10.02.2017

Fake News sind nicht das Problem

Analyse von Kolja Zydatiss

Titelbild

Foto: Fibonacci Blue via Flickr / CC BY 2.0

Bewusst produzierte Falschmeldungen muss man nicht gut finden. Von oben herab verfügte „Wahrheiten“ aber auch nicht.

2016 war ein politischer Wendepunkt. Die Entscheidung der britischen Wähler, die EU zu verlassen, und die Wahl des Krawallpopulisten und politischen Außenseiters Donald Trump zum US-Präsidenten haben den technokratischen Managerialismus der Mitte herausgefordert. Das gesellschaftliche Establishment im Westen ist so verunsichert wie schon lange nicht mehr. 

Verzweifelt wird nun versucht, den Wähler – dieses unbekannte Wesen – zu verstehen, der diese Katastrophe ausgelöst hat. Eine Panik hat sich um Meinungsäußerungen im Netz entsponnen. Die aufgeladene Diskussionskultur in Foren, sozialen Netzwerken, Blogs und Kommentarspalten sei der Nährboden für den Hass und die Hetze, aus denen sich in der Vorstellung der staatstragenden Mittelschicht die aktuellen politischen Umwälzungen speisen.  

Vor einigen Monaten ging es vor allem um sogenannte „Hate Speech“ in den sozialen Medien. Die Betreiber von Facebook, Twitter und Co. wurden unter erheblichen politischen Druck gesetzt, „Hasskommentare“ zu löschen. Es entfachte sich eine Sperrwut, der auch viele unter deutschem Recht vollkommen legale, aber vom politisch korrekten Mainstream abweichende Äußerungen zum Opfer fielen (etwa ein vom Publizisten David Berger geposteter Artikel, in dem er „Linksgrünen“ einen „Schmusekurs“ gegenüber „dem Islam“ vorwirft, der die Schwulen in Deutschland gefährde).

„Das gesellschaftliche Establishment im Westen ist so verunsichert wie schon lange nicht mehr“

In den letzten Wochen ist eine Debatte um sogenannte „Fake News“ entbrannt. Damit sind nach enger Definition Lügengeschichten gemeint, die bekannten parteilichen Plattformen wie dem Sprachrohr der amerikanischen Alt-Right-Bewegung, Breitbart,oder dem kremlfinanzierten Sputnik entspringen oder aus undurchsichtigen Quellen kommen (in osteuropäischen Ländern sollen hunderte Fake-News-Webseiten entstanden sein, die die Aufmachung etablierter Nachrichtenplattformen imitieren). Dank der psychometrischen Vermessung von Facebook-Profilen sollen die Fake News gezielt politisch empfänglichen Individuen angezeigt werden, die sie viral verbreiten.

Zweifelsohne ist die Massenproduktion bewusst unwahrer Nachrichten ein Problem. Ihr tatsächlicher Einfluss auf die Menschen wird aber dennoch enorm überschätzt. Der deutsche Interneterklärer Sascha Lobo hält Nutzer sogar für so dumm, dass sie von mazedonischen Teenagern verfasste Falschmeldungen nicht von den Inhalten der New York Times unterscheiden könnten. Durch die Fake News würden sie sich in eine selbstverstärkende Meinungsspirale hineinsteigern – „mit spürbaren Folgen für Wahlen“. „Doch, lieber Mark, Facebook ist für Trumps Wahl mit verantwortlich“, schrieben Redakteure des Technologiemagazins Wired Germany in einem offenen Brief, in dem sie den Facebook-Chef Mark Zuckerberg auffordern, Falschmeldungen zu kennzeichnen. In der FAZ zetert der Rechtsprofessor Rolf Schwartmann über „rechtswidrige“ Wahlentscheidungen wie dem Brexit, die durch Falschinformationen zustande gekommen seien. Auch der Bundeswahlleiter Dieter Sarreither hat vor Fake News gewarnt.

Vorerst greifen (neben den ohnehin geltenden strafrechtlichen Verboten der üblen Nachrede, Verleumdung und so weiter) im Umgang mit diesem Phänomen nur Maßnahmen, die auf freiwillige Selbstverpflichtung setzen. In Deutschland arbeitet Facebook seit Kurzem mit dem stiftungsfinanzierten Recherchebüro Correctiv zusammen. Die Redakteure von Correctiv sollen Falschmeldungen identifizieren, diese sollen anschließend von Facebook mit einem Warnhinweis und einer Gegendarstellung versehen werden (ähnlich ist die Situation in den USA, wo bereits fünf externe Rechercheorganisationen Facebook zuarbeiten).

„Der tatsächliche Einfluss von Fake News auf die Menschen wird enorm überschätzt.“

Obwohl bei diesem Ansatz Inhalte lediglich gekennzeichnet und nicht entfernt werden, ist es bedenklich, wenn sich private Unternehmen auf diese Weise zu Schiedsrichtern der Wahrheit aufschwingen. Viele Meldungen sind kontrovers, interpretationsfähig oder unklar. Oft beziehen sich Fake News auf Ereignisse, die nicht frei erfunden, aber übertrieben,  tendenziös und, ja, in Teilen auch falsch oder unwahr wiedergeben werden. Das beste Korrektiv gegen solche Berichterstattung ist aber nicht die stumpfe – an die „Lebensmittelampel“ erinnernde – Kennzeichnung von News als „zweifelhaft“, sondern eine lebendige Debattenkultur.     

Dessen ungeachtet sprechen sich deutsche Politiker – wohl mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl und die steigende Beliebtheit der rechtspopulistischen AfD – für noch härtere Maßnahmen aus. Der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann und der ehemalige EU-Parlamentspräsident und aktuelle Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, fordern hohe Geldstrafen für Social-Media-Dienste, die die Verbreitung von Falschmeldungen nicht verhindern. Pläne der Unionfraktion im deutschen Bundestag gehen weiter. Sie will soziale Netzwerke zwingen, ihren Nutzern Richtigstellungen anzuzeigen, wenn diese zuvor Meldungen gesehen haben, die als gefälscht identifiziert worden sind. Bei den Abermillionen Postings pro Tag allein im deutschen Facebook wäre das alles wohl nicht ohne eine gewaltige Kontrollbürokratie umsetzbar.

Andere verfolgen eher vorbeugende Ansätze. Das Bundesinnenministerium fordert ein „Abwehrzentrum gegen Desinformation“, dessen Schwerpunkt auf Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit liegen soll. Mit Blick auf den Nachrichtenmix, der Nutzern angezeigt wird, will die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley Facebook zu einem „pluralen Informationsangebot“ zwingen. Der Grünen-Politiker Jan Phillip Albrecht träumt gar von einer Pflicht, öffentlich-rechtliche Inhalte zu verbreiten, die „notfalls durch Quoten“ durchgesetzt werden soll.

„Die Forderung, der Staat solle die Reichweite ‚erwünschter‘ Nachrichten erhöhen, erinnert an autoritäre Regimes“

Auch diese Vorstöße sind höchst bedenklich. Wie bei der sogenannten Hate Speech besteht durch die Androhung hoher Geldstrafen die reale Gefahr, dass die Social-Media-Unternehmen in Aktionismus verfallen und auch solche Beiträge löschen, die keine Falschmeldungen sind, sondern lediglich „politisch inkorrekte“ Sichtweisen wiedergeben. Im Gegensatz zur staatlichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit gibt es bei dieser Privatzensur keinen Rechtsweg, über den sich die Betroffenen wehren könnten. Die Forderung, der Staat solle in den freien Fluss der Informationen eingreifen, um die Reichweite „erwünschter“ Nachrichten zu erhöhen, verlässt gänzlich den Rahmen der liberalen Demokratie und erinnert an autoritäre Regimes.  

Die Regierung und viele Regulierungsfreunde in Medien und Gesellschaft präsentieren die Regulierung des Fake-News-Phänomens als Verteidigung eines unvoreingenommenen gesellschaftlichen Diskurses. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn um den Wert der Wahrheit ist es in den tonangebenden Schichten im Westen seit Jahrzehnten schlecht bestellt. Unter dem Einfluss des Postmodernismus griff ein relativistisches Denken um sich, dass von einer Vielzahl unvereinbarer Erkenntnissysteme ausgeht, die alle gleichwertig seien. Die Idee, dass es so etwas wie eine objektive, auf Fakten beruhende Wahrheit geben könnte, gilt vielen als antiquiert. Dieses Denken zeigt sich unter anderem in dem Hype um „Alternativmedizin“ und dem Unbehagen, Kritik an offensichtlich rückständigen Praktiken nichtwestlicher Völker zu äußern.

Mit dem herkömmlichen Wahrheitsbegriff wurde auch der aufklärerische Glaube an Fortschritt und Entwicklung über Bord geworfen. An die Stelle offener Debatten, in denen mündige Bürger den besten Kurs für die Gesellschaft bestimmen, trat diesseits und jenseits des Atlantiks ein elitärer, technokratischer Politikstil. Die staatstragende Mittelschicht verschanzte sich in der Welt der Parteien, Verbände und Nichtregierungsorganisationen – in Europa auch in den bürgerfernen Strukturen der EU. Anstatt der breiten Masse durch Wachstum und technischen Fortschritt neue Lebens- und Freiheitsperspektiven zu eröffnen, verstieg man sich in volkspädagogische Therapiemaßnamen wie Rauchverbote oder „gendergerechte“ Sprache, die „falsche“ Einstellungen und Lebensstile korrigieren sollten.

„Was ,wahr‘ ist, lässt sich nicht von oben herab verfügen“

Ob EU, Multikulti oder Energiewende, die Antwort des politischen Establishments auf Kritik an seinen Lieblingsprojekten war allzu oft: „Das darf man nicht sagen!“ und die moralische Stigmatisierung derjenigen, die doch widersprochen haben. Zwischen der gesellschaftsfähigen Meinung und der „echten“ Meinung vieler Bürger entstand so eine immer größere Kluft. Die damit einhergehende Unzufriedenheit war für die Eliten keine ernsthafte Bedrohung, solange sie sich vor allem in sinkender Wahlbeteiligung niederschlug.

Mit dem Brexit-Votum und der Trump-Wahl gingen im letzten Jahr jedoch zwei wichtige politische Entscheidungen zu Ungunsten des Establishments aus. Entgegen der Sichtweise der meisten deutschen Medien ist erstere kein Ausdruck eines Rechtsrucks, sondern spiegelt vor allem den Wunsch nach einer demokratischeren Politik wider. Mit Trump konnte ein ressentimenttriefender Exzentriker mit autoritären Tendenzen US-Präsident werden. Sorgen angesichts des Aufstiegs von Trump, AfD und Co. sind berechtigt. Doch illiberale Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind nicht die Lösung, sondern ein Teil des Problems.

Erstens werden ein hartes Durchgreifen gegen unliebsame Internetbeiträge oder staatliche Vorgaben für die Verbreitung erwünschter Inhalte in der Bevölkerung den Eindruck nähren, die Herrschenden wollen keine Kritik mehr zulassen, und so tendenziell den Rechtspopulisten weiter Auftrieb geben. Zweitens ist das (durchaus üble) Phänomen der Fake News nicht dafür verantwortlich, dass sich viele Bürger von der etablierten Politik abwenden. Es ist, wie die allgemeine Verhärtung gesellschaftlicher Debatten, vor allem ein Nebeneffekt der ideenlosen, technokratischen Politik der Eliten.

Um hierzu progressive politische Alternativen zu entwickeln, müssen wir wieder lernen, öffentlich über die Wahrheit zu streiten. Doch was „wahr“ ist, lässt sich nicht von oben herab verfügen. Die Erkenntnis darüber, was das politisch Richtige ist, welches Argument vernünftig ist und was die Gesellschaft wirklich voranbringt, kann nur in einem offenen Diskussionsklima gedeihen.

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