03.06.2016

Affentanz um toten Gorilla

Kommentar von Klaus Alfs

Titelbild

Foto: Kim Gorga (CC0)

In den USA ist ein Gorilla, der ein Kleinkind gefährdet hat, getötet worden. Die Aufregung darüber offenbart rechtslogisch seltsames und menschenfeindliches Denken bei Tierrechtlern.

Menschenaffen, so heißt es bei vielen Tierrechtlern, seien Personen. Deshalb solle man ihnen Grundrechte zugestehen. Grundrechte sind in staatlichen oder überstaatlichen Verfassungen festgeschriebene Menschenrechte.

Obwohl sie angeblich Personen sind, werden selbst erwachsene Menschenaffen jedoch nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht. Der Gorilla, der jüngst im Zoo von Cincinnati ein kleines Kind durch’s Gehege geschleift hat, ist vernünftigerweise erschossen worden – allerdings nicht zur Strafe, sondern weil Gefahr in Verzug war. Moralische Appelle wären ebenso nutzlos gewesen wie die Androhung juristischer Konsequenzen. Das Tier war im Vollbesitz seiner geistigen Affenkräfte und trotzdem nicht schuld.

Es kommt leider ab und zu vor, dass Kinder in Zoogehege fallen oder klettern. Auch aufmerksamen Eltern entgeht manchmal etwas. Die Zoomitarbeiter haben verantwortungsbewusst und korrekt gehandelt. Darüber müsste eigentlich nicht viel geredet werden. Doch nun muss sich der Direktor gegen einen öffentlichen Proteststurm wehren, und die Eltern des Kindes werden bezichtigt, fährlässig gehandelt zu haben. Irgendetwas stimmt da nicht. Gorillas werden von echten oder vermeintlichen Tierfreunden gerne als sanfte Riesen bezeichnet – als wäre die Sanftheit ein Verdienst des Tieres. Verhält sich ein Gorilla aber wie der im Zoo von Cincinnati, werden sofort Menschen dafür verantwortlich gemacht. Das Tier wird reflexartig zum Opfer erklärt.

Viele vermeintliche Tierfreunde behandeln Tiere so wie Eltern ihre verzogenen Tyrannenkinder. Bei jedem Pups des vergötterten Lieblings geraten sie in Ekstase, an jeder Bosheit sind andere schuld. Bei den Tierrechtlern wird dies zum Prinzip – und paradoxerweise mit dem Gleichheitspostulat verbunden. Weil Tiere und Menschen in relevanter Hinsicht gleich seien, müsse man mit zweierlei Maß messen, welches aber gar kein zweierlei Maß sei. So könnte man den tierrechtlichen Imperativ zusammenfassen.

„Die strukturelle Asymmetrie zwischen Mensch und Tier wird umgedreht“

Der Trick ist, die strukturelle Asymmetrie zwischen Mensch und Tier zugunsten des Tieres umzudrehen. Worin besteht diese Asymmetrie? Darin, dass Menschen die einzigen bisher identifizierten Moralsubjekte (moral agents) auf Erden sind. Sie machen einander für ihr Tun verantwortlich, rechnen sich – wie der Philosoph Peter Janich es formuliert – ihre Taten als Verschulden oder Verdienst zu.

Menschen betrachten einander als handelnde Subjekte, also als Wesen, die eben auch anders können. 1 Wer stolpert oder niest, wird dafür nicht zur Rechenschaft gezogen. Denn das ist bloßes Verhalten. Wer jemanden aber absichtlich ins Gesicht niest oder die Treppe herunterwirft, handelt. Deshalb wird ihm seine Tat als Verschulden zugeschrieben. Er wird moralisch verurteilt und, sofern er kein Kind mehr ist, für letzteres gegebenenfalls juristisch belangt.

Einen Affen, der einen Artgenossen tötet, wird niemand moralisch oder juristisch zur Rechenschaft ziehen. Warum nicht? Tierrechtler betonen doch stets, dass Tiere gar nicht unflexibel in ihrem Verhalten seien, sondern ein breites Spektrum zur Verfügung hätten. Wie überaus wundersam jedoch, dass selbst die flexibelsten Exemplare exakt so konstruiert zu sein scheinen, dass die Tierrechtler sie für ihre guten Taten in den Himmel heben können, ohne sie für ihre Bosheiten in die Hölle schicken zu müssen!

Menschen haben in dieser Logik so wenig eine Chance wie Angeklagte in einem Schauprozess. Tiere erscheinen immer als die besseren Menschen, obwohl sie morden, quälen, plündern, vergewaltigen. Tötet ein Bulle einen Bauern, wird ihm dies von Tierrechtlern als Akt des Widerstands gegen den „Sklavenhalter“ positiv zugeschrieben; erdrückt derselbe Bulle ein kleines Kind, ist er für Tierrechtler nur ein Tier, das nicht anders konnte.

Bienen gelten als fleißig, sind aber im Vergleich zu Hummeln faul. Wer den Tieren ihren Fleiß als Verdienst zuschreibt, muss ihnen auch ihre Faulheit als Verschulden zuschreiben. Drohnen kämen dann schlecht weg: Sie werden von den Arbeiterinnen sofort aus dem Stock geschmissen, sobald sie ihre Funktion erfüllt haben. Da sie allein nicht lebensfähig sind, sterben sie alle schnell. Das ist nun wieder nicht nett von den Bienenweibchen. Aber sie können ja nicht anders …

„Paradoxe Botschaften der Tierrechtler dienen tyrannischen Herrschaftsinteressen“

Kinder und geistig Behinderte, die einen Erwachsenen mit einem Revolver bedrohen, werden daran gehindert zu schießen. Schimpansenmännchen, die Schimpansenbabys im Beisein der Mütter fressen, während sie diese vergewaltigen, zeigen „arttypisches Verhalten“. Nach dem Willen der Tierrechtler sollen sie darauf ein Grundrecht haben  („Recht auf Freiheit“).

Laut tierrechtlichem Credo dürfe der Mensch keine Privilegien beanspruchen, bloß weil er kognitiv überlegen ist. Er dürfte der Gleichheitslogik zufolge aber auch nicht benachteiligt werden, weil er kognitiv überlegen ist. Wer den Menschen benachteiligt, weil dieser moral- und rechtsfähig ist, diskriminiert ihn aufgrund einer spezifisch menschlichen Eigenschaft, das heißt, weil er Mensch ist. Das paradoxe Resultat lautet, dass der Mensch durch das Diskriminierungsverbot diskriminiert wird.

Der Vorwurf der Ungleichbehandlung ergibt jedoch nur unter Symmetriebedingungen Sinn. Menschen können Tiere daher gar nicht diskriminieren, denn beide sind in moralischer Hinsicht fundamental ungleich. Ungleichbehandlung von in relevanter Hinsicht Ungleichen ist gerecht. Man kann dem Menschen nicht sinnvoll vorwerfen: „Du glaubst wohl, du hättest Sonderrechte, bloß weil du allein alle Pflichten hast, was?“ Das ist so ähnlich, wie wenn man sagte: „Du glaubst wohl, du bist der Stärkste, bloß weil du mehr Kraft als alle anderen hast. Schwächere sind genauso stark wie du, also lass dich gefälligst von ihnen verprügeln!“

Paradoxe Botschaften wie die der Tierrechtler dienen tyrannischen Herrschaftsinteressen. Wer versucht, jemandem den Pelz zu waschen, ohne ihn nass zu machen, reibt sich bei diesem Versuch auf. Tierrechts-Gurus können je nach Gusto bestimmen, wer bei diesem Versuch erfolgreicher ist und wer nicht.

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