkrankung ganz bestimmten externen oder internen Faktoren eindeutig zuzuschreiben.4

In der Tabakforschung scheint man diese wissenschaftstheoretischen Komplikationen weithin ignoriert zu haben. Tabakrauch, ob aktiv inhaliert oder passiv aufgenommen, wird als einzige Ursache isoliert, und Lungen- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie daraus folgende Todesfälle werden als Wirkungen allein dieser Ursache zugerechnet. Andere mögliche externe Ursachen und interne Bedingungen werden meist gar nicht oder allenfalls unzureichend in Rechnung gestellt. Ein solch monokausaler Ansatz aber wird durch die hinlänglich bekannte Tatsache diskreditiert, dass selbst viele aktive Raucher nicht an Krankheiten leiden oder sterben, die dem Tabakrauch zugeschrieben werden, und dass andererseits auch zahlreiche Nichtraucher von eben diesen Krankheiten befallen werden. Da eine befriedigende ätiologische Erklärung vieler Erkrankungen aus den genannten Gründen scheitern muss, hat sich ein Zweig der medizinischen Forschung, die Epidemiologie, auf statistische Argumente verlegt. Anstelle kaum möglicher Einzelfallanalysen untersucht sie Kollektive von einschlägig betroffenen Personen und ermittelt in der Stichprobe die Anzahl derjenigen, die einem bestimmten Faktor während ihres Lebens in besonderer Weise ausgesetzt waren. Wenn diese Personen häufiger erkranken oder sterben als die anderen, bei denen der betreffende Faktor auszuschließen ist, dann definiert man diese gegenüber dem Normalwert 1 erhöhte Häufigkeit als relatives Risiko RR und nimmt an, dass der unterstellte Faktor die Erkrankung bzw. den Tod verursacht. Freilich geht man in der Epidemiologie im Allgemeinen davon aus, dass RR größer als 2 sein muss, wenn man dem betreffenden Risikofaktor Aufmerksamkeit schenken soll; für manche Autoren ist dieser Grenzwert erst bei 4 oder 5 erreicht.5

Mit der Auswahl der Variablen unterstellt man von Anfang an einen ursächlichen Zusammenhang, den man hernach mit rein numerischen Operationen zu beweisen wähnt. Diese höchst fragwürdige Argumentationsform ist in keiner Weise gegen den Trugschluss der Scheinkorrelation gefeit, für die in den Lehrbüchern der Statistik höchst aparte Beispiele angeführt werden. So hat man etwa eine überaus positive Korrelation zwischen dem Geburtenrückgang und der Abnahme der Klapperstorchpopulation errechnet. Hier sieht jeder sofort, dass dieses statistische Kunststück das alte Ammenmärchen kein bisschen wahrer macht, doch oft sind Scheinkorrelationen wesentlich schwieriger zu identifizieren. Mit einem Wort: Es ist ein Kardinalfehler der Epidemiologie, aus einem rein statistischen Zusammenhang zwischen irgendwelchen Variablen zu folgern, die eine Variable wäre die Ursache der anderen.

Toxikologische Argumentation

Der Umgebungsrauch, der in der Tabakforschung als Erkrankungs- und Todesursache hingestellt wird, ist Folge des sogenannten Nebenstromrauchs, der vom Raucher nach der Inhalation wieder ausgeatmet sowie bei der Tabakverbrennung unmittelbar an die Umgebungsluft abgegeben und darin im Allgemeinen stark verdünnt wird. Gleichwohl enthält der Umgebungsrauch Gefahrstoffe in geringer Konzentration. Die Toxikologie befasst sich damit, sie zu identifizieren, zu analysieren, zu klassifizieren und das Ausmaß ihrer Gefährlichkeit in Abhängigkeit von der jeweiligen Konzentration zu beurteilen. Dabei versucht man Grenzwerte festzulegen, deren Überschreitung als bedenklich gilt. Auf den ersten Blick scheint hier eine ätiologische Erklärungsstrategie vorzuliegen. Ein Gefahrstoff, der die Grenzkonzentration überschreitet, bewirkt, so scheint es, notwendig eine Schädigung der exponierten Person. Doch tatsächlich gelten auch hier die oben genannten Einschränkungen. Da sich Realexperimente mit Menschen verbieten und die Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierversuchen umstritten ist, erweisen sich auch die Grenzwerte als Schätzungen, die meist nur statistisch zu begründen sind und in kontroversen Expertendiskussionen letztlich ausgehandelt werden. Es kommt hinzu, dass für die Gefahrstoffe, die in den bisherigen Grenzwerten erfasst werden, exakte Erkenntnisse über den Zusammenhang von Dosis und Wirkung häufig überhaupt nicht bekannt sind.6 Daraus ziehen Pötschke-Langer u.a. den Schluss, dass „für die im Tabakrauch enthaltenen Kanzerogene keine Wirkungsschwellen als Dosismaß definiert werden können, unterhalb derer keine Gesundheitsgefährdung zu erwarten wäre“.7 Was nicht nachweislich ungefährlich ist, muss als gefährlich gelten, lautet mithin die merkwürdige Logik. Sie widerspricht dem anerkannten Grundsatz der Toxikologie, den schon Paracelsus aufgestellt hat: „Jeder Stoff ist Gift, es kommt aber auf die Dosis an.“ Tatsächlich stammen Gefahrstoffe aus den verschiedensten Quellen und sind in minimaler Konzentration ubiquitär verbreitet. Die Maxime von Pötschke-Langer läuft darauf hinaus, dass jeder Kontakt des menschlichen Organismus mit der Außenwelt die Gesundheit gefährdet – ein Umstand, der ebenso trivial wie unvermeidlich ist, da man ja nicht die gesamte Menschheit unter Quarantäne stellen kann.

Weil die Relevanz von Grenzwerten grundlegend bestritten wird, verzichtet das Papier völlig darauf, gemessene oder geschätzte Gefahrstoffkonzentrationen jenen Arbeitsplatzgrenzwerten gegenüberzustellen, die in Arbeitswissenschaft und Toxikologie als zulässig gelten. So soll die Nikotinkonzentration an Arbeitsplätzen in Raucherbüros 14 ?g/m3, in Nichtraucherbüros weniger als 1 ?g/m3 betragen (und nicht mg/m3, wie Pötschke-Langer fälschlich angibt!8). Dieser Befund ist natürlich alles andere als erstaunlich; erstaunlich ist dagegen, dass der entsprechende Arbeitsplatzgrenzwert von 500 ?g/m3 verschwiegen wird.9 Für den Feinstaub werden Konzentrationswerte genannt, die auf einer einmaligen Bahnreise gemessen wurden, ohne dass die anerkannten Regeln für eine mehrfache und kontrollierte Probenentnahme eingehalten worden wären.10 Diese Messübung hat Konzentrationen von kaum mehr als 500 ?g/m3 ergeben – nur in zwei Einzelfällen lag sie bei 700 bzw. 1300 ?g/m3 –, während der Arbeitsplatzgrenzwert 3000 ?g/m3, also das Sechsfache, beträgt.11 Zudem belegen die Messungen, dass die Feinstaubbelastung in Nichtraucherabteilen der Bahn nicht höher ist als in einer städtischen Fußgängerzone. Gleichwohl fordert die Schrift in ihrem politischen Teil die Abschaffung abgetrennter Raucherabteile, als würde sie ihre eigenen Befunde nicht zur Kenntnis nehmen; aber die Deutsche Bahn ist der Forderung gefolgt.

Die Belastungen durch Umgebungsrauch liegen also deutlich unterhalb der Arbeitsplatzgrenzwerte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Arbeitsplatzgrenzwerte eine andauernde Gefahrstoffbelastung für die Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche ansetzen. Die Exposition in öffentlichen Räumen, Gaststätten usw., in denen sich Menschen nur gelegentlich und kurzzeitig aufhalten, ist selbstverständlich erheblich geringer. Von einer besonderen Gefährlichkeit des Umgebungsrauchs kann demnach keine Rede sein. Schließlich versucht man die Schadwirkung des Umgebungsrauchs dadurch zu belegen, dass man Nikotinwirkungen im menschlichen Körper misst, so vor allem das Cotinin, ein Abbauprodukt des Nikotins, das sich im Urin nachweisen lässt.12 Eine Tabelle, die mehr als ein Dutzend Untersuchungen auswertet, zeigt wohl, dass die Cotininwerte bei „Passivrauchern“ 1,2- bis 5,3-mal höher sind als bei Nichtrauchern, die keinem Umgebungsrauch ausgesetzt sind.13 Immerhin streuen diese Werte um mehr als 400 Prozent! Erst recht wird die Beweisführung fragwürdig, wenn man diese Werte mit den in derselben Tabelle mitgeteilten Zahlen für aktive Raucher vergleicht, die 100- bis 600-mal höher liegen. Daraus folgt – und hätte auch für die Autoren des Papiers folgen müssen –, dass „Passivraucher“ eine tägliche Nikotindosis aufnehmen, die zwischen einem Zwanzigstel und einem Fünftel einer einzigen Zigarette liegt. Nun bringt aber der aktive Konsum einer einzigen Zigarette pro Tag ein kaum noch beachtenswertes Zusatzrisiko RR mit sich; bei Bruchteilen einer Zigarette wäre es überhaupt nicht mehr messbar.14 Diese Überlegungen führen zu dem Schluss, dass eine Gefahrstoffbelastung, der Nichtraucher durch Umgebungsrauch ausgesetzt sein könnten, toxikologisch völlig zu vernachlässigen ist.

Epidemiologische Argumentation

Weil die toxikologische Argumentation die These von der Gefährlichkeit des „Passivrauchens“ nicht zu bestätigen vermag, dominiert in der Tabakforschung seit Langem die epidemiologische Argumentation. Was man im Einzelfall ätiologisch nicht beweisen kann, möchte man mit dem statistischen „Gesetz der großen Zahl“ glaubhaft machen. So verlegt man sich auf Umfragen des Typs „Halten Sie sich tagsüber oder abends häufiger in Räumen auf, in denen geraucht wird?“15. Aus den Antworten wird gefolgert, dass „mehr als 20 Millionen Nichtraucher den Gefahren des Passivrauchens ausgesetzt“ sind, Gefahren, die, wie gesagt, ätiologisch nicht nachzuweisen sind.16 Diese Antworten sind überdies wissenschaftlich unbrauchbar, da sie keine Auskunft darüber geben, wie groß die Räume jeweils sind, ob und wie sie belüftet werden und wie viel in diesen Räumen geraucht wird. Wer immer jene Frage bejaht, wird als „Passivraucher“ eingestuft, gleichgültig, ob der Befragte fortgesetzt die Wohnung mit einem rauchenden Partner teilt oder ob er sich wenige Stunden pro Woche in einer Gaststätte aufhält, in der einige Besucher rauchen.

So streuen denn auch die Befragungsergebnisse. Für die Umgebungsrauchexposition in der Freizeit werden nach der einen Untersuchung 40 Prozent der Männer und 25 Prozent der Frauen zwischen 18 und 59 Jahren genannt,17 nach einer anderen Untersuchung jedoch 50 Prozent der Männer und 41 Prozent der Frauen zwischen 18 und 79 Jahren.18 Dass diese Zahlen um ein Viertel bzw. um mehr als die Hälfte steigen, wenn die älteren Jahrgänge einbezogen werden, scheint wenig plausibel. Solche wunderbare Vermehrung wird noch erstaunlicher, wenn dann statt der ursprünglich genannten 20 Millionen jetzt plötzlich 35 Millionen Nichtraucher von Umgebungsrauch behelligt werden.19 Offenbar liegt ein krasser Rechenfehler für die in der Freizeit betroffenen Nichtraucher vor. Wer sich in diesem einfachen Fall um 10 bis 15 Millionen Menschen verrechnet, kann nicht erwarten, dass man den späteren, im Detail ohnehin kaum nachvollziehbaren epidemiologischen Rechenexperimenten vertraut. Allerdings spielen die zuvor genannten, alarmierend wirkenden Zahlen für die folgenden epidemiologischen Hochrechnungen überhaupt keine Rolle. Insbesondere wird die diffuse Freizeitsituation, die ohnehin nicht näher spezifiziert wird, für die statistischen Hochrechnungen gar nicht berücksichtigt, da dafür „gesicherte Erkenntnisse über den Einfluss des Passivrauchens auf das Erkrankungs- und Sterberisiko“ überhaupt nicht vorliegen.20 Gleichwohl fordert das Papier drastische Rauchverbote für alle Orte, in denen sich Menschen in der Freizeit aufhalten, insbesondere für Gaststätten, Vereinsheime, Musiklokale, Foyers kultureller Veranstaltungen und andere öffentliche Gebäude. Obwohl keine wissenschaftlich verlässlichen Zahlen bekannt sind, werden dramatische Gefahren beschworen. Tatsächlich wird lediglich die Belastung durch Umgebungsrauch „zu Hause“ erfasst, also in Privatwohnungen, in denen Raucher und Nichtraucher zusammenleben; denn die meisten epidemiologischen Untersuchungen haben sich darauf konzentriert, nicht rauchende Partner in Lebensgemeinschaften mit Rauchern zu beobachten.

Die prominenteste und datenreichste Untersuchung hat, lange Zeit im Auftrag der American Cancer Society, über einen Zeitraum von 39 Jahren Daten von mehr als 35.000 Nichtrauchern erhoben, die in häuslicher Gemeinschaft mit Rauchern lebten.21 Für diese „Passivraucher“ wurden relative Risiken RR, an Lungenkrebs, koronarer Herzkrankheit oder chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen zu sterben, zwischen 0,8 und 1,2 ermittelt. Pötschke-Langer u.a. berufen sich auf jene Untersuchung, nehmen aber das höchste relative Risiko RR = 1,2 an. Dass bereits derart niedrige Werte als alarmierend betrachtet werden, gehört zu den Merkwürdigkeiten tabakkritischer Untersuchungen, da die Epidemiologie üblicherweise erst Werte von RR größer als 2 für beachtenswert hält. So verschweigt das Papier die Schlussfolgerung, die jene Autoren aus ihrer Untersuchung ziehen: „It seems premature to conclude that environmental tobacco smoke causes death from coronary heart disease and lung cancer.“22 – Umgebungsrauch ist nicht tödlich! Mit anderen Worten: Das Papier zitiert eine Untersuchung, ohne deren Schlussfolgerung zu erwähnen und sich damit auseinanderzusetzen. Würde man die Anzahl derjenigen Nichtraucher kennen, die an einer der entsprechenden Krankheiten sterben, und wüsste man außerdem, wie viele dieser Nichtraucher während ihres Lebens von Umgebungsrauch affiziert worden waren, könnte man eine, wenn auch spekulative, so doch übersichtliche Rechnung aufmachen. Für solche Zahlen aber gibt es keinerlei empirische Grundlagen. Noch niemand hat einen toten Nichtraucher gesehen, der nachweislich an Umgebungsrauch gestorben wäre. Die amtliche Statistik erfasst lediglich die Todesfälle, die von einer bestimmten Krankheit verursacht werden. Über die Zuordnung des Todesfälle zu Nichtrauchern bzw. Rauchern und über die Ursachen der jeweiligen Erkrankung sagt die amtliche Statistik – aus guten Gründen! – nichts aus.

Um diesem eklatanten, aber nicht ausdrücklich erwähnten Wissensdefizit zu begegnen, bedient sich das Papier statistischer Kunstgriffe, um spekulativ zu berechnen, was grundsätzlich nicht zu messen ist. Unschwer erkennt man in diesem Gedankengang die problematischen Voraussetzungen der Epidemiologie: zum einen die monokausale Reduktion auf einen einzigen Faktor, hier den Umgebungsrauch, und zum anderen die Annahme, eine statistische Korrelation beweise einen Kausalnexus. Vor allem dieser grundlegende Denkfehler bela¬stet das Papier, für das „ein kausaler Zusammenhang zwischen Passivrauchen und Lungenkrebs als nachgewiesen gilt“, obwohl die herangezogenen Quellen lediglich statistische Korrelationen ermittelt haben.23 Das Papier genügt also elementaren wissenschaftstheoretischen Standards in keiner Weise. Die darin angestellten Berechnungen sind in methodologischer Hinsicht höchst fragwürdig. Sie werden noch fragwürdiger, wenn sie zu allgemeinen statistischen Daten in Bezug gesetzt werden. Wenn in Deutschland jährlich etwa 820.000 Menschen sterben, dann würden die errechneten 3301 toten „Passivraucher“ gerade einmal 0,4 Prozent der Todesfälle ausmachen. Selbst wenn diese spekulative Zahl wirklich zutreffen würde, könnte man keinesfalls behaupten, „dass Passivrauch erheblich zur Sterblichkeit in Deutschland beiträgt“.24 Derart unsachliche Übertreibungen in einem angeblich wissenschaftlichen Bericht sind höchst verwunderlich.

Mit akribischer Scheingenauigkeit dokumentiert das Papier für die einzelnen Erkrankungen, wie viele „Passivraucher“ jeweils in bestimmten Altersgruppen sterben. Für die Gesamtzahl der Todesfälle wird eine entsprechende Aufgliederung auch von der amtlichen Statistik vorgenommen (Statistisches Bundesamt 2005, 2.1.1.). Tabelle 1 vergleicht die Angaben für „Passivraucher“ (ohne plötzlichen Kindstod) mit denen für alle Todesfälle. Die Rechenergebnisse des Papiers sind, abgesehen von den Fragwürdigkeiten ihrer Ermittlung, auch völlig unplausibel.


 

  Statistisches Bundesamt DKFZ
Alter Alle Tode abs. Alle Tode rel. Prozent PR-Tode abs. PR-Tode rel. Prozent
< 45 31.534 3,85 36 1,11
45–54 40.593 4,96 122 3,76
55–64 80.065 9,78 269 8,30
65–74 164.080 20,05 706 21,78
75–84 271.687 33,20 1014 31,29
>85 230.312 28,15 1094 33,76
Alle 818.271 100,00 3241 100,00
65–84   53,25   53,07


Tabelle 1: Vergleich der Todesfälle durch „Passivrauchen“ (PR) mit der allgemeinen Sterbefall-Statistik

 

Wie man sieht, liegt die errechnete Mortalität der „Passivraucher“ bis zum 65. Lebensjahr niedriger als die allgemeine Mortalität. Zwischen dem 65. und dem 84. Lebensjahr entspricht sie der allgemeinen Mortalität, nämlich rund 53 Prozent. Erst jenseits des 85. Lebensjahrs liegt sie geringfügig höher, und eigentümlicherweise stirbt angeblich genau ein Drittel der errechneten „Passivraucher“ erst in diesem hohen Alter.25 Nun soll jedoch die Belastung durch Umgebungsrauch ab dem 60. Lebensjahr nur noch halb so hoch sein wie in jungen Jahren und mit zunehmendem Alter weiter sinken.26 Überdies soll das Zusatzrisiko einer koronaren Herzkrankheit, der größte Anteil in der ganzen „Passivraucher“-Statistik, bald nach Ende der Exposition verschwinden.27 Folglich sind die dem Umgebungsrauch zugeschriebenen Todesfälle, selbst wenn sie korrekt berechnet worden wären, in Wirklichkeit wohl eher auf zahlreiche andere altersbedingte Krankheitsursachen zurückzuführen. Mit einem Wort: Die „Gefahr des Passivrauchens“ ist ein unglaubwürdiges statistisches Konstrukt. Die höchst unterschiedlichen Expositionsgrade in den verschiedenen Lebenssituationen von Nichtrauchern werden völlig außer Acht gelassen. Die statistischen Manipulationen arbeiten mit quantitativen Annahmen, deren Brauchbarkeit selbst in der Epidemiologie umstritten ist. Statistische Korrelationen, wie immer sie zustande gekommen sind, werden unreflektiert zu Kausalerklärungen umgedeutet. Die errechneten Zahlenwerte schließlich entbehren jeder Plausibilität.

Wissenschaft und Politik

In den Wissenschaften hat es immer wieder Kontroversen gegeben, in denen zeitweilig eine der beiden Positionen die Oberhand gewann und die gegenteilige Position mit allen Mitteln zu unterdrücken suchte, bis dann irgendwann die „normale Wissenschaft“ in einer „wissenschaftlichen Revolution“ durch ein neues „Paradigma“ abgelöst wurde.28 Wer an die Unfehlbarkeit der Wissenschaft glaubt, den wird dieser Befund desillusionieren, doch kann er immerhin erwarten, dass die wissenschaftliche Entwicklung, wenn sie immer wieder das Prinzip der kritischen Prüfung beherzigt, frühere Irrtümer überwindet und zu Ergebnissen gelangt, die sich dann besser bewähren.29 Vor allem aber kann der Beobachter dieses Wechselspiel von Behauptungen und Widerlegungen mit einiger Gelassenheit verfolgen, solange es sich allein in der wissenschaftsinternen Diskussion abspielt. Nur selten nämlich berühren wissenschaftliche Kontroversen unmittelbar das Alltagsleben der Menschen, nämlich dann, wenn eine der beiden Positionen vorschnell die Politik zu usurpieren sucht. Wissenschaftliche Irrtümer lassen sich im Erkenntnisfortschritt korrigieren, ohne dass enorme politische und psychosoziale Kosten zu tragen wären. Sobald jedoch solche Irrtümer die Politik zu blindem Aktionismus verleiten, richten sie gesellschaftliche Schäden an, die womöglich auch nach späterer Korrektur der Irrtümer kaum noch gutzumachen sind.

Genau dies scheint gegenwärtig bei den staatlichen Restriktionen gegen rauchende Menschen zu geschehen. Angestachelt von pseudowissenschaftlichen Vorurteilen erlässt die Politik derzeit Antirauchergesetze, die mit einem wohlverstandenen Schutz von Nichtrauchern gegen die möglichen Belästigungen durch Umgebungsrauch kaum noch etwas zu tun haben und darum den Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen. Wissenschaft gibt sich dazu her, die Persönlichkeitsrechte von Millionen rauchender Menschen und die Gewerbefreiheit von Tausenden gastronomischen Betrieben auf dem Altar fiktiver Gesundheitsgefahren zu opfern. Wissenschaft gibt sich dafür her, eine Verbotsgesellschaft zu legitimieren, in der die Gesundheitsobsessionen einer fundamentalistischen Minderheit zum allgemeinen Gesetz erhoben werden. Mit einem Wort: Solche Wissenschaft, die sich unzuständigerweise in die Politik einmischt, macht sich der totalitären Anmaßung schuldig!

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